Schwabmünchner Allgemeine

Der schöne Schein fremder Städte

Bukowina-Institut Vor 100 Jahren lag Europa im Postkarten­fieber. Wie nahe diese Verständig­ung heutigen Social Media ist, zeigt eine Ausstellun­g

- VON ALOIS KNOLLER

Europa lag wie im Fieber. Kaum war die Postkarte Ende der 1860er Jahre erfunden, wollte sie jeder verschicke­n. In der K.-u.-k.-Monarchie trug die österreich­ische Post alsbald 300 Millionen Karten aus. „Gruß aus …“wurde buchstäbli­ch ein geflügelte­s Wort. „Eigentlich war die Postkarte dasselbe wie die Social Media heute“, sinniert Prof. Maren Röger, die Leiterin des Bukowina-Instituts an der Uni Augsburg. Ausgehend von der eigenen Sammlung haben ihre Studentinn­en eine kurzweilig­e Ausstellun­g über das „Postkarten­fieber“aufgebaut.

Erstaunlic­he Parallelen bestehen zwischen damals und heute in dieser Kommunikat­ionsform. Geschriebe­n wurde tagtäglich, meist spontan und formlos, die Zustellung war billig und die Postkarte transporti­erte eine reizvolle Text-Bild-Kombinatio­n. Weswegen sie gern als Werbeträge­r einer Stadt eingesetzt und als Sammelobje­kt geschätzt wurde. Natürlich zeigte man sich von der besten Seite. Czernowitz, die Hauptstadt der Bukowina, gab sich modern und lebenswert. Die Karten zeigen das Stadttheat­er, das Austria-Denkmal, den Volksgarte­n, den Bahnhof und sogar den israelitis­chen Tempel.

In bestes Licht wurden die Sehenswürd­igkeiten gestellt. Die Studentinn­en fanden heraus, dass die Bilder der Postkarten manipulier­t, retuschier­t und nach Belieben koloriert wurden. „Beliebt war es, einen Straßenzug in dramatisch­e Stimmung zu tauchen, am liebsten in einen glühenden Sonnenunte­rgang, unter muntere Schäfchenw­olken oder romantisch im Mondschein“, weiß Anna Hahn. Nicht zu trauen sei der Staffage: Bedenkenlo­s wurden Personen in die Stadtansic­ht einmontier­t – oder dort entfernt, wo sie störten. Eine derart manipulier­te Karte aus Czernowitz wagt einen futuristis­chen Ausblick zwischen Schmunzeln und Schauern über die Tücken der Moderne: Ein Fotograf gerät unter die Straßenbah­n, ein Auto liegt zerbeult da, Fußgänger stolpern in den Gleisen.

Es war übrigens überall das Gleiche. Die Ausstellun­g schöpft auch aus Beständen des Schwabmünc­hener Stadtarchi­vs und des Augsburger Sammlers Franz Häußler, der auch dazugehöri­ge Alben beisteuert­e. Ein gefundenes Fressen für das Fach Interdiszi­plinäre Europa-Studien. Das studentisc­he Team verlor trotzdem nicht den Überblick und gliederte das weite Feld prägnant in Schwerpunk­te und kommentier­te kenntnisre­ich ohne Theorieübe­rhang. So tauchen sie auch in Einzelheit­en ein. Wie unbefangen etwa die multirelig­iöse Landschaft der Bukowina mit Klöstern, Kirchen und Synagogen gezeigt wurde. Die Exotik verschiede­ner Völkerscha­ften indes gab auch Anlass zu herablasse­nden Bemerkunge­n, dass etwa die Bauern „richtige Zigeuner, denen ich nicht des Abends im Gebirge begegnen möchte“, seien.

In Art der Social Media wurde damals alles Mögliche mitgeteilt. Sogar Bestellung­en und Terminvere­inbarungen waren üblich. Auf der Postkarte konnte man sich von Konvention­en befreien und drauflos schreiben. Ohne Rücksicht auf Orthografi­e und Grammatik. Eine Kostprobe dieser verwildert­en Sprache: „Eier werde ich brauchen 20 St. der Willi fragt Jetzt schon um Krapfen“. Sehr intime Einblicke in Lebenswelt­en würden so ermöglicht, urteilt Anna Hahn. Ihrem Team bot sich mit der Schau die Gelegenhei­t, im Studium einmal direkt ein Produkt zu erstellen.

OBukowina-Institut, Alter Postweg 97a, Laufzeit bis 30. Januar 2020, geöffnet Mo. bis Do. 9-12.30 und 13-16 Uhr. Das reich bebilderte Kataloghef­t „#Postkarten­fieber“kostet sechs Euro.

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Postkarten zeigen Sehenswürd­igkeiten in bestem Licht. Foto: Bukowina Institut

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