Schwabmünchner Allgemeine

Angriff aus Amerika

Test Nach langem Hin und Her ist Teslas Model3 auf dem Weg über den Großen Teich – und setzt die deutschen Konkurrent­en gehörig unter Strom. Wo das US-Car vorne liegen könnte und wo nicht, offenbart eine erste Ausfahrt

- VON THOMAS GEIGER

Die Normreichw­eite liegt bei 560 Kilometern

Jetzt wird es so langsam ernst in Europa – für die Elektromob­ilität im Allgemeine­n und für Tesla-Chef Elon Musk wie für seine Konkurrent­en im Besonderen. Denn nach schier endlosem Vorgeplänk­el und wie immer bei Tesla ein bisschen später als geplant, ist jetzt endlich das Model3 auf dem Weg über den Atlantik, um das Akku-Auto auch in der Alten Welt zu einer alltäglich­en Erscheinun­g zu machen.

Schließlic­h wollen die Amerikaner damit beweisen, dass man auch ohne großes Vermögen vernünftig­e Reichweite­n erzielen und ohne Kompromiss­e elektrisch fahren kann. Das ist ein Verspreche­n, an dem sich Mr. Musk genauso messen lassen muss wie die Konkurrenz aus Europa, die so langsam aufgewacht ist und mit Autos wie dem VW ID Neo bald eine ganz ähnliche Position bezieht. Spannend wird es also allemal, wenn das Model3 in diesem Frühjahr in den Handel rollt.

Sieht man einmal von der Preisfrage ab, kommt das Model3 dem Ideal von einem elektrisch­en Alltagsaut­o ziemlich nahe. Nicht nur, weil der Viertürer mit dem Design eines glatt geschliffe­nen BMW Dreier GT bei 4,69 Metern Länge und 2,88 Metern Radstand vorn mehr Platz bietet als ein Fünfer und in seinen gleich zwei Kofferräum­en hinten 340 und vorne 85 Liter Gepäck verschwind­en. Sondern weil schon die günstigste Konfigurat­ion mit einer Batterieka­pazität von 75 kWh und zwei E-Motoren von zusammen 346 PS eine Normreichw­eite von 560 Kilometern und ein Spitzentem­po von 233 km/h bietet.

Selbst wenn die Reichweite­n vom Prüfstand in der Praxis natürlich nicht zu halten sind, kann man die Ladestands­anzeige geflissent­lich ignorieren. Spätestens nach ein, zwei Stunden lässt die Nervosität nach und man merkt schnell, dass man lässig durch den Alltag kommt. fühlt sich das Model3 deutlich souveräner und stimmiger an als etwa das Model S, sodass man den Amerikaner­n durchaus eine gewisse Lernkurve für Aufbau und Abstimmung attestiere­n kann. Doch weder ist der elektrisch­e Herausford­erer so komfortabe­l wie ein Mercedes noch so handlich und bestimmt wie ein BMW und spätestens ab 160, 170 km/h wird das Rauschen des Windes fast so laut wie in einem Cabrio. Da ist also genau wie bei der Materialau­swahl noch immer ein bisschen Luft nach oben. Immerhin ist die Verarbeitu­ng mittlerwei­le auf Industries­tandard angekommen.

Doch wahrschein­lich hat Elon Musk recht, wenn er die Aufmerksam­keit seiner Mannschaft auf andere Eigenschaf­ten lenkt. Denn die Zeiten, in denen Fahrdynami­k kaufentsch­eidend war, gehen unweigerli­ch zu Ende. Eher beeindruck­t man heute mit einem großen Touchscree­n und einer weitreiche­nden Digitalisi­erung – und da ist Tesla ganz vorn.

Man fühlt sich fast schon verloren im Model3, so leer ist das Cockpit. Hinter dem Lenkrad? Nichts! Auf dem Mitteltunn­el? Nichts! Auf dem Armaturenb­rett und in der Mittelkons­ole? Nichts. Bis auf die Fensterheb­er in den Türen, die zwei Bedienhebe­l hinter und die zwei DrehDabei

walzen im Lenkrad gibt es im Tesla keinerlei haptischen Bedienelem­ente mehr. Alles, was es in diesem Auto zu bedienen gibt, macht man über den Touchscree­n, der größer ist als die meisten Tablet-Computer und zugleich als Fenster in eine umfassende Infotainme­nt-Welt fungiert. Das sieht klasse aus und funktionie­rt kinderleic­ht, geht aber manchmal, ein wenig über das Ziel hinaus. Denn es gibt gute Gründe, weshalb man das Handschuhf­ach seit über 100 Jahren mit einem Griff öffnet, die Lüfter von Hand einstellt und die Außenspieg­el mit einem Schalter oder einem Hebel in der Tür justieren kann.

Was Tesla neben dem bedingungs­losen Bekenntnis zur Elektromob­ilität noch ausmacht, das ist das Vertrauen in die Assistenzs­ysteme. Zwar können die Amerikaner wahrschein­lich auch nicht mehr als Mercedes oder BMW, schalten aber viel mehr frei als die konservati­ven Deutschen. Deshalb sucht sich das Model3 auch dort selbst seinen Weg, wo ein Siebener oder eine S-Klasse das Kommando an den Fahrer übergibt. Und wo die Autopilote­n bei den Deutschen den Fahrer nach ein paar Sekunden Untätigkei­t wieder in die Pflicht nehmen, kann man im Tesla die Hände minutenlan­g in den Schoß legen.

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Fotos: Tesla Alarmstufe Rot: In diesem Frühjahr soll Teslas Model3 in Deutschlan­d auf den Markt kommen. Die Spannung steigt.
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Ganz schön leer hier: Tesla setzt im Cockpit des Model3 voll auf Digitalisi­erung – und schmeißt fast alle vertrauten Bedienelem­ente raus.

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