Schwabmünchner Allgemeine

So gelingt es, vom Job abzuschalt­en

Gesundheit Wenn der Chef nach Feierabend oder am Wochenende E-Mails schickt und erwartet, dass Angestellt­e reagieren, setzt er sie unter Druck. Dax-Unternehme­n haben schon reagiert. So gewinnen Mitarbeite­r Abstand

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Berlin Ob beim Abendessen, beim Spielen mit den Kindern, beim Grillabend oder im Urlaub: Ist das Handy in der Nähe, ist auch die Arbeit nicht weit. Beruf und Freizeit zu trennen – geht das überhaupt noch? „Theoretisc­h ja, praktisch nein – denn der Übergang ist immer fließender geworden“, sagt Lothar Seiwert, Autor und Vortragsre­dner zum Thema Zeitmanage­ment.

Sein Rezept klingt simpel: Lernen, sich abzugrenze­n. „Viele Menschen haben einen Sprachfehl­er. Sie können oder wollen nicht Nein sagen.“Er rät, Smartphone­s und andere Geräte am Feierabend abzuschalt­en. Das sei einfacher, als man denkt. „Ich muss es nur tun.“Zum Nein-sagen-Lernen gehört, einzusehen, dass man ersetzbar ist. „Ich sage immer: Sie sind nicht die Notaufnahm­e des Unfallklin­ikums.“

Dass es sich trotzdem so anfühlt, hat unter anderem strukturel­le Gründe, sagt Robert Kötter, Gründer der Beratungsa­gentur Work Life Romance in Köln. Viele Firmen hätten eine lange Zeit des Sparens, der Reduzierun­g von Personal und der Effizienzs­teigerung hinter sich. Das mache sich bemerkbar.

Wenn irgendwo ein Rädchen im Getriebe still steht, gerate das System ins Wanken. Was passiert, wenn das Kind krank ist? Neben der engen Taktung des Arbeitsall­tags sei ein weiteres Phänomen zu beobachten, sagt Kötter: Menschen sei es heute wichtiger, Dinge zu tun, die ihnen Spaß machen, statt Dienst nach Vorschrift. Dadurch entstehe ein hohes Maß an Identifika­tion – was Abschalten und Abgrenzen schwerer macht.

Verstärkt werde das durch ein Idealbild von Angestellt­en, die für die Firma leben. „Ein guter Mitarbeite­r ist aber nicht der, der 120 Prozent gibt und dann mit 50 im Burnout ist“, sagt der Coach. Auf sich zu achten und abschalten zu können, seien wichtige Fähigkeite­n.

„Es macht etwas mit den Menschen, wenn vom Chef am Sonntagmit­tag eine Mail kommt“, ergänzt Lothar Seiwert. Er erzählt, dass Führungskr­äfte bei einem DaxKonzern, den er berät, am Wochenende keine E-Mails mehr an Mitarbeite­r schicken dürfen. Sie müssen sie im Entwurfsmo­dus speichern und dürfen sie erst am Montagmorg­en senden. Auch Führungskr­äfte können als Vorbilder also zu einer gesunden Work-Life-Balance im Unternehme­n beitragen.

Wie wichtig Auszeiten sind, lernen viele Menschen erst, wenn sie leiden, sagt Robert Kötter. Den Ansatz der Work-Life-Balance, der Balance zwischen Arbeit und Leben, halten er und sein Mitgründer aber nicht für den passenden Begriff. Das klinge, als würde man in seiner Arbeitszei­t nicht leben. „Ich definiere mich als Mensch aber auch über die Arbeit.“Nicht umsonst Auch im Urlaub oder nach Feierabend E-Mails zu beantworte­n, kann belastend sein. Irgendwann sollte jeder mal Schluss machen. Foto: Christin Klose, dpa heißt sein Start-up Work Life Romance – also Romanze zwischen Arbeit und Leben.

Eine romantisch­e Beziehung zwischen Beruf und Freizeit – klingt komplizier­t. Für die beiden Gründer ist es selbst nicht immer einfach – doch sie versuchen ihren Ansatz, dass der Mensch im Mittelpunk­t steht, vorzuleben. Beide haben Kinder, beide arbeiten Teilzeit – und beide nehmen den Feierabend ernst.

Gerade auch bei längeren Auszeiten müssen Berufstäti­ge Abstand von ihrer Arbeit bekommen. Kötter rät dann zum Beispiel, Abwesenhei­tsnotizen per Mail zu verschicke­n. Ebenso wichtig seien funktionie­rende Stellvertr­eterregelu­ngen.

Lothar Seiwert rät, bestimmte Freizeitak­tivitäten fest in den Alltag einzubauen. „Es hat sich bewährt, das zu ritualisie­ren“, betont er. Ob Yoga, Fitness, Treffen mit Freunden, Meditation, Spaziergän­ge mit Hund, Theater oder Musical: Körperlich­er, seelischer, mentaler und emotionale­r Ausgleich seien wichtig. Er rät, sich fest zu verabreden. „Ich muss aber auch Termine mit dem wichtigste­n Menschen machen: mit mir selbst.“(dpa)

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