Schwabmünchner Allgemeine

Was hinter dem neuen Streit mit der Türkei steckt

Mittelmeer Trotz Sanktionen verstärkt Erdogans Regierung die Bohrungen vor Zypern und schickt Drohungen nach Brüssel

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Einen Tag, nachdem die EU ihre Sanktionen gegen Ankara im Streit um die türkische Erdgassuch­e im Mittelmeer beschlosse­n hat, legt die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan nach. Die Türkei werde die Erforschun­g der Gasvorräte unter dem Meeresbode­n als Reaktion auf die EU-Maßnahme jetzt sogar noch verstärken, sagte der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu.

Im Streit mit der EU um das Gas vor Zypern sieht sich die Türkei im Recht: Teile der Meeresgebi­ete, in denen die zur EU gehörende griechisch­e Inselrepub­lik nach Gas suchen will, gehören nach türkischem Verständni­s zum Festlandss­ockel der Türkei, andere zum Gebiet der türkischen Zyprer. Die Sanktionen der EU – darunter eine Kürzung der finanziell­en Beitrittsh­ilfen für das kommende Jahr von 400 Millionen auf 250 Millionen Euro – nehme er nicht ernst, sagte Außenminis­ter Cavusoglu.

Türkische Bohrschiff­e bei Zypern werden derzeit demonstrat­iv von Kriegsschi­ffen begleitet. Auch aus anderen Gründen fühlt sich Ankara im Zypern-Streit sehr sicher. Erstens werde Europa wohl kaum wegen Zypern einen militärisc­hen Konflikt riskieren, sagt der angesehne türkische Journalist Murat Yetkin. Die Proteste der Europäer gegen das Vorgehen der Türkei im Mittelmeer ließen die Politiker in Ankara deshalb kalt.

Bei dem Streit um das Gas unter dem Meeresbode­n geht es um das regionale Machtgefüg­e im östlichen Mittelmeer, um potenziell­e Geschäfte in Milliarden­höhe und um das Interesse der Türkei an einer Teilnahme an der Ausbeutung der Bodenschät­ze. Proteste aus Brüssel fallen da für Erdogan kaum ins Gewicht, zumal der türkische EU-Beitrittsp­rozess nur noch auf dem Papier weiterläuf­t: Brüssel hat kaum Möglichkei­ten, Druck auf Ankara auszuüben.

Zudem droht der türkische Außenminis­ter Cavusoglu indirekt mit einer Änderung der Flüchtling­spolitik. „Die EU braucht uns beim Thema Flüchtling­e und bei anderen Themen“, sagte er. „Die werden zu uns kommen und reden – da führt kein Weg dran vorbei“. Die EUSanktion­en wegen Zypern seien deshalb „wertlos“, sagte der Außenminis­ter. Als Reaktion auf die Entscheidu­ng der Europäer will die Türkei nach der Entsendung von drei Forschungs- und Bohrschiff­en jetzt ein viertes Schiff in die Gewässer um Zypern entsenden.

Auch bei den Differenze­n mit den USA wegen der Lieferung des russischen Flugabwehr­systems S-400 an das NATO-Mitglied Türkei glaubt die Erdogan-Regierung, gute Karten in der Hand zu haben. Mit ihrer geografisc­hen Lage zwischen Mittelmeer, Schwarzem Meer und Nahem Osten ist das Land wichtig für die Sicherheit­sinteresse­n der USA.

In Syrien befürchtet das US-Verteidigu­ngsministe­rium einen Einmarsch der türkischen Armee im Einsatzgeb­iet amerikanis­cher Soldaten. Erdogan setzt darauf, dass USPräsiden­t Donald Trump die angedrohte­n Wirtschaft­ssanktione­n noch verhindern wird.

Allerdings geht es für die USA in der Debatte um die S-400 nicht nur um die Türkei. Es gibt amerikanis­che Befürchtun­gen, dass auch andere Nato-Mitglieder an dem russischen System interessie­rt sein könnten. Wenn die Türkei ohne Sanktionen davonkomme­n sollte, könnte ihr Beispiel im westlichen Bündnis Schule machen.

Auch im Konflikt mit den USA hält sich Ankara für stark

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Türkische Provokatio­n vor Zypern: Bohrschiff „Fatih“mit Marineschu­tz. Foto: dpa

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