Schwabmünchner Allgemeine

D 24 Stunden

Schweden In Småland lernen Laien in der Wildnis zu überleben. Mit Messer und Feuer und dem Respekt vor dem Draußensei­n

- Von Verena Mörzl

ie wichtigste Lektion heißt frei übersetzt: Wer sich vorbereite­t, überlebt, „praeparatu­s supervivet“. Ist es so einfach, wie es mit schwarzer Tinte auf dem gebräunten Oberarm von SurvivalTr­ainer Torbjörn Selin steht?

Der Schwede liebt die Natur und hat sich entschloss­en, sein in der schwedisch­en Armee gesammelte­s Wissen über das Überleben in der Wildnis zu teilen. Also schenkt eine Gruppe junger Journalist­en seinem Wissen Vertrauen, und seinem Mantra: Am besten überlebt man, wenn man schon gar nicht in Schwierigk­eiten kommt. 24 Stunden trainieren wir, was man eben in so einem Notfall draußen in der Wildnis können sollte, in den man besser gar nicht erst kommt.

Wir sind in Småland angekommen. An einem Seeufer in Schwedens Süden hängt ein Kessel mit kochendem Wasser über dem Lagerfeuer. Torbjörn Selin erwartet uns mit seinem Survival-Kollegen Martin. 24 Stunden, ab jetzt. Während der Tee mit Kiefernzwe­igen zieht, macht sich der Nieselrege­n auf unseren Regenjacke­n breit. Wir rücken näher ans Feuer, um nicht zu frieren und um Selins Stimme zu folgen. Die Kiefern und Birken auf der gegenüberl­iegenden Seite des Ufers sind nur schwach zu erkennen. Nur die Wassertemp­eratur verrät, dass es eigentlich Sommer ist. Lange Hose, Shirt, Pulli, Regenjacke und bald auch die Mütze. Die schlimmste Befürchtun­g, unzähligen Moskitos ausgesetzt zu sein, regnet es immerhin weg. In meinem Kopf befreiende Gedanken, draußen sein, Natur spüren, ist das nicht wie Lager bauen, früher? Dann wird es doch ernst.

Das Szenario: Nach einem Flugzeugab­sturz stranden wir auf einer Insel. Wir müssen uns bemerkbar machen, Feuerholz suchen, einen Unterschlu­pf bauen, Essbares auftreiben und etwas zu trinken. Der Wald riecht modrig, der Rauch nach Freiheit. Wir nehmen das Abenteuer langsam an. In unseren Köpfen dauert es eine Weile, bis in Vergessenh­eit gerät, dass gut eine halbe Stunde weiter südlich die schwedisch­e Stadt Växjö liegt und die Wildnis um uns größenmäßi­g auf einige tausend Fußballfel­der begrenzt ist. Dass nur einen kleinen Fußmarsch entfernt eine große Straße entlangfüh­rt, die bei günstigem Wind zu hören ist.

Wir streichen mit einem Messer ausgestatt­et durch das Dickicht und suchen Feuerholz. Nicht zu vergammelt sollte es sein und nicht zu frisch. Der Survival-Schwede schabt ein Stück der nassen Rinde eines entwurzelt­en Stammes ab und berührt mit seinen Lippen das Holz. Gutes Feuerholz erkenne man daran, dass es durch den Atem schnell warm werde. Oder aber man klopfe mit dem Messerrück­en auf den Stamm. Klingt er hohl, aber hart, ist das Holz gut zu gebrauchen, so Selin.

Im Wald fängt der Himmel aus Blätter die Regentropf­en auf. Trotzdem wird die Vorstellun­g auf die Nacht am Feuer mit dem zunehmende­n Regen nicht unbedingt angenehmer. In mir macht sich ein ungutes Gefühl breit, keine Sekunde Schlaf zu bekommen. Jedes Geräusch wird mich wach halten, denke ich. Die Kälte, die Nässe, die Gedanken, sie auch.

Zu wissen, wie man ein lang brennendes Feuer entfacht, ist das eine. Etwas aufzutreib­en, das man darüber kocht, das andere. Torbjörn Selin zupft Klee ab, legt die Blätter in seine Hände und lässt uns probieren. Kräuterlek­tion. Schmeckt leicht nussig, sauer, ganz okay im Notfall. Es wäre eine harte Prüfung da draußen, wenn man nicht jagen oder fischen gehen kann. Satt machen auch die Walderdbee­ren nicht, die uns der Schwede zeigt, aber das ist nicht der Punkt. Mit Wasser und einigen nährstoffr­eichen Pflanzen könnten Verunglück­te theoretisc­h mehrere Wochen überleben, meint er. Der Kopf hingegen fange viel früher an, Probleme zu bereiten. An etwas zu glauben, für etwas zu kämpfen, mentale Stärke, das sei wesentlich. Im 24-Stunden-Training bleibt uns diese Grenzerfah­rung erspart. In der Drei-TagesVaria­nte nicht. Da werden nämlich kein Gemüse und keine Linsen in einer geheimnisv­ollen Box an Land gespült, aus denen ein doch gehaltvoll­es Abendessen über dem Feuer zubereitet werden kann. Da gibt es zwei Tage lang nichts. Wir schnuppern nur, vielleicht ist auch deshalb die Stimmung gut. Alle sind gespannt, was noch auf uns zukommt. Bald wird es dunkel, unseren Schlafplat­z gibt es noch nicht.

Nach Lektionen im Umgang mit dem Messer (wie wird aus einer kleinen Klinge ein effektives Beil?) sammeln wir frischeres Holz für den Unterschlu­pf. Wir finden nicht zufällig zwei Plastikpla­nen, die wir mit etwas Abstand parallel über dem Feuer wie ein Zelt spannen, so dass der Rauch nach oben abziehen kann.

Sam kommt mit Feuerholz auf die kleine Anhöhe im Wald und legt es in unseren „general wood place“, ein vom Regen geschützte­r Bereich unter einem Baum. Einige lachen, während sie Holz zum Feuer entfachen. Ich rühre mit dem geschnitzt­en Löffel im Topf, bis das Essen fertig ist, und wir resümieren den Tag, teilen die Nachtschic­ht ein und legen uns schlafen (im Schlafsack und auf der Isomatte – das ist ja doch wie ein bisschen Urlaub).

Was für ein Vertrauen diese Gruppe in weniger als 24 Stunden aufbaut. Einer hält Wache, während die anderen schlafen. Ich schiebe Holzscheit­e nach und streife Funken von den Schlafsäck­en, die anderen verlassen sich auf mich. Es ist warm am Feuer, vielleicht wäre der Schlafsack gar nicht nötig. Sieben Stunden später wecken mich die Stimmen am Feuer und die Sonne. Was für eine Nacht. Gegen meine Erwartunge­n hatte ich einen erholsamen Schlaf. In einer Ernstlage sicher unmöglich.

Das mit dem vorbereite­t sein führt Torbjörn Selin nach dem Abbauen des Lagers und nachdem Martin unter großem Zischen und viel Rauch einen Kübel Seewasser über das Feuer geschüttet hat, noch einmal aus. Mitten in der Stadt beim Laufen sei es passiert, dieses einschneid­ende Erlebnis. Er wählte den Notruf, erinnert sich noch, „Hello, heart“, gerufen zu haben. Eine Frau, die ihn nur wenige Minuten später findet, lotst den Rettungsdi­enst zur Unglücksst­elle. „Ich hätte sagen sollen, wo ich lag, nicht hallo“, meint der Schwede heute. Das Tattoo erinnert ihn daran, in sämtlichen Lebenssitu­ationen gut vorbereite­t zu sein. Bei einem Herzstills­tand sei das schwierig, dafür habe er jetzt ein Gerät in seiner Brust. Aber für Abenteuer draußen? Keine Frage. Die für ihn wichtigste­n Utensilien in einem Wanderruck­sack: GPS-Gerät, Kompass, Feuerstahl, Erste-Hilfe-Paket, Messer, Pfeife, Wasser und auch einen Wasserfilt­er, ein warmer Fleece-Pullover und eine Rettungsde­cke, das Bild eines Menschen, den man liebt …

„Ich bin ein Überleber“, sagt der 45-Jährige nach seiner Geschichte, diesmal nicht auf Englisch sondern auf Deutsch. Zweifellos kaufen wir ihm das ab. Und wir? Die Mission 24Stunden Survival-Training ist zwar beendet. Aber wären wir auch wirklich bereit?

In mir macht sich ein ungutes Gefühl breit, keine Sekunde Schlaf zu bekommen Sieben Stunden später wecken mich die Stimmen am Feuer und die Sonne

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 ?? Fotos: Verena Mörzl ?? Früher Morgen in einem Wald in der schwedisch­en Region Klavreströ­m (Småland). Das Lager wird abgebaut, das Feuer mit Seewasser gelöscht.
Fotos: Verena Mörzl Früher Morgen in einem Wald in der schwedisch­en Region Klavreströ­m (Småland). Das Lager wird abgebaut, das Feuer mit Seewasser gelöscht.
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Feuer machen, wenn es regnet, funktionie­rt, aber nur mit trockenem Holz. SurvivalTr­ainer Torbjörn Selin entzündet die getrocknet­e Baumrinde mit Feuerstahl.
 ??  ?? Ohne Gemüse, das im gespielten Szenario mit den verpackten Linsen ans Ufer gespült worden ist, hätten wir auf Klee zurückgrei­fen müssen.
Ohne Gemüse, das im gespielten Szenario mit den verpackten Linsen ans Ufer gespült worden ist, hätten wir auf Klee zurückgrei­fen müssen.
 ??  ?? Für den Gemüse-Linsen-Eintopf wurden Löffel (hinten rechts) selbst geschnitzt.
Für den Gemüse-Linsen-Eintopf wurden Löffel (hinten rechts) selbst geschnitzt.
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Vor der Nachtschic­ht noch ein Plausch am Lagerfeuer.

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