Botschaft vom erfüllten Leben
Kulturdiplomatie Warum der US-Diplomat Richard Grenell beinahe zum Schwäbischen Kunstsommer nach Irsee gekommen wäre und die Vereinigten Staaten die Uraufführung eines Chorwerkes dort sponsern
Irsee Misstöne zwischen der Alten und der Neuen Welt gehören insbesondere seit der Wahl von US-Präsident Donald Trump zum transatlantischen Alltag. Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, trägt mit einer bisweilen wenig diplomatischen Art seinen Teil dazu bei. Doch das vermeintliche Raubein kann auch anders, wie jetzt ausgerechnet weitab von Berlin und Washington deutlich wurde – nämlich beim Schwäbischen Kunstsommer der Schwabenakademie im Kloster Irsee. Ursprünglich wollte Grenell am Samstag sogar die Kunstnacht zum Abschluss der Sommerakademie in der ehemaligen Benediktinerabtei bei Kaufbeuren besuchen, doch wegen kurzfristiger anderweitiger Verpflichtungen musste er absagen. Dafür reiste der Münchner US-Konsul Stephen Ibelli an und brachte etliche Dollars für den Meisterkurs Chorgesang mit. Der Türöffner für diese nicht alltägliche Kulturdiplomatie war kein Geringerer als Dietrich Bonhoeffer.
Doch der Reihe nach: Philipp Amelung, Universitätsmusikdirektor in Tübingen und Leiter des Kunstsommer-Chores, wollte mit seinem Projektensemble ein Programm ausschließlich mit Werken amerikanischer Komponisten einstudieren, darunter eine Auftragskomposition seines langjährigen Freundes Randall Svane (geboren 1955). Der vertonte daraufhin das Gedicht „Wer bin ich?“, das Bonhoeffer 1944, wenige Monate vor seiner Hinrichtung im Konzentrationslager Flossenbürg, geschrieben hatte. Als möglichen Sponsor kontaktierte Schwabenakademie-Direktor Markwart Herzog deshalb auch die US-Botschaft, allerdings „mit keinen allzu großen Erwartungen“, wie er berichtet. Doch beim Stichwort „Bonhoeffer“sei das Interesse plötzlich groß gewesen.
Der Grund: Ebenso wie Komponist Svane ist Botschafter Grenell in einer evangelikalen Familie aufgewachsen, in der die Schriften des deutschen Theologen größtes Ansehen genossen und rege gelesen wurden. In einem ungewöhnlich persönlichen und emotionalen Grußwort, das vor der Uraufführung in der Irseer Klosterkirche verlesen wurde, schreibt Grenell, dass die Lehren eines „wahren Propheten“durch „alle Zeiten“bedeutsam blieben. So habe er die ihm seit der Kindheit vertrauten BonhoefferTexte wieder intensiv gelesen, als bei ihm vor einigen Jahren eine schwere Krebserkrankung behandelt werden musste. „Er hat uns gelehrt, wie man ein erfülltes Leben lebt“, so Grenell. Das rührte vermutlich auch die Kunstnacht-Besucher, die in Hinblick auf den politischen Ruf des Botschafters und das zu erwartende enorme Sicherheitsaufgebot im Kloster Irsee über die Absage des Top-Diplomaten gar nicht so unglücklich waren. Weil sein Flug annulliert worden war, konnte außerdem auch Svane nicht bei der Uraufführung seines Werkes im Allgäu dabeisein.
So mussten Stück und Chor ohne prominente Unterstützung glänzen – und das taten sie zweifellos. Denn der Komponist hat „Wer bin ich?“sehr einfühlsam, textgetreu und entsprechend lautmalerisch in Noten gesetzt, den Zwiespalt zwischen dem selbstbewussten Auftreten des KZ-Häftlings und den inneren Kämpfen und Zweifeln moderntonal und ohne jede Effekthascherei interpretiert. Dazu gesellten sich weitere geistliche Werke aus den USA von William Billings, Randall Thompson und Aaron Copland, die die Bonhoeffer-Vertonung nicht nur klug ergänzten, sondern auch Lust auf mehr amerikanische Chormusik machten – und auf mehr solcher transatlantischer Duette.
Svane-Uraufführung und Chorkonzert waren freilich nur eine Facette der Abschlussnacht des inzwischen 32. Schwäbischen Kunstsommers. Insgesamt neun Meisterklassen hatten sich eine Woche lang intensiv den Künsten von zeitgenössischem Tanz über Malerei, Lyrik und Prosa bis hin zu einem Streichquartett von Beethoven gewidmet. Bemerkenswert dabei die Ergebnisse der Klasse Textilkunst von Britta Ankenbauer, die eindrucksvoll vor Augen führten, dass dieses Genre nichts mit schnöder Handarbeit zu tun, sondern sich als ernsthafte Kunstform etabliert hat.