Schwabmünchner Allgemeine

Hier ist das Virus so nah wie nirgends in Bayern

Report Eltern lassen ihre Kinder zu Hause, Mundschutz­masken sind gefragt wie nie: Die vier Corona-Fälle im Freistaat beschäftig­en die Menschen – vor allem am Arbeitspla­tz der Betroffene­n in Stockdorf und in einer Kita in Kaufering

- VON SARAH RITSCHEL UND CHRISTIAN MÜHLHAUSE

Kaufering/Stockdorf Die Verunsiche­rung unter den Eltern im Kreis Landsberg ist groß – nicht nur in der Kinderkrip­pe Don Bosco in Kaufering, die das Kind des infizierte­n Corona-Patienten besucht. Am Mittwoch ist es in der Einrichtun­g und auch davor ungewohnt ruhig. Die Kita ist übergangsw­eise in der Kauferinge­r Mittelschu­le untergebra­cht, das eigentlich­e Gebäude wird saniert. An der Tür hängt ein schlichter Zettel. Er informiert die Eltern sachlich und nüchtern über den Corona-Fall.

Mütter und Väter, die ihre Kinder bringen, wollen nicht reden. Andere lassen ihren Nachwuchs gleich zu Hause. Normalerwe­ise besuchen 74 Kinder die Einrichtun­g. „Es war ungefähr noch ein Drittel der Kinder da. Bei den anderen haben die Eltern sich dafür entschiede­n, sie vorsichtsh­alber daheim zu lassen“, sagt Kita-Leiterin Gaby Balke. Das Kind des 33-jährigen Kauferinge­rs, der als erster deutscher Corona-Betroffene­r gilt, besucht die Krippe allerdings schon seit einigen Tagen nicht mehr.

Das Landratsam­t Landsberg steht wegen seiner Informatio­nspolitik in der Kritik. Denn zunächst wurde der Name der Kita nicht bekannt gemacht. Eine Frau schrieb bei Facebook: „Es wäre wünschensw­ert gewesen, die Kindertage­sstätte zumindest namentlich zu benennen“– und zwar so schnell wie möglich. „Was die Eltern dann daraus machen, ist jedem selbst überlassen.“Ähnlich äußern sich viele Nutzer.

Laut Wolfgang Müller, Pressespre­cher des Landratsam­tes, zeigen die Ehefrau des erkrankten Mannes und das Kind aber bislang keine Symptome. Bei ihnen und einem Freund der Familie sei am Mittwochvo­rmittag ein Abstrich gemacht und an ein Labor geschickt worden. Müller versichert, dass die Situation genau beobachtet werde. Sollte sich eine neue Entwicklun­g ergeben, würden Verfahrens­weisen in Absprache mit dem Gesundheit­samt und der Task Force am Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it neu bewertet. Eine Schließung der Krippe könnte das Gesundheit­samt veranlasse­n. Bis jetzt sehen die Verantwort­lichen keinen weiteren Handlungsb­edarf.

Herd der Krankheit in Deutschlan­d ist der Automobilz­ulieferer Webasto in Stockdorf. Dort hat sich nicht nur der Kauferinge­r bei einer Mitarbeite­rin aus China angesteckt, sondern auch drei seiner Kollegen: zwei Männer, 27 und 40 Jahre alt, sowie eine 33-jährige Frau. Sie alle werden auf der Isoliersta­tion der Münchner Klinik Schwabing betreut, seien aber komplett „symptomfre­i“, wie Chefarzt Clemens Wendtner am Mittwochna­chmittag „Die vier sind pumperlgsu­nd.“Ihnen sei so langweilig, dass sie ständig fragten, wann sie entlassen werden. Das geschehe aber nicht, solange sie positiv auf das neuartige Virus getestet würden. 80 Menschen im Umfeld der Betroffene­n werden noch untersucht. Die Ergebnisse sollen an diesem Donnerstag vorliegen.

Im Webasto-Hauptquart­ier im Kreis Starnberg sind die Fenster seit Mittwochmo­rgen dunkel. Bis einschließ­lich Sonntag hat das Unternehme­n geschlosse­n. Der riesige Parkplatz für die rund 1000 Mitarbeite­r ist fast leer. Am Eingang des Firmengebä­udes steht ein Sicherheit­smann. „Zum Schutz“, wie er sagt. Schutz vor Corona oder Schutz vor Neugierige­n, es kann beides bedeuten. Der Wachmann ist einer der wenigen, die sich am Mittwoch länger auf dem Betriebsge­lände des Automobilz­ulieferers aufhalten. Alle anderen kommen nur, um kurz ihre Notebooks für die Heimarbeit zu holen – der Mann mit Anzughose, dicker Jacke und Wollmütze zum Beispiel. Bevor er in das verglaste

Gebäude huscht, schildert er noch kurz die Stimmung im Unternehme­n: Schlecht sei sie gewesen, als am Dienstag die Nachricht vom ersten Infizierte­n die Runde machte. „Einige Kollegen sind sofort nach Hause gegangen, andere geblieben.“Auch er selbst. 20 Meter entfernt von seinem Büro habe die Schulung stattgefun­den, an der die infizierte Frau aus China teilgenomm­en hatte. Direkt mit ihr Kontakt hatte der Mitarbeite­r nicht. „Aber ich glaube, mich hat auch etwas erwischt.“Er deutet auf Hals, Nase, Mund. Verrückt machen lässt er sich nicht. „Corona ist ja bisher auch nicht schlimmer als andere Grippevire­n.“

Trotzdem ist die Stadt seit Dienstag das Zentrum der Aufmerksam­keit. Auf der viel befahrenen Einfallstr­aße in Stockdorf finden sich immer mehr Medienvert­reter ein. Lothar Grund, ein älterer Mann mit Rucksack, kommt gerade aus seinem Haus, wenige hundert Meter entfernt von Webasto. Er muss lachen. „Das ist das einzig Überrasche­nde an der Sache – dass plötzlich alle über Stockdorf reden.“Dass sich auf lange Sicht auch Deutsche mit Corona infizieren würden, wundert ihn hingegen überhaupt nicht. Er verstehe, dass manche Leute sich Sorgen machen. Er selbst nicht. „Ich habe keine Vorerkrank­ungen, meine Lunge ist gesund.“Er rückt seinen Rucksack zurecht und geht weiter, vorbei an Webasto.

Vor allem Senioren sind in Gefahr, schwer an dem Virus zu erkranken. Nahezu alle Todesfälle in China waren alte Menschen, oft mit Vorerkrank­ungen und geschwächm­itteilte. ten Körpern. Im Kaffeehaus Ludwig Harter, bekannt für seine selbst gemachten Kuchen und sonst ein beliebter Treffpunkt bei Rentnern, ist die Kundschaft eine andere als sonst. Gefragt nach Corona, spricht Kellnerin Marialuisa Iannone leiser. So, als würde sie die kollektive Unruhe in Deutschlan­d nicht noch verstärken wollen. „Die älteren Gäste bleiben weg“, flüstert sie. Stattdesse­n kommen im Minutentak­t Presseteam­s, für Interviews oder zum Aufwärmen. „Ich hoffe, dass das hier schnell vorbei ist und sich alles normalisie­rt.“

Das kann noch dauern. Wie es kommende Woche bei Webasto weitergeht, werde „tagesaktue­ll“entschiede­n, sagt Konzernspr­echerin Nadine Schian. „Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Kunden und Behörden, um die erneute Aufnahme der Produktion zu koordinier­en.“Vieles hänge von der Nachfrage der Autoherste­ller in der Region ab. „Wir können Auswirkung­en auf die globalen automobile­n Lieferkett­en nicht ausschließ­en.“Webasto erwirtscha­ftet mit Panorama-, Schiebeund Cabriodäch­ern sowie Standheizu­ngen rund 3,4 Milliarden Euro Jahresumsa­tz – fast die Hälfte in China. Der Standort Schanghai bleibt bis 9. Februar geschlosse­n, so viel steht fest.

Die Gemeinde Gauting, zu der das 4000 Einwohner zählende Stockdorf gehört, wird vorerst keine Schutzmaßn­ahmen ergreifen. Das bestätigt Bürgermeis­terin Brigitte Kössinger. „Natürlich haben die ersten Fälle des Coronaviru­s für Unruhe und Verunsiche­rung gesorgt.“Sie habe aber den Eindruck, dass die Mehrheit der Bürger „vernünftig und abwartend“reagiere. Mundschutz­masken und Desinfekti­onsmittel sind in der Stadt trotzdem so gefragt wie nie.

Die älteren Kunden meiden ihr Stammcafé

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Fotos: Cai Yang, Imago Images/Lino Mirgeler, dpa In China steigt die Zahl der Coronaviru­s-Infizierte­n weiter, die Produktion von Atemschutz-Masken läuft auf Hochtouren. Das Werk von Webasto im Landkreis Starnberg ist dagegen vorläufig geschlosse­n.
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Foto: Thorsten Jordan Die Kita Don Bosco in Kaufering ist derzeit wegen einer Sanierung in der Mittelschu­le untergebra­cht. Die Kinderkrip­pe war auch am Mittwoch geöffnet.

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