Gordon Sumner alias Sting hat seine alten Lieder neu eingesungen – und spricht über die Liebe, sein Alter, den Tod und die Politik
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War es für Sie eine leichte Übung, für das neue Album „My Songs“zu jenen Liedern zurückzukehren, die Sie zum Teil vor 40 Jahren geschrieben haben?
Sting: Ja, denn diese Songs und ich, wir sind uns sehr vertraut. Ich singe diese Lieder schließlich Abend für Abend bei der Arbeit. Und ich singe sie leidenschaftlich gern. Ich bin mir sicher, ich kenne meine Lieder heute besser als früher. Einige der Nummern haben wir kaum verändert, andere recht stark. Immer so, wie es sich richtig und gut anfühlte. Regeln gab es nicht.
Sind Ihre Songs Ihre Freunde?
Sting: Mir sind sie jedenfalls alle sehr sympathisch (lacht). Wenn du einen neuen Song aufnimmst, ist das der Beginn einer Beziehung, das ist aufregend, aber du weißt noch nicht, wie sich diese Beziehung mit der Zeit entwickeln wird. Eine Beziehung, die über viele Jahre besteht, ist etwas ganz anderes. Da ist mehr Wissen, tatsächlich auch mehr Liebe, aufrichtige, tiefe Liebe. Und nicht mehr nur ein bloßes Hingerissensein.
Sie würden also die Zuneigung zu Ihrer Musik mit der Liebe zu Ihrer Frau gleichsetzen?
Sting: Ich will den Vergleich nicht überstrapazieren, aber es gibt durchaus manche Parallelen. Ich nehme meine Songs sehr ernst, ich behandele sie gut und beschäftige mich intensiv mit ihnen. Ich mag die. Meine Frau ist natürlich ein lebender, atmender Organismus, von daher: Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen meinen Liedern und meiner Frau, würde ich immer Trudie wählen. Ich liebe sie immer noch sehr und bin stolz auf unsere lange Ehe.
Ist Ihre Liebe auch mit den Jahren gewachsen und intensiver geworden?
Sting: Kann Liebe wachsen? Ich denke, sie reift und wird dadurch in gewissem Sinne stabiler. Aber auch durch eine schon seit langem funktionierende Beziehung kannst du nicht einfach gedankenlos hindurchnavigieren und sagen: „Ist ja alles super.“Jeder Tag in einer Ehe bringt neue Verhandlungen mit sich. Das Fundament einer Ehe sind Kompromisse. Manchmal sind diese Kompromisse schwer zu finden, aber ich finde, die Anstrengung, sich immer wieder in der Mitte zu treffen, ist eine lohnende.
Haben Sie eigentlich ständig neue Song-Ideen im Kopf?
Sting: Oh nein, das wäre schön. Das mit den Songs ist wie Angeln. Manchmal beißt einer an, manchmal nicht. Wichtig ist nur, dass du immer schön nah am Fluss sitzen bleibst, also offen und bereit bist, wenn dir die Inspiration begegnet. Meist schreibe ich einfach über das, was mir gerade passiert oder was ich sehe. Ich wünschte, es gäbe irgendwo einen Knopf, den ich drücken könnte, damit die Ideen strömen. Aber der Knopf verändert ständig Form und Farbe, ich finde ihn nur selten.
Ein paar passende Knöpfe haben Sie in den gut vier Jahrzehnten ohne Zweifel gedrückt.
Sting: Ja, aber es gibt keine Garantie. Jedes Mal, wenn ich einen Song fertiggestellt habe, frage ich mich, ob es wohl der letzte war. Denn es könnte ja wirklich sein.
Im Ernst?
Sting: Ja, natürlich (lacht). So ticke ich aber ohnehin. Ich frage mich auch bei jeder Mahlzeit, ob es wohl die letzte sein könnte. Das Zusammenspiel von Leben und Tod fasziniert mich. Und daraus folgt: Genieße, was du hast. Solange du es hast.
Eine gute Philosophie, um durchs Leben zu kommen?
Sting: Aus meiner Erfahrung ja. Aber ich habe dieses Konzept natürlich nicht erfunden. Das waren die Stoiker aus dem alten Griechenland. Sie identifizieren sich mit dem Stoizismus?
Sting: Schon, ja. Ich habe die „Meditationen“von Marcus Aurelius gelesen. Er plädiert darin für ein einfaches Leben und für die Akzeptanz der guten wie der schlechten Zeiten. Mein eigenes Leben hatte früher einige extreme Höhen und Tiefen zu bieten – es war bisweilen sehr dramatisch. Heute begnüge ich mich gern mit einem langsamen, sanften Anstieg. Ich bin glücklich und zufrieden, solange mich das Leben nicht an eine steile Klippe führt. haben. Ich bevorzuge – innerhalb meiner anspruchsvollen, häufig hektischen Arbeit – ein ruhiges, gemächliches Leben.
Haben Sie vor irgendetwas Angst?
Sting: Ja, eindeutig. Ich bin mutig, aber selbst die mutigsten Menschen haben Ängste. Ich zum Beispiel fürchte mich vor Bären und Drachen (lacht). Obwohl ich weder das eine noch das andere bisher gesehen habe.
Und im Ernst?
Sting: Vor dem Klimawandel. Der ist gefährlicher als alle Bären zusammen.
Die Jugendlichen gehen jetzt gegen Erderwärmung und Umweltzerstörung auf die Straße.
Sting: Die Jugend macht was, aber die Politiker nicht. Die scheinen sich alle mehr darum zu sorgen, an der Macht zu bleiben, als etwas gegen die größte existenzielle Krise zu unternehmen, die wir auf diesem Planeten jemals hatten. Solange die Politiker das alles ignorieren und aussitzen, können wir wenig tun. Ich kann letztlich nur an die Menschen appellieren, für jene Politiker zu stimmen, die das Problem angehen, anstatt bloß dummes Zeug zu reden.
Am Wochenende ist Europawahl. Als Brite dürfen Sie überraschenderweise noch mitwählen.
Sting: Ja, und das werde ich tun. Ich wähle immer, wenn ich dazu aufgerufen bin. Ich habe vor drei Jahren für den Verbleib in der EU gewählt, und ich weiß nicht, was passiert, aber irgendwie hoffe ich immer noch, dass wir irgendwie in der Gemeinschaft bleiben. Ich sehe einfach keinen Grund, die EU zu verlassen.
Die Mehrheit war anderer Ansicht.
Sting: Gut möglich, dass wir inzwischen in der Mehrheit sind. Ich finde, es muss ein zweites Referendum geben, jetzt, wo die Informationen und die Nachteile offen auf dem Tisch liegen. Ich denke, jetzt würden die Menschen klüger abstimmen.
Seine Karriere
1977 begann seine Weltkarriere mit The Police, seit Mitte der 80er ist er solo unterwegs. Heute ist der 67jährige Sting – geboren als Gordon Sumner im nordenglischen Wallsend und zwischenzeitlich Lehrer – viele Millionen schwer, Eigentümer von sechs Luxusimmobilien sowie 18 Grammys, hat sechs erwachsene Kinder und ist seit 1982 mit Trudie Styler liiert. Und er veröffentlicht fast jedes Jahr ein neues Album und geht auf Tour. Am 10. Juli spielt er auf dem Münchner Tollwood.
Aber aufwärts soll es schon noch gehen?
Sting: Ja, ich möchte mich weiterentwickeln und meine Arbeit gut machen. Worauf ich verzichten möchte, sind krasse Veränderungen oder Brüche. Mit dem Alter habe ich festgestellt, dass ich eine größere Gelassenheit bekommen habe. Ich bin irgendwie, sagen wir, weiser und akzeptiere die meisten Dinge heute leichter als früher.
Sind Sie denn selbst ein Stoiker?
Sting: Definitiv. In meinem Beruf kannst du leicht süchtig werden nach den Extremen. Vielen bekommt das nicht gut, denn psychologisch ist das wirklich gefährlich. So viele meiner Kollegen haben nicht überlebt, weil sie das Drama in ihrem Leben nicht mehr ausgehalten
Sie werden äußerlich nicht älter. Wie machen Sie das?
Sting: Ich bin sehr fit, fühle mich ausgesprochen lebendig und ich bin neugierig auf das, was das Leben bietet. Ich bin glücklich. Ich bin gerne 67 Jahre alt, das ist ein gutes Alter. Du hast die Weisheit, aber immer noch auch die Wildheit.
Interview: Steffen Rüth