Schwabmünchner Allgemeine

Saugefährl­ich

Unfall Zwei Männer fahren in einem Auto. Plötzlich schlägt eine Kugel ein und tötet den Beifahrer. Nun steht ein Jäger vor Gericht, und die große Frage ist: Könnte es jeden von uns erwischen?

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg/Amberg Stellen Sie sich vor, Sie fahren an einem schönen Sonntagvor­mittag im August mit einem Freund übers Land. Plötzlich ein lauter Knall. Ihr Beifahrer sackt zusammen. Er stirbt, tödlich getroffen von einer Kugel. Ein absolutes Horrorszen­ario, unvorstell­bar. Doch so wie die Dinge liegen, könnte das jedem passieren.

Sonntag, 12. August 2018. Ein 46 Jahre alter Mann aus der Oberpfalz hat in Nittenau (Landkreis Schwandorf) eine Drückjagd organisier­t. Zehn Jäger sind eingeladen. Ziel ist es, Wildschwei­ne aus einem Maisfeld herauszutr­eiben und zu erlegen. Viele Landwirte dringen gerade im Sommer darauf, weil sich die Schwarzkit­tel da im Feld verstecken und große Schäden anrichten. Der Jagdleiter belehrt die Teilnehmer noch über die Regeln und weist besonders auf die nahe Bundesstra­ße 16 hin. Dann kommen die Hunde und die Jagd beginnt. Und der Jagdleiter selbst feuert den tödlichen Schuss ab.

Ein knappes Jahr später ist der Mann vor dem Landgerich­t Amberg wegen fahrlässig­er Tötung angeklagt. Er weint. Seine Waffen habe er abgegeben, den Jagdschein nicht verlängern lassen. Der 46 Jahre alte Mann auf der Anklageban­k will kein Jäger mehr sein. „Auf keinen Fall“, sagt er. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, nicht ausreichen­d für Schutz gesorgt zu haben. Der Angeklagte selbst sagt, er habe die Jagd sorgfältig geplant und zwar so, dass von der Straße weg geschossen werden sollte. Zeugen bestätigen, dass er vorschrift­sgemäß über Gefahren und Sicherheit­smaßnahmen informiert und einen Verbindung­sweg zu dem Feld gesperrt habe. „Keiner schießt auf die Straße, weil keine Wildsau ist es wert, dass ein Menschenle­ben gefährdet wird“, habe er gesagt, berichtet ein Zeuge. Dennoch ist es passiert. Und die tödliche Kugel kam ausgerechn­et aus dem großkalibr­igen Benelli-Gewehr des Jagdleiter­s.

Der 61-jährige Fahrer des Autos schildert den dramatisch­en Augenblick so: Als sie das Maisfeld passierten, habe sein Verwandter auf dem Beifahrers­itz plötzlich den rechten Unterarm hochgeriss­en. Dann habe es schon einen lauten Knall getan und die Scheibe sei herausgefl­ogen. Aus dem Augenwinke­l heraus habe er am Unterarm seines Beifahrers Blut gesehen. Der 47-Jährige sei mit dem Kopf nach vorne hängend auf dem Sitz gesessen. Auf Ansprache reagierte er nicht mehr. Der Fahrer steuerte eine Ausfahrt der B 16 an. In einer Rechtskurv­e sei der Beifahrer zu ihm herübergek­ippt. „Er hat mich mit verdrehten Augen angeschaut.“Da sei ihm klar gewesen, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Laut Anklagesch­rift durchschlu­g die Kugel wahrschein­lich zuerst ein Wildschwei­n, trat in den rechten Unterarm, den der Mann am Autofenste­r liegen hatte, und dann in den Brustkorb ein. Sie durchschlu­g die Lunge, der Mann war sofort tot.

Wie das passieren konnte, ist nicht nur im Prozess eine der entscheide­nden Fragen. Warum hat ein Jagdgewehr solch eine enorme Durchschla­gskraft? Waren die Sicherheit­smaßnahmen nicht ausreichen­d? Warum sind solche sogenannte­n Erntejagde­n überhaupt erlaubt? Es war ja nicht der erste Fall dieser Art. Erst wenige Wochen zuvor war ein sechsjähri­ges Mädchen lebensbedr­ohlich verletzt worden, als sich bei einer Erntejagd in Thüringen eine Kugel in eine Kleingarte­nanlage verirrt hatte. Und ein 56-Jähriger war bei einer Erntejagd erschossen worden.

Der Bayerische Jagdverban­d rät grundsätzl­ich von dieser Jagdform ab: „Solche kurzfristi­g organisier­ten Erntejagde­n sind hochriskan­t“, sagt Pressespre­cherin Gertrud Helm. Sie bestätigt, dass viele Bauern die Jäger unter Druck setzen. Das Gefährlich­ste an dieser Art der Jagd sei, dass die Jäger ein Maisfeld umstellen und häufig – anders als empfohlen – nicht auf Holzgestel­len erhöht sitzen, sondern am Boden stehen. Doch die Höhe ist wichtig, damit der Schuss nach unten abgegeben werden kann und sichergest­ellt ist, dass die Kugel vom Boden abgefangen wird.

Dieser „Kugelfang“soll im Fall Nittenau nicht ausreichen­d vorhanden gewesen sein, sagt die Staatsanwa­ltschaft. Der 46-Jährige, der nach eigenen Angaben 1995 den Jagdschein gemacht hat, hätte nicht schießen dürfen, obwohl er auf einem speziellen Aufbau auf einem Traktor stand. Das Urteil soll am kommenden Mittwoch fallen.

Die Art der Waffe ist im Prozess kein großes Thema. Jagdwaffen müssen eine hohe Durchschla­gskraft haben, damit die Tiere nicht leiden, erklärt der Hamburger Waffenexpe­rte Lars Winkelsdor­f. „Das Geschoss eines Jagdgewehr­s kann problemlos fünf Kilometer weit fliegen – und über diese Distanz auch tödlich sein“, erklärt er. Um hohe Präzision über weite Strecken zu erreichen, sei eine hohe Energie erforderli­ch. Nach Einschätzu­ng des Experten sind in dem Fall in der Oberpfalz „ganz viele unglücklic­he Faktoren zusammenge­kommen“. Es hätte also jeden treffen können, der zufällig vorbeifähr­t? „Die Wahrschein­lichkeit ist zwar äußerst gering, aber wenn Sie so fragen: ja“, sagt Winkelsdor­f. (mit dpa)

 ??  ?? Sogenannte Erntejagde­n sind hochriskan­t, sagt sogar der Bayerische Jagdverban­d. Foto: Philipp Schulze, dpa
Sogenannte Erntejagde­n sind hochriskan­t, sagt sogar der Bayerische Jagdverban­d. Foto: Philipp Schulze, dpa

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