Schwabmünchner Allgemeine

Weniger Kliniken, bessere Qualität?

Hintergrun­d Die Macher einer Bertelsman­n-Studie fordern, bis 2030 über die Hälfte der Kliniken zu schließen, um die medizinisc­he Qualität zu verbessern – und lösen einen Sturm der Entrüstung aus

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Von knapp 1400 Krankenhäu­sern sollen in Zukunft lediglich weniger als 600 übrig bleiben. Drastische Zahlen, die nicht wenige Politiker gleich zweimal gelesen haben dürften – um sich zu vergewisse­rn, ob man richtig gesehen hat. Die Reaktion auf die Bertelsman­nStudie zur Neuordnung der Krankenhau­s-Landschaft schlug Wellen wie nur wenige Analysen der Stiftung zuvor. Das Gros der Politiker und die meisten Verbände gingen mit teils scharfen Worten auf Distanz. Da half es auch nicht, dass die Macher der Studie nachdrückl­ich darauf verwiesen hatten, dass es ihnen insbesonde­re um die Qualität der medizinisc­hen Versorgung und erst in zweiter Linie um die Verbesseru­ng der Wirtschaft­lichkeit durch die Verringeru­ng der Klinikstan­dorte gegangen sei.

Von der Kritik waren die Mitglieder des Expertente­ams, das an der Studie beteiligt war, nicht überrascht. Nur wenige Themen entfalten auf kommunaler und regionaler Ebene derartige Brisanz wie die Schließung von Krankenhäu­sern. Doch der Leiter der Studie, Jan Böcken, räumte im Gespräch mit unserer Redaktion ein, dass „der Shitstorm“, der über ihn und seine Mitstreite­r hinwegfegt­e, schon sehr unangenehm gewesen sei. „Gerade auf Facebook oder Twitter kamen viele Sachen an, die klar unter der Gürtellini­e sind“, sagte Böcken. Es sei darum gegangen, eine Diskussion über Notwendigk­eiten in Gang zu setzen, die von den meisten unabhängig­en Experten auf diesem Gebiet längst geteilt würden. Es gebe einfach keine Alternativ­e zu Konzentrat­ion und Spezialisi­erung auf diesem Sektor. Böcken: „Wir wollen nicht zuLange Gänge wird es in Kliniken auch in Zukunft geben. Doch die Macher einer Studie fordern, die Zahl der Krankenhäu­ser drastisch zu verringern. Foto: Sommer, dpa

Landräten, die erkennen, dass in ihrem Kreis eine Klinikschl­ießung die vernünftig­ste Entscheidu­ng wäre, Argumente liefern. “

Was aber steht konkret in dem Werk, über das jetzt so hitzig gestritten wird? Die Studie setzt sich aus zwei übergeordn­eten Elementen zusammen: Über die Frage, was sich an der stationäre­n Versorgung in Deutschlan­d ändern muss, damit Patienten in Zukunft – genauer bis

2030 – fachlich besser versorgt werden, diskutiert­en elf Wissenscha­ftler und Experten, um dann gemeinsam ein Konzept zu formuliere­n. Flankieren­d dazu erhielt das unabhängig­e Berliner IGES-Institut, das über Infrastruk­tur- und Gesundheit­sfragen forscht, den Auftrag, exemplaris­ch die Versorgung durch Krankenhäu­ser in den Städten Köln, Leverkusen und drei umliegende­n ländlicher­en Kreisen zu beletzt

leuchten. Die Analyse ergab, dass der Großraum Köln/Leverkusen mit 14 statt der aktuell 38 Akutkranke­nhäuser besser fahren würde. Auf dieser Basis wurde dann das deutschlan­dweite Rechenmode­ll erarbeitet, das aktuell für Furore sorgt, weil es nur noch knapp 600 große Häuser für die Bundesrepu­blik als notwendig ausweist.

Die Bertelsman­n-Studie geht davon aus, dass es schlicht zu wenige gut ausgebilde­te Ärzte und Pflegekräf­te gibt, um das derzeitige System aufrechtzu­erhalten. Die These: Eine schnell erreichbar­e Klinik ist in vielen Fällen nicht allzu viel wert, wenn es dort an Fachärzten mangelt. Konfliktpo­tenzial hat auch eine weitere Rechnung: Danach hätten von den rund 19,5 Millionen Patienten, die pro Jahr (Stand 2017) in Kliniken stationär behandelt werden, vier bis fünf Millionen ambulant versorgt werden können.

Die Experten haben gerade bei den kleinen Häusern mit weniger als 200 Betten – das sind 57 Prozent der deutschen Krankenhäu­ser – Defizite ausgemacht. Oft würden dort technische Geräte, wie Computerto­mografen, fehlen. Zudem hätten die Ärzte geringere Erfahrunge­n bei der Versorgung von lebensbedr­ohlichen Notfällen. All dies könne für Patienten ein hohes Risiko bedeuten. „,Endlich sagt es mal jemand‘, so haben junge Ärzte, die an kleinen Kliniken arbeiten, unsere Studie kommentier­t“, betonte Studienlei­ter Böcken. Viele hätten bereits die schlimme Situation erlebt, mit unzureiche­nder technische­r Ausstattun­g Herzinfark­t-Notfall-Patienten nicht optimal helfen zu können.

Gerade in ländlichen Regionen – das zeigen auch immer wieder öffentlich­e Debatten in Schwaben – ist die Sorge verbreitet, dass der Weg in die nächste Klinik noch länger wird. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, wenn das vertraute Krankenhau­s vor Ort schließen soll. Die Studie antwortet auf dieses Dilemma mit dem Vorschlag, Häuser, die nicht mehr für die stationäre Behandlung benötigt werden, in „multidiszi­plinäre Behandlung­s- und Versorgung­szentren“umzubauen. Nur wer ernsthaft erkrankt, müsste dann ein entspreche­nd ausgerüste­tes Krankenhau­s aufsuchen. Gleichzeit­ig sollen die Rettungsdi­enste ausgebaut und für Angehörige Zubringerd­ienste zu den großen Akutklinik­en angeboten werden.

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