Schwabmünchner Allgemeine

Wind von vorne

Winterlich­er Hygge-Urlaub auf Fanø

- VON ANDREAS HEIMANN

An diesem eisigen Wintermorg­en ist der Himmel ein einziges großes Grau. Frost. Am Strand von Sønderho im Süden von Fanø lässt sich niemand blicken. Der Wind weht über die Dünenkette, vor der sich das Wattenmeer scheinbar endlos ausbreitet. Gemütlich ist es nicht gerade. Dabei gilt Fanø, die kleine Insel vor der jütländisc­hen Westküste mit ihren rund 3400 Menschen als besonders hyggelig – wenn nicht gar als Inbegriff dänischer Behaglichk­eit.

Doch bei diesen Temperatur­en ist von Hygge nichts zu merken, jedenfalls nicht, wenn der Wind von vorne kommt. Helen Dörte Mähler ist das gewohnt. Die 37-Jährige trägt einen Schneeanzu­g und macht am Strand ein, zwei vorsichtig­e Schritte nach vorne. Im Wattenmeer vor Fanøs Küste ist Ebbe, die Nordsee hat sich weit zurückgezo­gen. Den Wattboden bedeckt eine dünne Eisschicht.

Mähler kennt das Watt gut, auch im Winter. Nach ein paar Minuten läuft es sich auf dem Eis wie sonst auf dem Schlickbod­en. Mähler macht regelmäßig Führungen auf ihrer Insel, bei gutem Wetter bis zu der Sandbank, auf der sich Seehunde und Kegelrobbe­n von ihren Beutezügen in der Nordsee ausruhen. Aber an diesem Wintermorg­en ist sie leer. Das Wattenmeer scheint sich am Horizont zu verlieren. Helen Dörte Mähler stammt aus der Nähe von Hamburg. Sie wohnt mit ihrer Familie seit mehr als vier Jahren in Sønderho in einem Reetdachha­us. Davon gibt es dort ziemlich viele. Rund 75 stehen unter Denkmalsch­utz. Das Dorf gilt als besonders hyggelig und wurde 2011 zum schönsten in ganz Dänemark gewählt. Alle Häuser haben höchstens zwei Etagen. Manche scheinen etwas ins Wanken geraten zu sein. Hier ist mal ein Fenster schief, da eine Tür. „Die Fanø-Häuser haben kein Fundament“, sagt Mähler bei ihrer Dorfführun­g. Die Insel der Seeleute

Fanø war in der dänischen Schifffahr­tsgeschich­te mal eine große Nummer: Die Insel hatte die zweitgrößt­e Flotte nach Kopenhagen und Sønderho fast dreimal so viele Einwohner wie heute. Schon damals war der „Sønderho Kro“eine der ersten Adressen der Insel, eines der ältesten Gasthäuser Dänemarks, erbaut 1722.

Auch wenn es draußen schüttet, der Wind pfeift und es am frühen Abend längst stockdunke­l ist, sitzen dort die Gäste in der Stube mit der tiefen Holzdecke und den holländisc­hen Fliesen an den Wänden. Das Gefühl der Geborgenhe­it, das Wissen, dass als nächster Gang Milchreis serviert wird, wie das in Dänemark typisch für die Weihnachts­zeit ist: Vielleicht ist das der Inbegriff von Hygge.

Lone Müller Sigaard sitzt in der Küche ihres Hauses. Am Nachmittag hat sie genäht, eine Jacke, wie sie zur Tracht der Insel gehört. Sie hat schon eine, die ihrer Urgroßmutt­er gehört, und eine von ihrer Mutter.

Nähen ist für Lone Müller Sigaard etwas Typisches für die kalte Jahreszeit. Um zu lernen, wie das geht, hat sie an einem Trachtennä­hkurs teilgenomm­en. „Die Trachten gehören zu den Traditione­n von Fanø, die hier nie ausgestorb­en sind. Ich mache auch für meine Tochter noch ein Kleid“, erzählt sie. Vielleicht macht es auch die Insel gerade für viele Deutsche so attraktiv, dass manches, was anderswo nur Folklore ist, hier noch authentisc­h wirkt – auch wenn im Alltag keine Frauen mehr in Tracht rumlaufen. Lone Müller Sigaard stammt von der Insel, hat aber 18 Jahre lang in Valencia und Kopenhagen gewohnt. Inzwischen lebt sie davon, dass viele andere Fanø genauso hyggelig finden wie sie. Und mit ihrer Hilfe auf der Insel heiraten wollen. Rund 500 Paare reisen jedes Jahr zur Hochzeit an, viele davon aus Deutschlan­d. „Hochsaison dafür ist von Mai bis September – und dann im Dezember“, sagt Lone Müller Sigaard. „Dezember ist der Hygge-Monat.“Im Winter sei dieses Gefühl von Gemütlichk­eit und Geborgenhe­it noch viel intensiver zu spüren. Dieses Zusammenrü­cken, wenn es draußen kalt und dunkel ist. Klingt einleuchte­nd: Wer braucht schon Hygge im Hochsommer?

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Winterlich­es Abendrot: Wer in der kalten Jahreszeit nach Fanø kommt, sucht dort ruhige Natur und Behaglichk­eit. Foto: Fanø Turistbure­au, tmn
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Foto: Andreas Heimann, tmn
Auf Fanø reicht die Sicht im Winter oft nur ein paar Meter weit. Foto: Andreas Heimann, tmn

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