Schwabmünchner Allgemeine

Zwei Silberne Bären bleiben in Deutschlan­d

Doch den Goldenen Bären der letzten Filmfestsp­iele unter Dieter Kosslick erhält der Israeli Nadav Lapid

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Berlin Die Jury eines Filmfestiv­als muss sich immer auch entscheide­n: Zeichnet sie einen Film aus, der viele Menschen ins Kino zieht? Oder einen, der experiment­eller ist? Das Drama „Synonyme“, das bei der Berlinale am Wochenende den Goldenen Bären gewann, macht es dem Zuschauer nicht gerade einfach. Regisseur Nadav Lapid beleuchtet darin die Suche eines Israelis nach der eigenen Identität in Paris – in kurzen, geradezu hysterisch­en Momentaufn­ahmen, die oft mehr andeuten als erklären.

Damit war der Film keine Ausnahme im diesjährig­en Wettbewerb. Direktor Dieter Kosslick hatte zu seinem Abschied viele Filme ausgesucht, die Rätsel aufgeben. Das ist auch bei der deutschen Regisseuri­n Angela Schanelec so. Für ihren Film „Ich war zuhause, aber“bekam sie einen Silbernen Bären. Und die deutsche Regisseuri­n Nora Fingscheid­t wurde für ihr Drama „Systemspre­nger“geehrt.

Viele Filme zeigten persönlich­e Geschichte­n – und suchten gleichzeit­ig nach Heimat. In „Synonyme“verlässt der Protagonis­t namens Yoav (Tom Mercier) sein Land. Er landet in einer leeren Wohnung in Paris, wird beraubt und arbeitet als Sicherheit­smann und Nacktmodel­l. Während Yoav durch die Straßen läuft, lernt er wie wild französisc­he Vokabeln: ein Bild dafür, dass er um jeden Preis eine neue Identität annehmen will.

Regisseur Nadav Lapid hat das selbst so erlebt. Vor rund 20 Jahren leistete er seinen Militärdie­nst in Israel. Danach habe er, wie er berichtet, in Tel Aviv gelebt und plötzlich entschiede­n, dass er das Land verlassen müsse – und zwar „mit einem One-Way-Ticket“. In Frankreich dann wollte er bewusst kein Hebräisch mehr sprechen. Sein Film fragt, wie wichtig Heimatverb­undenheit ist. Und ob man seine Herkunft hinter sich lassen kann. Für Yoav ist das nicht so einfach wie gedacht. Der Film spiegele Kritik, aber auch eine Anhänglich­keit an Israel, sagt Lapid. Für ihn sei es ein sehr persönlich­er Film. Auch weil seine Mutter, die die Produktion schnitt, während der Arbeit starb.

Die Jury unter Vorsitz von OscarPreis­trägerin Juliette Binoche machte mit „Synonyme“einen Kandidaten zum Gewinner, der künstleris­che Eigenwilli­gkeit und politische­s Bewusstsei­n verbindet. „Synonyme“ist zweifellos interessan­t – wegen seiner komplizier­ten Gestaltung aber wohl eher kein Film fürs große Publikum.

Weitere Auszeichnu­ngen der Berlinale: Der Große Preis der Jury ging an das Drama „Gelobt sei Gott“von François Ozon. Der Film widmet sich dem aktuellen Prozess gegen Kardinal Barbarin, Erzbischof von Lyon, der viele Jahre den sexuellen Missbrauch Minderjähr­iger deckte. Die Chinesen Yong Mei und Wang Jingchun wurden für ihre Rollen in „So Long, My Son“als beste Schauspiel­er geehrt, und der mazedonisc­he Film „God Exists, Her Name Is Petrunya“von Regisseuri­n Teona Strugar Mitevska erhielt den Hauptpreis der Ökumenisch­en Jury. Keine Überraschu­ng blieb, dass Fatih Akins Romanverfi­lmung „Der Goldene Handschuh“leer ausging. Das Porträt des Hamburger Serienmörd­ers Fritz Honka ist stark umstritten.

Im Gespräch steht nun die Zukunft der Berlinale. Kosslick nimmt nach fast zwei Jahrzehnte­n seinen Hut. Auf ihn folgt eine Doppelspit­ze mit dem Italiener Carlo Chatrian und der gebürtigen Niederländ­erin Mariette Rissenbeek. Die beiden hielten sich auf der Berlinale sehr im Hintergrun­d. Erst bei der Preisverle­ihung am Samstagabe­nd gab es einen kurzen öffentlich­en gemeinsame­n Moment. Als der 70-Jährige auf die Bühne stürmte, hielt er auf dem Weg kurz inne bei seinen Nachfolger­n und umarmte Chatrian.

Was er beiden sagte, ging unter. Kosslick erhielt zu seinem Abschied viele nette Worte und Geschenke – darunter einen riesigen Teddybären und die Patenschaf­t für eine echte Bärin im Zoo.

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Foto: afp Nora Fingscheid­t

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