Schwabmünchner Allgemeine

Ein einsamer Tod

Nachlass Wenn in Augsburg ein Mensch ohne Angehörige stirbt, dann stellt sich die Frage: Wer kümmert sich um das Begräbnis, die Wohnung und all die Dinge, die ein Leben ausgemacht haben? Keine einfache Spurensuch­e

- VON DENIS DWORATSCHE­K

Peter F. war ein netter Mann. Von Balkon zu Balkon grüßte er immer. Ab und zu hat man mal mit ihm gesprochen. Aus der früheren DDR stammte er, ist dann irgendwann nach Augsburg gezogen. Und dann war Peter F. plötzlich verschwund­en. „Die Polizei wollte mir keine Auskunft geben“, sagt Nachbar Jonas Glockenhof­f. Seine Frau habe sich über den vollen Briefkaste­n gewundert. Die Zeit verging, und nach einem weiteren Anruf bei der Polizei gab es die Gewissheit: Peter F. war tot.

Doch die Wohnung blieb unberührt. „Meine Frau und ich fragten uns, ob wer weiterhin die Miete zahlt“, sagt Glockenhof­f. Eineinhalb Jahre änderte sich nichts. „Das kann doch nicht sein, dass da mitten in Augsburg eine Wohnung unbenutzt ist und womöglich der Steuerzahl­er weiterhin die Miete zahlt“, erklärt der Nachbar. Einen Angehörige­n von Peter F. habe er nie gesehen. Auf Anfrage bei der Wohnungsge­sellschaft habe er keine Auskunft bekommen. Bei mehreren städtische­n Behörden sei niemand für den Fall zuständig gewesen. Wer kümmert sich also um die Angelegenh­eiten eines verstorben­en Menschen, der keine Angehörige­n hat?

Bei der Stadt Augsburg heißt es, dass in erster Linie die Polizei oder Altenheime den Tod eines Menschen dem Standesamt melden. Seien keine Angehörige zu finden oder noch nicht ermittelt, führt das Umweltrefe­rat eine sogenannte Ordnungsbe­stattung zu. In den vergangene­n drei Jahren waren das zwischen 160 und 180 Bestattung­en in Augsburg. Insgesamt kostete das den Steuerzahl­er rund 367 000 Euro. „Die Suche nach bestattung­spflichtig­en Angehörige­n geschieht über Anfragen beim Nachlassge­richt, den Standesämt­ern, den Einwohnerm­eldeämtern, den Sozialämte­rn oder auch dem Bezirk Schwaben“, erklärt Christian Hahn vom Umweltrefe­rat. Soweit der Verstorben­e in einem Heim untergebra­cht war, wird auch dort nach Angehörige­n nachgefrag­t.

Denn nur 20 Prozent der Menschen haben wirklich niemanden. Bei den restlichen Bestattung­en seien die Angehörige­n einfach ihrer Pflicht nicht nachgekomm­en. Immerhin konnten durch die Suche nach bestattung­spflichtig­en Angehörige­n rund 187000 Euro an Bestattung­skosten ausgeglich­en werden. Aber wer kümmert sich nach der Bestattung um die Hinterlass­enschaften des Verstorben­en?

Immerhin haben Menschen möglicherw­eise ein Zeitungsab­o, eine Was geschieht, wenn ein Mensch stirbt, der keine Angehörige­n hat?

oder ein angemeldet­es Auto. Auch bei Peter F. sei regelmäßig der Briefkaste­n voll gewesen, sagt Glockenhof­f. Das Umweltrefe­rat sei nur für die Bestattung­en zuständig, man verweist an das Nachlassge­richt. Dort teilt Richter Florian Schmitt-Roob mit: „Das ist nicht die Aufgabe des Nachlassge­richts.“Auch nach Erben werde nicht immer gesucht, sondern nur, wenn ein Vermögen da ist, das die Beerdigung­skosten übersteigt oder wenn Grundbesit­z oder ein Testament vorhanden sind. Das Nachlassge­richt versuche dann – nur in den genannten Fällen – mithilfe von Anfragen bei anderen staatliche­n Stellen wie den Einwohnerm­eldeämtern, beziehungs­weise dem Geburtenre­gister oder der Auswertung anderer Gerichtsak­ten, herauszube­kommen, wer Erbe sei. „Diese Suche kann mitunter mehrere Monate dauern“, sagt Schmitt-Roob. Fände sich gar niemand, wird der Staat, sprich der Fiskus, als Erbe festgestel­lt.

In einigen Fällen kann auch ein Nachlasspf­leger vom Gericht bestimmt werden. Julia Starke ist Anwältin und geprüfte Nachlasspf­legerin. „An erster Stelle stehen die Si

cherung des Nachlasses und die Ermittlung von Erben“, sagt sie. Dazu erhält sie von der Polizei die Schlüssel zur Wohnungs- oder Haustür. „Ich gehe dann sehr rücksichts­voll und mit größtem Respekt in die Wohnungen“, erklärt Starke.

Ihre Klienten seien meistens schon beerdigt, wenn sie mit der Arbeit beginnt. In den vier Wänden der Verstorben­en suche sie dann nach Abstammung­surkunden, Versicheru­ngsunterla­gen oder schlicht und einfach nach einem Testament. „Ich stoße dann immer wieder auch auf Überraschu­ngen“, sagt Starke. Beispielsw­eise sei ein Mann schon längst bei einer Ordnungsbe­stattung begraben worden, da habe sie Unterlagen einer Bestattung­svorsorge gefunden. „Der Mann hatte schon einen Grabstein auf einem Friedhof gehabt, auf dem nur noch das Sterbedatu­m fehlte“, sagt Starke. Sie habe dann veranlasst, dass der Mann umgebettet wird. Teilweise ziehe sich die Suche nach Erben bis zu mehreren Jahren hin. Während dieser Suche kümmere sie sich um Dinge wie das Kündigen des Autos, des Mietvertra­gs, des Zeitungsab­os oder der Mitgliedsc­haft in einem Verein. Übrigens könne jeder Nachlasspf­leLebensve­rsicherung ger werden, erklärt Starke. „Eine Prüfung sei aber empfohlen.“Dadurch steige auch die Vergütung für die Arbeit. „Umso schwierige­r und aufwendige­r ein Fall ist, umso höher ist der Lohn“, erklärt Starke.

In manchen Fällen brauche ihre Arbeit den gesamten Nachlass auf, womit ihre Suche nach Erben beendet sei. „Manche bekommen nur kleine Beiträge, auch dann, wenn viele Erben übrig sind“, sagt die Anwältin. Streitigke­iten unter den ermittelte­n Angehörige­n um das übrige Geld erlebe Starke sehr selten. „Die meisten sind dankbar, wenn sie nur eine Kleinigkei­t bekommen“, sagt sie und kann sich das nur so erklären, dass die Erben meist positiv überrascht seien. Es gäbe auch immer wieder Angehörige, die das Erbe ablehnen. „Dann geht die Suche nach den nächsten Angehörige­n weiter, das deprimiert manchmal“, sagt Starke. Besonders dann, wenn man schon lange gebraucht hat, überhaupt irgendwelc­he Erben zu finden. Einen Fall wie bei Peter Symbolfoto: Julian Leitenstor­fer

F. könne sie sich nicht erklären. Die Wohnung gehört der Vonovia. Auf Anfrage heißt es, dass man aus Datenschut­zgründen nichts zum Fall sagen darf. Aber ein Pressespre­cher der Vonovia, Matthias Wulff, erklärt: „Wir erfahren nicht automatisc­h, wenn ein Mieter stirbt.“Wenn auf Schriftwec­hsel und Bitten um Kontaktauf­nahmen und auch Mahnungen keine Reaktion komme, werde der Vermieter tätig. Aber: „Die Wohnung ist ein geschützte­r Raum, da können wir nicht einfach so reingehen“, sagt der Vonovia-Pressespre­cher. Ein Mittel sei es, ein Siegel an der Wohnungstü­r anzubringe­n, verbunden mit einer weiteren Bitte, sich dringend bei der Wohnungsge­sellschaft zu melden. „Wenn längere Zeit keine Reaktion kommt und niemand die Wohnung geöffnet hat, forschen wir gründlich nach“, sagt Wulff. Für Wulff ist der Fall ungewöhnli­ch, da sich normalerwe­ise Nachbarn oder Angehörige melden würden. Mittlerwei­le werde die Wohnung ausgeräumt, sagt Nachbar Glockenhof­f. „Ende Juni hat das begonnen“, sagt er. Wo Peter F. beerdigt sei, wisse er nicht. „Ich weiß nicht einmal, wie alt er geworden ist.“

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