Weniger Kliniken, bessere Qualität?
Hintergrund Die Macher einer Bertelsmann-Studie fordern, bis 2030 über die Hälfte der Kliniken zu schließen, um die medizinische Qualität zu verbessern – und lösen einen Sturm der Entrüstung aus
Augsburg Von knapp 1400 Krankenhäusern sollen in Zukunft lediglich weniger als 600 übrig bleiben. Drastische Zahlen, die nicht wenige Politiker gleich zweimal gelesen haben dürften – um sich zu vergewissern, ob man richtig gesehen hat. Die Reaktion auf die BertelsmannStudie zur Neuordnung der Krankenhaus-Landschaft schlug Wellen wie nur wenige Analysen der Stiftung zuvor. Das Gros der Politiker und die meisten Verbände gingen mit teils scharfen Worten auf Distanz. Da half es auch nicht, dass die Macher der Studie nachdrücklich darauf verwiesen hatten, dass es ihnen insbesondere um die Qualität der medizinischen Versorgung und erst in zweiter Linie um die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch die Verringerung der Klinikstandorte gegangen sei.
Von der Kritik waren die Mitglieder des Expertenteams, das an der Studie beteiligt war, nicht überrascht. Nur wenige Themen entfalten auf kommunaler und regionaler Ebene derartige Brisanz wie die Schließung von Krankenhäusern. Doch der Leiter der Studie, Jan Böcken, räumte im Gespräch mit unserer Redaktion ein, dass „der Shitstorm“, der über ihn und seine Mitstreiter hinwegfegte, schon sehr unangenehm gewesen sei. „Gerade auf Facebook oder Twitter kamen viele Sachen an, die klar unter der Gürtellinie sind“, sagte Böcken. Es sei darum gegangen, eine Diskussion über Notwendigkeiten in Gang zu setzen, die von den meisten unabhängigen Experten auf diesem Gebiet längst geteilt würden. Es gebe einfach keine Alternative zu Konzentration und Spezialisierung auf diesem Sektor. Böcken: „Wir wollen nicht zuLange Gänge wird es in Kliniken auch in Zukunft geben. Doch die Macher einer Studie fordern, die Zahl der Krankenhäuser drastisch zu verringern. Foto: Sommer, dpa
Landräten, die erkennen, dass in ihrem Kreis eine Klinikschließung die vernünftigste Entscheidung wäre, Argumente liefern. “
Was aber steht konkret in dem Werk, über das jetzt so hitzig gestritten wird? Die Studie setzt sich aus zwei übergeordneten Elementen zusammen: Über die Frage, was sich an der stationären Versorgung in Deutschland ändern muss, damit Patienten in Zukunft – genauer bis
2030 – fachlich besser versorgt werden, diskutierten elf Wissenschaftler und Experten, um dann gemeinsam ein Konzept zu formulieren. Flankierend dazu erhielt das unabhängige Berliner IGES-Institut, das über Infrastruktur- und Gesundheitsfragen forscht, den Auftrag, exemplarisch die Versorgung durch Krankenhäuser in den Städten Köln, Leverkusen und drei umliegenden ländlicheren Kreisen zu beletzt
leuchten. Die Analyse ergab, dass der Großraum Köln/Leverkusen mit 14 statt der aktuell 38 Akutkrankenhäuser besser fahren würde. Auf dieser Basis wurde dann das deutschlandweite Rechenmodell erarbeitet, das aktuell für Furore sorgt, weil es nur noch knapp 600 große Häuser für die Bundesrepublik als notwendig ausweist.
Die Bertelsmann-Studie geht davon aus, dass es schlicht zu wenige gut ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte gibt, um das derzeitige System aufrechtzuerhalten. Die These: Eine schnell erreichbare Klinik ist in vielen Fällen nicht allzu viel wert, wenn es dort an Fachärzten mangelt. Konfliktpotenzial hat auch eine weitere Rechnung: Danach hätten von den rund 19,5 Millionen Patienten, die pro Jahr (Stand 2017) in Kliniken stationär behandelt werden, vier bis fünf Millionen ambulant versorgt werden können.
Die Experten haben gerade bei den kleinen Häusern mit weniger als 200 Betten – das sind 57 Prozent der deutschen Krankenhäuser – Defizite ausgemacht. Oft würden dort technische Geräte, wie Computertomografen, fehlen. Zudem hätten die Ärzte geringere Erfahrungen bei der Versorgung von lebensbedrohlichen Notfällen. All dies könne für Patienten ein hohes Risiko bedeuten. „,Endlich sagt es mal jemand‘, so haben junge Ärzte, die an kleinen Kliniken arbeiten, unsere Studie kommentiert“, betonte Studienleiter Böcken. Viele hätten bereits die schlimme Situation erlebt, mit unzureichender technischer Ausstattung Herzinfarkt-Notfall-Patienten nicht optimal helfen zu können.
Gerade in ländlichen Regionen – das zeigen auch immer wieder öffentliche Debatten in Schwaben – ist die Sorge verbreitet, dass der Weg in die nächste Klinik noch länger wird. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, wenn das vertraute Krankenhaus vor Ort schließen soll. Die Studie antwortet auf dieses Dilemma mit dem Vorschlag, Häuser, die nicht mehr für die stationäre Behandlung benötigt werden, in „multidisziplinäre Behandlungs- und Versorgungszentren“umzubauen. Nur wer ernsthaft erkrankt, müsste dann ein entsprechend ausgerüstetes Krankenhaus aufsuchen. Gleichzeitig sollen die Rettungsdienste ausgebaut und für Angehörige Zubringerdienste zu den großen Akutkliniken angeboten werden.