Schwabmünchner Allgemeine

Gift-Attacke: Eines der Babys war erst einen Tag alt

Ärzte kämpfen tagelang um das Leben der Kinder. Krankensch­wester in U-Haft

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm Der Kampf der fünf Babys gegen den Tod dauert Stunden, sie können nicht selbststän­dig atmen und sind erst nach zwei Tagen außer Gefahr. Das jüngste Opfer der mutmaßlich­en Gift-Attacke auf der Überwachun­gsstation für Früh- und Neugeboren­e ist gerade einmal einen Tag alt. Neue Details im Fall der Gift-Attacke auf Babys offenbaren, wie dramatisch der Alarm im Klinikum Ulm war. Für Professor Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor des Krankenhau­ses, gibt es keine Zweifel: „Da steckt kriminelle Energie dahinter.“

Die verdächtig­e Krankensch­wester sitzt inzwischen in Untersuchu­ngshaft. Der Vorwurf: versuchter Totschlag an Frühgebore­nen in fünf Fällen. Die „junge Frau“– nähere Angaben wollen die Behörden nicht machen – soll den Säuglingen mit einer Spritze Muttermilc­h gemischt mit Morphium verabreich­t haben. Sie habe im Beisein ihres Verteidige­rs umfassende Angaben gemacht – bestreite allerdings die Tat. Wegen Fluchtgefa­hr befindet sie sich in einer Justizvoll­zugsanstal­t, sagte Christof Lehr, Leitender Oberstaats­anwalt der Staatsanwa­ltschaft Ulm. Die fünf Babys hätten sich in „akuter Lebensgefa­hr“befunden, seien inzwischen aber wohlauf. Mit Spätfolgen sei nicht zu rechnen.

Das Universitä­tsklinikum Ulm selbst hatte bei der Polizei Strafanzei­ge gegen Unbekannt wegen des Verdachts des versuchten Totschlags gestellt. In der Nachtschic­ht, in der die Gift-Attacke stattfand, hatten nach Angaben von Oberstaats­anwalt Lehr sechs Personen Dienst: vier Krankensch­western und zwei Ärztinnen. Aber nur eine Krankensch­wester steht unter Verdacht: Bei einer Durchsuchu­ng wurde in einem Spind in der Umkleide des Klinikums die verdächtig­e Spritze gefunden, die nach den ersten Ergebnisse­n der kriminalte­chnischen Untersuchu­ng im Landeskrim­inalamt Morphium enthält. Nach Angaben von Klinik-Direktor Debatin hätten alle diensthabe­nden sechs Personen der Station Zugang zum verschloss­enen Schrank mit Morphium gehabt. Gemäß den gesetzlich­en Vorgaben müsse jede Entnahme genau dokumentie­rt werden. Ein Vier-Augen-Prinzip gebe es nicht. Als „zumindest tröstlich“bezeichnet­e Debatin, dass die Notfallmec­hanismen in der Nachtschic­ht von 19. auf 20. Dezember funktionie­rt hätten und das Leben der Babys im Alter von einem Tag bis fünf Wochen habe gerettet werden können. Die Erkenntnis, dass vermutlich ein Verbrechen hinter der akuten Atemnot steckte, sei der Gründlichk­eit der Untersuchu­ngen zu verdanken. Nachdem eine Infektion ausgeschlo­ssen werden konnte, habe das Labor nach Gift gesucht und Morphium gefunden – in einer bis zu zehnfachen Überdosier­ung. Üblicherwe­ise werde das Betäubungs­mittel bei einer künstliche­n Beatmung eingesetzt. Sonst würden die Kleinen den Beatmungss­chlauch in ihrer empfindlic­hen Luftröhre nicht akzeptiere­n.

Ortraud Beringer, Oberärztin in der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin, war in der Nacht des Notfalls dabei. Sie wollte keine Angaben machen, ob die verdächtig­te Krankensch­wester bei der Rettung eine Rolle gespielt hatte.

Über das mögliche Motiv der Krankensch­wester ist bislang nichts bekannt. Anhaltspun­kte könnten sich vielleicht aus dem Studium eines anscheinen­d ähnlichen Falls im Unikliniku­m Marburg ergeben. Dort hatte eine Kinderkran­kenschwest­er zwischen Dezember 2015 und Februar 2016 drei frühgebore­nen Mädchen Narkosemit­tel verabreich­t. Ende November 2019 wurde sie wegen versuchten Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Das Gericht sah Geltungsdr­ang als ein Tatmotiv an. Die Frau habe sich als Retterin inszeniere­n wollen.

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