Das herumgereichte Kind
Bertolt Brecht Vor 100 Jahren wurde sein erster Sohn Frank geboren. Er wuchs im Allgäu und später in Wien auf
Heute jährt sich zum hundertsten Mal ein markantes privates Ereignis im Leben Bertolt Brechts. Am 30. Juli 1919 wurde Frank Banholzer geboren. Der junge Schriftsteller wurde also das erste Mal Vater; unter Umständen, die nicht ganz einfach waren und für das Kind zeit seines Lebens schwierig blieben. Aber der Reihe nach.
Die am 6. August 1901 geborene Paula Banholzer war Brechts erste große Jugendliebe. Ende 1918 zeichnete es sich ab, dass die Arzttochter ein Kind von ihm erwartete. Er hielt bei deren Vater um ihre Hand an, wurde aber als mittelloser Student und fragwürdiger Schriftsteller abgewiesen. Um den Skandal einer unehelichen Geburt in Augsburg möglichst klein zu halten, wurde Paula Banholzer von ihren Eltern nach Kimratshofen im Allgäu geschickt, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen. Brecht besuchte sie während der Schwangerschaft immer wieder einmal und schrieb ihr aus Augsburg und München etliche Briefe, die deutlich machen, dass er sich auf sein erstes Kind freute.
Die Taufe wurde in Kimratshofen, im Gasthof Fäßle, am 2. August gefeiert, der Sohn, nach dem von Brecht hochverehrtem Wedekind, Frank genannt. Diese „Kimratshofener Episode“hinterließ im Werk Brechts Spuren, in den im Herbst 1919 entstandenen Einaktern „Die Hochzeit“und „Er treibt einen Teufel aus“. Auch verfasste er eigens für seinen Sohn Kindergedichte, die er in einem von Caspar Neher, dem späteren berühmten Bühnenbildner, illustrierten Buch sammelte. Es wurde nie gedruckt, das Original ist verloren.
Allerdings wurde es rasch schwie
mit Frank. Wohin mit dem Kind? Man mag das, was sich anschloss, Odyssee oder Leidensweg nennen wollen. Fest steht, dass Frank hin und her geschoben, vom Einen zum Anderen gereicht wurde.
Da Paula Banholzer ihren Sohn nicht zu sich nehmen dufte, blieb sie zunächst in Kimratshofen im Haus der Hebamme, bei der Frank geboren wurde. Dann fanden sich, gleichfalls in Kimratshofen, Pflegeeltern, zu denen er kam. Denn seine Mutter hatte zwischenzeitlich in München Arbeit gefunden. Dort verbrachte sie mit Brecht, der 1920 Dramaturg bei den Kammerspielen wurde, im Künstlermilieu offenbar eine glückliche Zeit. Abermals wurde sie von Brecht schwanger, sie
konnte sich jedoch im November 1920, wie Brecht sich ausdrückt, „selbst behelfen“, also einen Abgang herbeiführen.
Brecht hatte während seiner Beziehung mit ihr weitere Liebschaften, zu nennen wären hier die Augsburgerin Rosa Maria Amann, die Münchner Studentin Hedda Kuhn und vor allem Brechts spätere erste Ehefrau, die Opernsängerin Marianne Zoff, die ihrerseits auch noch einen anderen, wesentlich älteren Lebenspartner hatte, von dem sie, nach Ansicht Brechts, ausgehalten wurde. Ihre und Brechts gemeinsame Tochter Hanne wurde am 12. März 1923 geboren. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen Brechts zeugen von den Konflikten und diverrig
sen Schwangerschaften der Sängerin, die diese Gemengelage mit sich brachte.
1924 heiratete Paula Banholzer schließlich einen Augsburger Kaufmann. Damit war ihrer Beziehung mit Brecht endgültig ein Schlusspunkt gesetzt. Bereits 1921 hatte er versucht, Frank bei seinem Vater in Augsburg unterzubringen. Der allerdings, noch nicht lange verwitwet, hatte wohl gerade nicht die rechte Muße, sich dem Enkelsohn zu widmen. Denn er lebte nun mehr oder minder offiziell mit Marie Röcker zusammen, jener Hausdame, die Brechts Mutter bis zu deren Tod 1920 pflegte. Alles andere als selbstverständlich scheint, dass Brechts spätere Frauen, Marianne Zoff und Helene Weigel, bzw. deren Familien, sich zeitweise um Frank kümmerten. Vater Siegfried Weigel in Wien kam fünf Jahre für Franks Schulzeit in Wien auf. Frank schrieb mehrmals der „lieben Tante Helli“.
Am 22. Juni 1926 wurde Brecht, der nun seit knapp zwei Jahren in Berlin lebte, vom Amtsgericht Charlottenburg verurteilt, für seinen Sohn neun Jahre lang Unterhaltszahlungen in Höhe von 480 Mark zu leisten. Paula Banholzer konnte dann Frank, dem es gesundheitlich nicht gut ging, zeitweise bei sich in Augsburg aufnehmen und ihn bei einer Firma in Friedberg als Kaufmannslehrling unterbringen. 1935 bat sie Brecht, der im Exil war, um finanzielle Unterstützung für eine Berufsausbildung. Er lehnte ab, sagte aber eine monatliche Zahlung von 50 Mark zu.
1938 wurde Frank zum Reichsarbeitsdienst, Oktober 1939 zum Kriegsdienst eingezogen. Er fiel am 13. November 1943 an der Ostfront. Wann und unter welchen Umständen Brecht im Exil vom Tode seines ersten Sohnes erfuhr, weiß man nicht. Franks Mutter hatte seitens der Familie ihres Mannes stets darunter zu leiden, dass sie ein uneheliches Kind von Brecht hatte.
Hier nun im Bewusstsein der eigenen Integrität die Moralkeule schwingen zu wollen, gleich, in welche Richtung, wäre nicht nur allzu billig, sondern auch schlicht übergriffig. Ebenso, wie diese Tatsachen zu relativieren zum Wohlgefallen jener Gestrigen, die Brecht immer noch gerne als Projektionsfläche eigener ethischer Ideale und sozialromantischer Befindlichkeiten missbrauchen.
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Prof. Jürgen Hillesheim ist Leiter der Brecht-Forschungsstelle Augsburg