Gift-Attacke: Eines der Babys war erst einen Tag alt
Ärzte kämpfen tagelang um das Leben der Kinder. Krankenschwester in U-Haft
Ulm Der Kampf der fünf Babys gegen den Tod dauert Stunden, sie können nicht selbstständig atmen und sind erst nach zwei Tagen außer Gefahr. Das jüngste Opfer der mutmaßlichen Gift-Attacke auf der Überwachungsstation für Früh- und Neugeborene ist gerade einmal einen Tag alt. Neue Details im Fall der Gift-Attacke auf Babys offenbaren, wie dramatisch der Alarm im Klinikum Ulm war. Für Professor Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses, gibt es keine Zweifel: „Da steckt kriminelle Energie dahinter.“
Die verdächtige Krankenschwester sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: versuchter Totschlag an Frühgeborenen in fünf Fällen. Die „junge Frau“– nähere Angaben wollen die Behörden nicht machen – soll den Säuglingen mit einer Spritze Muttermilch gemischt mit Morphium verabreicht haben. Sie habe im Beisein ihres Verteidigers umfassende Angaben gemacht – bestreite allerdings die Tat. Wegen Fluchtgefahr befindet sie sich in einer Justizvollzugsanstalt, sagte Christof Lehr, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Ulm. Die fünf Babys hätten sich in „akuter Lebensgefahr“befunden, seien inzwischen aber wohlauf. Mit Spätfolgen sei nicht zu rechnen.
Das Universitätsklinikum Ulm selbst hatte bei der Polizei Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts des versuchten Totschlags gestellt. In der Nachtschicht, in der die Gift-Attacke stattfand, hatten nach Angaben von Oberstaatsanwalt Lehr sechs Personen Dienst: vier Krankenschwestern und zwei Ärztinnen. Aber nur eine Krankenschwester steht unter Verdacht: Bei einer Durchsuchung wurde in einem Spind in der Umkleide des Klinikums die verdächtige Spritze gefunden, die nach den ersten Ergebnissen der kriminaltechnischen Untersuchung im Landeskriminalamt Morphium enthält. Nach Angaben von Klinik-Direktor Debatin hätten alle diensthabenden sechs Personen der Station Zugang zum verschlossenen Schrank mit Morphium gehabt. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben müsse jede Entnahme genau dokumentiert werden. Ein Vier-Augen-Prinzip gebe es nicht. Als „zumindest tröstlich“bezeichnete Debatin, dass die Notfallmechanismen in der Nachtschicht von 19. auf 20. Dezember funktioniert hätten und das Leben der Babys im Alter von einem Tag bis fünf Wochen habe gerettet werden können. Die Erkenntnis, dass vermutlich ein Verbrechen hinter der akuten Atemnot steckte, sei der Gründlichkeit der Untersuchungen zu verdanken. Nachdem eine Infektion ausgeschlossen werden konnte, habe das Labor nach Gift gesucht und Morphium gefunden – in einer bis zu zehnfachen Überdosierung. Üblicherweise werde das Betäubungsmittel bei einer künstlichen Beatmung eingesetzt. Sonst würden die Kleinen den Beatmungsschlauch in ihrer empfindlichen Luftröhre nicht akzeptieren.
Ortraud Beringer, Oberärztin in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, war in der Nacht des Notfalls dabei. Sie wollte keine Angaben machen, ob die verdächtigte Krankenschwester bei der Rettung eine Rolle gespielt hatte.
Über das mögliche Motiv der Krankenschwester ist bislang nichts bekannt. Anhaltspunkte könnten sich vielleicht aus dem Studium eines anscheinend ähnlichen Falls im Uniklinikum Marburg ergeben. Dort hatte eine Kinderkrankenschwester zwischen Dezember 2015 und Februar 2016 drei frühgeborenen Mädchen Narkosemittel verabreicht. Ende November 2019 wurde sie wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sah Geltungsdrang als ein Tatmotiv an. Die Frau habe sich als Retterin inszenieren wollen.