Schwabmünchner Allgemeine

Im Bann von Scheheraza­de

Sinfonieko­nzert Muss es bei Rimski-Korsakow immer sein Dauerbrenn­er sein? Gute Gründe sprechen dagegen – andere jedoch dafür, wie das Saisonfina­le der Philharmon­iker zeigte

- VON STEFAN DOSCH

Der klassische Konzertbet­rieb ist ein Lindwurm. Er bewegt sich gar nicht gerne, verharrt lieber in der einmal eingenomme­nen Position – mit der Folge, dass das weniger Bekannte es nicht leicht hat, sich Platz zu verschaffe­n. Rimski-Korsakow zum Beispiel: Der russische Komponist hat im sinfonisch­en Genre einiges zu Papier gebracht, und gerade von diesem Meister der Orchestrie­rkunst würde man gerne auch live ein umfassende­res Bild gewinnen. Ins Programm genommen aber wird fast immer nur seine „Scheheraza­de“. Wenngleich der Griff zu diesem Orchester-Sahnestück auch wieder verständli­ch ist: Wenn das Konzertpro­gramm wie jetzt beim Saisonfina­le der Augsburger Philharmon­iker ein ausgewachs­enes Stück avancierte­r Zeitgenoss­enschaft enthält, ist die Neigung groß, dem Publikum ein Zuckerl in Gestalt eines sinfonisch­en Dauerbrenn­ers nicht zu verwehren.

Immerhin, die Philharmon­iker sind in ihrem 8. Sinfonieko­nzert im Kongress am Park nicht der Versuchung erlegen, das den Abend einleitend­e Stück ebenfalls nach dem Beliebthei­tsgrad auszuwähle­n, sonst hätte von Sibelius vermutlich „Finlandia“erklingen müssen statt der weit weniger verbreitet­en sinfonisch­en Fantasie „Pohjolas Tochter“. Letzteres ist freilich ein nicht minder präsentabl­es Stück als jenes und nimmt, wie so manches von Sibelius, Bezug auf das finnische Nationalep­os „Kalevala“. Auch „Pohjolas Tochter“kennzeichn­et die für diesen Komponiste­n typische Verbindung von Naturlaut und Mystik, und dass die Aufführung zur fasziniere­nd farbenreic­hen Schilderun­g der unerfüllte­n Sehnsucht des Helden Väinämöine­n nach der schimärenh­aften Pohjola-Tochter geriet, war maßgeblich einem Landsmann des Komponiste­n zu verdanken: dem als Gast verpflicht­eten Dirigenten Atso Almila.

Der finnische Faden wurde weitergesp­onnen mit dem zweiten Stück des Abends, einem Flötenkonz­ert der 1970 geborenen Lotta Wennäkoski, ausweislic­h des Programmhe­fts die führende Komponisti­n Finnlands. „Soie“, französisc­h für „Seide“, ist das Stück nach seinem Schlusssat­z betitelt, die voraufgehe­nden sind mit „Schleier“und „Grobes Leinen“überschrie­ben. Gewebe, die sich klanglichs­trukturell in der Kompositio­n niederschl­agen, in luftiger Bewegtheit ebenso wie in Ballungen und in Rascheln, Knistern, Schaben… Herausford­erungen allesamt für den fa

belhaften Solisten Mario Caroli, der alle nur erdenklich­en Spielweise­n an seiner Querflöte zu exerzieren hatte, den horrenden Schwierigk­eiten jedoch mit lässiger Souveränit­ät begegnete. Debussys „Syrinx“gab er obendrauf.

Von Finnland ging es nach der Pause ins nahe gelegene St. Petersburg und doch gedanklich noch viel weiter Richtung Osten – RimskiKors­akows „Scheheraza­de“fußt, ohne Programmmu­sik im engeren Sinn zu sein, auf den Geschichte­n aus „1001 Nacht“. Und als Geschichte­nerzähler ist Atso Almila, der aus der Schule des finnischen Meisterdir­igenten-Machers Jorma Panula stammt, in seinem Element. Die Tempi legt er eher breit an, lässt dem Orchester damit Zeit fürs ge

nüssliche Formuliere­n, fürs stimmungsv­olle Ausbreiten der partiturty­pischen Orientalis­men. Und gibt sich zugleich selbst Raum für kluge Spannungsd­ramaturgie, fürs Zuspitzen wie für das komplement­äre Zurücksink­en. Nur die Klangbalan­ce gelang Almila zumindest im ersten Satz nicht optimal, da gerieten die langen Orchestert­utti doch etwas lärmig – die finalen Wogen waren bedeutend besser abgestimmt.

Die „Scheheraza­de“ist aber nicht nur Bewährungs­probe für das orchestral­e Zusammenwi­rken, sondern auch ein Dorado für solistisch­e Darbietung­en. Vorneweg natürlich für die erste Violine: Konzertmei­sterin Jung-Eun Shin mischte in die Gestaltung des Scheheraza­de-Themas Wärme ebenso wie Sinnlichke­it

und später dann noch Leidenscha­ft. Aber auch an anderen ersten Pulten – Rimski-Korsakow beschenkt in diesem Stück beinahe jedes Register mit Solofrücht­en – zeigten die Philharmon­iker, dass sie ein Sammelbeck­en herrlich sprachmäch­tiger Fabulierer sind. Und nicht nur dort: Wunderbar schmelzend das Perlmutt des gesamten Streichera­pparats im langsamen Satz, exotischve­rhangen die Farben der Holzbläser, bedrohlich-präzise das Blech insbesonde­re im Finale, immer wieder elektrisie­rend die Schlagwerk­er. Derart saftig vorgetrage­n, muss man, bei aller Neugier auf den „übrigen“Rimski-Korsakow, am Ende doch zugestehen: Tolles Stück! – Soll es ruhig seinen Lindwurm-Platz behaupten.

 ??  ?? Nicht nur der Sultan erliegt Scheheraza­de; auch das Konzertpub­likum wird sich an Rimski-Korsakows Orchesters­uite wohl nie satthören. Edmond Dulac schuf 1911 diese Darstellun­g der Erzählerin aus „1001 Nacht“. Foto: picture alliance/Leemage
Nicht nur der Sultan erliegt Scheheraza­de; auch das Konzertpub­likum wird sich an Rimski-Korsakows Orchesters­uite wohl nie satthören. Edmond Dulac schuf 1911 diese Darstellun­g der Erzählerin aus „1001 Nacht“. Foto: picture alliance/Leemage

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