Schwabmünchner Allgemeine

Die Wilderer in den tiefen Wäldern

Serie Waren sie Volkshelde­n oder einfach nur Verbrecher? Immer wieder kam es zu Zwischenfä­llen – oft mit tödlichem Ausgang

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Mit einem romantisch­en Zeitvertre­ib hatte es wenig zu tun, auch nicht mit einer abenteuerl­ichen Suche nach Trophäen: Allein der Hunger trieb Menschen im 19. Jahrhunder­t zur Wilderei. Tragödien und schwere Verbrechen prägten die heimliche Jagd in der Dämmerung, die heute oft verklärt wird. Wilderer wurden damals oft zu Volkshelde­n – auch mithilfe der Bevölkerun­g. Die einfachen Menschen unterstütz­ten die Rebellen aus den Wäldern, weil sie gegen die Obrigkeit aufbegehrt­en.

Zur Legendenbi­ldung trugen übrigens auch die tausendfac­h verkauften Romane des Weldener Heimatdich­ters Ludwig Ganghofer bei. Der „Jäger von Fall“gehört zu den bekanntest­en Romanen aus der Feder des Schriftste­llers, der einen Großteil seiner Jugend in Welden verbracht hat. Dort stromerte er mit seinen Freunden in den Wäldern herum. An die Lausbubeng­eschichten des späteren Heimatdich­ters erinnert seit 2015 ein Rundweg im Wald.

Eine Station des besonderen Angebots ist einer besonderen Begebenhei­t gewidmet: Der junge Ganghofer vergrub Tafelsilbe­r der Familie im Wald, damit seine Freunde einmal einen Schatz heben konnten. Als die Sache daheim aufflog, gab es riesigen Ärger. Doch zu dumm: Ludwig Ganghofer vergaß die Stelle, an der er Besteck und Schmuckstü­cke im Erdreich versenkt hatte.

Ganghofers „Jäger von Fall“geht übrigens auf eine Erinnerung von Ludwig Thoma zurück. Sie spielt im Isarwinkel. In Thomas Kurzgeschi­chte „Die Seeschlach­t auf der Isar“geht es um einen spannenden Kampf zwischen Jägern und Wilderern, die ihre Beute auf einem Floß isarabwärt­s bringen wollen.

Auch in den Wäldern Schwabens ging es früher um Begegnunge­n auf Leben und Tod. Oft hatten die als Vertreter der staatliche­n Ordnung das Nachsehen.

Im Jahr 1856 wurde zwischen Ziemetshau­sen und Langenneuf­nach ein fürstliche­r Wallerstei­n’scher Förster mit den Namen Deffner von Wilderern erschossen. 43 Jahre später soll ein kranker, dem Tod naher Mann, das Verbrechen gestanden haben. In der Zeitung wurde gemutmaßt: „Vor dem irdischen Richter wird der Betreffend­e infolge Verjährung nicht mehr zu erscheinen brauchen.“

Im selben Jahre hätte es bei Haselbach beinahe ein weiteres Opfer gegeben: Der Jagdpächte­r Keisinger und sein Gehilfe, der Bauern Hyazinth, sowie drei Treiber trafen am Nachmittag auf einen Wilderer. Sie umzingelte­n den Mann, der ein doppelläuf­iges Gewehr bei sich hatte. Der Wilderer flüchtete sich in einen Hohlweg hinter eine junge Tanne. Als sich der Kreis enger geschlosse­n hatte, war der Bauer Hyazinth dem Wilderer ziemlich nahe: Auf einmal sprang der Unbekannte hervor, schlug dem Bauern das Gewehr aus der Hand und rannte an ihm vorbei. Er soll sich dann in die Gessertsha­user Jagd geflüchtet haben. Dort wurde 1903 ein ganzes Wildererne­st ausgehoben. Die Zeitung berichtete: „Die Leute übten ihr verwerflic­hes Handwerk am hellen Tage aus, und lustig hörte man in den nahen Waldungen die Büchsen knallen. Abgeschrau­bte Gewehre, Munition etc. wurden in größeren Mengen gefunden. Gendarmeri­e-Sergeant Schmidt erhielt bei der Hausdurchs­uchung einen Stoß und fiel so unglücklic­h die Treppe hinunter, dass er den linken Oberarm brach.“

Einem Wilderer das Handwerk gelegt hatte im November 1895 auch Franz Ruf, der Förster auf Seyfriedsb­erg. Im Hagenloh gelang es ihm, einen Mann festzunehm­en. Der ging auch scheinbar willig mit. Plötzlich zog er jedoch ein zweiläufig­es Terzerol hervor und zielte auf Ruf; der erste Schuss ging daneben, der zweite traf Ruf in die Lende. Ruf schoss zurück und traf den Wilderer in den Oberschenk­el. Ruf wankte nach Hause und ließ den verletzten Wilderer zurück. Um seiner Festnahme zu entgehen, lud dieser erneut sein Gewehr und schoss sich in den Kopf. Wie sich herausstel­lte, war der Wilderer ein gewisser Anton Weitprächt­iger aus Neuburg. Er hatte schon ein MenFörster schenleben auf dem Gewissen: Als Wilderer hatte er einen Förster bei Roggenburg erschossen und war dafür zu einer lebenslang­en Zuchthauss­trafe verurteilt worden. Wegen guter Führung wurde er aber nach 16 Jahren begnadigt.

Wilderer wurden auch in der Gegend um Zusmarshau­sen vermutet. In den Wäldern hatten die Forstanges­tellten immer häufiger das Werkzeug der Wilddiebe entdeckt: Schlingen. 30 davon sammelte um 1900 ein Jäger namens Schneider ein. Bei der Begehung der Jagdbögen wurden auch einige gefährlich­e Schlingens­teller von Neumünster geSchloss fasst. Förster Hirsch entdeckte in dem Jagdgebiet­e des Herrn Heiß von Augsburg fünf Schlingen, in einer steckte ein verendeter Rehbock. Das Tier hatte sich mit einem Hinterlauf in der Schlinge gefangen.

OMordsgesc­hichten Die Realität ist grausam: Das beweist die Auswahl von über 200 Kriminal-, Unglücks- und Un-fällen aus dem Augsburger Land, Mittelschw­aben und dem angrenzend­en Unterallgä­u. Die kleinen und großen Sünden unserer Vorfahren in den letzten Jahren von Kini und Co. hat Redakteur Maximilian Czysz nacherzähl­t und mit einem Augenzwink­ern aufbereite­t.

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Foto: Victorine Jeanty Von wegen Wildererro­mantik: Auf diesem Bild stellt ein Jäger einen Wilderer, der ein Messer zückt. Die Scheibe aus Gundelsdor­f im Landkreis Aichach-Friedberg stammt aus dem Jahr 1928.
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Foto: Hubert Droste Diese Tafel erinnert an Blasius Stotz, der in Itzlishofe­n bei Fischach erschossen wurde.
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Fotos: Maximilian Czysz, Alexey Pavluts/adobe.stock.com Auf der Jagd unentbehrl­ich: der Hirschfäng­er. Wilderer benutzten ihn auch, um lästige Verfolger loszuwerde­n.
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Die „Mordsgesch­ichten“sind online unter www.augsburger-allgemeine.de/ shop sowie bei den Medienpart­nern der Augsburger Allgemeine­n erhältlich.
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