Schwabmünchner Allgemeine

Unser voll vernetztes, armes Gehirn

Interview Machen Handys und digitales Dauersurfe­n dumm? Hirnforsch­er Martin Korte neigt nicht zur Panik. Aber bei manchen Formen des Umgangs mit dem Internet gehen bei ihm rote Warnlichte­r an

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Erleben wir gerade eine Revolution des Gehirns, weil viele Menschen massiv Smartphone­s und digitale Medien nutzen?

Martin Korte: Ich sehe keine Revolution unseres Gehirns. Das Gehirn ist zwar hoch anpassungs­fähig im Laufe unseres Lebens. Menschen können sehr viel lernen. Aber die genetische Grundkonst­itution unseres Gehirns verändert sich in Zeiträumen von Zehntausen­den von Jahren. Insofern erleben wir hier keine Revolution. Was ich eher glaube, ist, dass wir einen Übergangsz­ustand erleben, in dem wir lernen müssen, mit einer neuen Technologi­e umzugehen. Im Moment sehe ich jedoch Belege dafür, dass wir die digitalen Medien so einsetzen, dass wir unserem Gehirn keinen Gefallen tun.

Was läuft schief?

Korte: Eine Sache ist, dass wir zu viel Wissen auslagern und nicht mehr selbst versuchen, Wissen abzuspeich­ern. Das ist wichtig, um über komplexe Probleme nachdenken zu können und selber auf neue Lösungen zu kommen.

Was meinen Sie genau?

Korte: Es gibt Untersuchu­ngen mit Menschen, die mit dem Internet groß geworden sind, sogenannte Digital Natives. Wenn man denen eine einfache Frage stellt, denken sie gar nicht darüber nach, ob sie die Antwort selbst wissen, sondern nur über eine Internetsu­che dazu. Wir können aber nur eine vernünftig­e Suchanfrag­e starten, wenn wir schon viel wissen. Sonst kriegt man 80000 Antwort-Treffer in 0,4 Sekunden. Da bräuchte man anderthalb Lebenszeit­en, um sie zu lesen. Die meisten Nutzer lesen nur die ersten drei Treffer. Sie glauben dann, die richtige Antwort zu haben. Doch um die Antwort als gut oder schlecht einschätze­n zu können, muss man schon eine Masse Vorwissen besitzen. Dieses Wissen sammelt man aber nicht mehr, wenn man sich aufs Netz verlagert. Auch Wissen ist eine Kompetenz, die man erwerben muss.

Im Internet lassen sich doch viele Informatio­nen finden…

Korte: Ja. Aber Informatio­nen haben und denken können, dies ist ein Unterschie­d. Um ein Thema wirklich

durchdring­en, muss man selber im Kopf Dinge abgespeich­ert haben und damit arbeiten. Denn es ist eine immer wieder zu lesende Fehleinsch­ätzung, dass unser Gehirn eine Festplatte habe – die wir nicht mehr bräuchten, weil wir übers Internet ein viel höheres Speichervo­lumen besitzen. Das Gehirn hat keine Festplatte. Sondern wann immer wir auf einem Gebiet viel lernen, ein Experte oder eine Expertin werden, verändern sich im Gehirn sehr viele Prozesse. Unsere Wahrnehmun­g auf das Thema funktionie­rt anders, unser Denken, unser Handeln.

Und was wandelt sich in der digitalen Welt noch in den Köpfen?

Korte: Das Zweite, was sich im Gehirn verändert, ist, dass das Arbeitsged­ächtnis kleiner wird: Unser Konzentrat­ionsvermög­en, die Zeit, wie lange wir uns konzentrie­ren können, ohne uns abzulenken, wird kleiner. Es gibt Untersuchu­ngen, die zeigen, dass eine Reihe von Nutzern am Computer etwa 40 Sekunden einer

Sache nachgehen, bevor sie sich ablenken lassen. Man kann erwarten, dass das nicht zu einer sinnvollen Arbeitspro­duktivität führt.

Um wie viel kleiner wird das Arbeitsged­ächtnis?

Korte: Es gibt eine große Studie, dass wir hier von 15 auf 11 Sekunden abgefallen sind. Wenn man Probanden bittet, ohne dass sie wissen, worauf es ankommt, sich einen Begriff eine bestimmte Zeit lang zu merken, dann sieht man: Früher haben sie es 15 Sekunden geschafft. Jetzt schaffen die meisten nur noch elf Sekunden. Da sind wir deutlich abgefallen.

Sie sagen: Es gibt Berge von Informatio­nen

im Internet, die Menschen schwer bewerten können. Zugleich sind Menschen oft unkonzentr­iert und machen viele Sachen gleichzeit­ig. Diese Dinge spiegeln sich im Kopf?

Korte: Das Gehirn ändert seine Verarbeitu­ngswege als Reaktion auf das, was von außen reinkommt. Wenn das Gehirn sich überforder­t fühlt von der Informatio­nsmenge, die es verarbeite­n soll, dann passiert nicht, dass man sich hinsetzt und versucht, differenzi­erter zu denken. Stattdesse­n schaltet das Gehirn in einen Modus, undifferen­ziert zu denken und die Informatio­nen eher abzuwehren. Das heißt zum Beispiel für aktuelle Debatten: Man wird bei jemandem, der sich überforder­t fühlt, nicht schaffen, differenzi­ert etwa über einen US-Präsidente­n Donald Trump nachzudenk­en. Gerade wenn man hundert Fakten vorlegt, wo dieser Politiker gelogen hat, wird das Gehirn mit Vorliebe die riesige Datenmenge so stark reduzieren, dass es nur noch schwarz-weiß gibt. Zu hohe Komzu plexität führt oft zum Ausweichen ins Vereinfach­en.

Und wie sicher ist, dass das mit digitaler Technik zu tun hat?

Korte: Ganz genaue Messungen dazu gibt es nicht, also keine hundertpro­zentige Sicherheit über Ursache und Wirkung, weil man nur Korrelatio­nen, also Beziehunge­n, herstellt. Man kann zum Beispiel sagen, seit 2007/08 hat deutlich zugenommen, dass sich mehr Menschen überforder­t fühlen von Informatio­nen. Wir haben auch seitdem verstärkt Diskussion­en über Schwierigk­eiten mit sehr vereinfach­ten Darstellun­gen im Internet bis hin zu Falschdars­tellungen, also Fake News. Dieses Datum ist nicht zufällig, weil 2007 das iPhone eingeführt wurde. Kurz danach hatten in den westlichen Gesellscha­ften mehr als 50 Prozent der Menschen ein Smartphone. Seitdem wir das Internet im Telefon bei uns tragen können, ist die Informatio­nsmenge, mit der wir uns ständig umgeben, gewachsen.

Aber bewiesen ist die Verbindung nicht?

Korte: Man muss bei Korrelatio­nen immer aufpassen. Es gab auch eine große Wirtschaft­skrise und den Bankenzusa­mmenbruch 2008. Für mich ist das mit dem Smartphone jedoch eine sehr überzeugen­de Korrelatio­n.

Geht es also mit unseren Gehirnen abwärts?

Korte: Ich bin da nicht so pessimisti­sch. Es ist ja nicht die Schuld digitaler Medien, dass wir uns von Informatio­nen überlastet fühlen, sondern es geht um unsere Art der Nutzung. Bei jeder Technologi­e braucht es eine Zeit, um sich an die technische­n Gegebenhei­ten zu gewöhnen.

Interview: Petra Kaminsky, dpa

Martin Korte (54) ist Professor in der Abteilung Zelluläre Neurobiolo­gie an der TU im niedersäch­sischen Braunschwe­ig. Er untersucht die zellulären Grundlagen von Lernen, Gedächtnis und Vergessen. Der Hirnforsch­er berät Schulbehör­den zu Fragen digitaler Medien.

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Foto: Jens Büttner, dpa Anschauung­smaterial im Labor für Neurobiolo­gie am Leibniz-Institut.
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