Sie ist nun die mächtigste Frau Europas
EU-Kommission Mit einer beherzten Rede umwirbt Ursula von der Leyen die Abgeordneten des EU-Parlaments – und hat damit Erfolg. Knapp wird es am Ende dennoch
Straßburg Manfred Weber, der gescheiterte EVP-Kandidat, steht auf, um stehend zu applaudieren. Ihr selbst sieht man die emotionale Last, die in diesem Moment von ihren Schultern fällt, deutlich an: Ursula von der Leyen ist mit 383 Stimmen zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt worden. Die 60-Jährige kann damit am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers JeanClaude Juncker antreten.
Es ist ein knappes Ergebnis und ein alles andere als deutliches Mandat: 327 Parlamentarier stimmen gegen sie, von der Leyen liegt damit nur neun Stimmen über der erforderlichen Mehrheit. Doch die CDUPolitikerin strahlt – immerhin ist sie ein immenses Wagnis eingegangen, hat schon vor der Wahl ihren Rückzug von der Spitze des Verteidigungsministeriums bekannt gegeben. Der Lohn ist ein Amt mit historischer Tragweite. Von der Leyen ist die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission, sie ist die erste Deutsche seit 60 Jahren – und sie erbt eine EU, die vor gewaltigen Herausforderungen steht.
„Ich bin überwältigt, es ist eine große Ehre“, sagt Ursula von der Leyen nach der Wahl im Straßburger Parlament. Sie glaube an ein starkes und vereintes Europa, das sich nicht in internen Grabenkämpfen verzetteln dürfe. Und sie gibt zu: „Die Aufgabe, die vor mir liegt, flößt mir Respekt ein.“
Bei eher kritisch eingestellten Abgeordneten der Union stößt ihre Wahl zumindest auf verhaltenes Wohlwollen. „Mit der heutigen Wahl hat das Europäische Parlament eine längere Hängepartie vermieden und damit schnell für Stabilität und Arbeitsfähigkeit der Kommissionsspitze gesorgt“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Axel Fischer unserer Redaktion. Von der Leyen habe damit „den notwendigen Vertrauensvorschuss, um von prominenter Stelle aus Europas Zukunft zu gestalten.“Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert ihrer Parteifreundin. „Ich freue mich, weil mit ihr eine überzeugte und überzeugende Europäerin Chefin der Europäischen Kommission wird“, sagt Merkel. „Sie wird nun mit großem Elan die Herausforderungen angehen, vor denen wir als Europäische Union stehen.“
Der SPD-Abgeordnete KarlHeinz Brunner (Neu-Ulm) wünscht von der Leyen eine glückliche Hand. „Das deutliche Ergebnis ist sicherlich der überzeugenden Vorstellung des heutigen Vormittags geschuldet“, erklärt Brunner. Selbst Vizekanzler Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas (beide SPD) gratulieren direkt nach der Verkündung des Ergebnisses – und das, obwohl die deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament gegen die CDU-Frau stimmen wollten. Doch vor der Abstimmung signalisierten einige Sozialdemokraten dann doch ihre Zustimmung. Hin- und hergerissen waren auch die Konservativen: Mit ihrer Rede am Dienstagvormittag vor dem Parlament, in der sie sich eher links von der politischen Mitte positioniert hatte, dürfte von der Leyen einige Parlamentarier verstimmt haben, die ihr am Abend schließlich die Stimme versagten. Die rechtsnationale EKR, die von der Leyen ursprünglich ebenfalls Stimmen in Aussicht gestellt hatten, konnte sich deshalb letztlich nicht einigen und gab die Abstimmung frei. In ihren politischen Leitlinien hatte von der Leyen angekündigt, ein klimaneutrales Europas bis 2050 zu schaffen und die Treibhausgasemission bis um 55 Prozent bis 2030 zu senken.
Von der Leyen muss nun ihre Kommission zusammenstellen. Dazu muss sie die Staats- und Regierungschefs auffordern, Kandidaten für die einzelnen Posten vorzuschlagen. Über einen bemerkenswerten Tag berichtet Detlef Drewes auf der Dritten Seite. Rudi Wais bewertet die Wahl im Kommentar.
Die Konservativen waren hin- und hergerissen