Der Schatten über Trump
Sein ehemaliger Sicherheitsberater John Bolton könnte dem US-Präsidenten im Amtsenthebungsverfahren sehr gefährlich werden. Die Republikaner wollen deshalb eine Anhörung mit allen Mitteln verhindern. Es droht ein harter Kampf
Washington Die Senatoren rutschen auf ihren Sitzen herum. Sie kauen Bonbons und tuscheln mit den Nachbarn. Einige spazieren auf und ab. Andere haben den Saal ganz verlassen. Die Disziplin hat deutlich abgenommen nach acht Prozesstagen im Impeachment-Verfahren des Senats. Und die überwältigende Mehrheit der Republikaner setzt darauf, dass das dritte Amtsenthebungsverfahren der US-Geschichte am heutigen Freitag zu einem abrupten Ende kommt.
„Hört die Zeugen!“, riefen am Mittwoch ein paar Dutzend Demonstranten vor dem Kapitol. „Ohne Zeugen ist das eine Vertuschungsaktion“, hatte ein Protestler auf sein Plakat geschrieben. Doch drinnen in dem ehrwürdigen Parlamentsgebäude trat John Cornyn, der republikanische Senator von Texas, vor die Kameras und sagte: „Es ist wirklich nicht nötig, dass Herr Bolton kommt und diese Show noch weiter verlängert. Er und die anderen Zeugen würden uns in den nächsten Wochen und Monaten alle unsere Zeit stehlen.“
Nachdem die Anklage und die Verteidigung von Präsident Donald Trump jeweils drei Tage ihre Argumente vorgetragen hatten, konnten die Senatoren am Mittwoch und Donnerstag beiden Parteien Fragen stellen – allerdings nicht direkt, sondern auf kleinen Karten, die vom obersten Verfassungsrichter John Roberts vorgelesen wurden, der die Versammlung leitet. Insgesamt 93 Fragen wurden alleine am Mittwoch gestellt. Doch die meisten Wortmeldungen dienten dazu, den Anwälten des eigenen Lagers mehr Redezeit zu verschaffen.
Eine der wenigen kritischen Fragen kam von den beiden republikanischen Senatorinnen Susan Collins und Lisa Murkowski, die als potenzielle Abweichlerinnen vom Mehrheitsvotum ihrer Partei gelten. Im Kern des Prozesses steht der mutmaßliche Versuch Trumps, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu einer rufschädigenden Ermittlung gegen den demokratischen Ex-Vizepräsidenten Joe Biden zu erpressen. Trump
er sei wegen der Aktivitäten des Biden-Sohns Hunter in der Ukraine alarmiert gewesen. Ob der Präsident seine Sorge jemals vor der Bewerbung Bidens als demokratischer Präsidentschaftskandidat kundgetan habe, wollten Collins und Murkowski wissen. Die Anwälte des Weißen Hauses mussten verneinen.
Für Beobachter der eindrucksvollen Anhörung des Repräsentantenhauses besteht ohnehin kein Zweifel an der Trump-Intrige. Ein Dutzend Beamte und Diplomaten hatten dort die Vorwürfe detailliert untermauert. Mit dem ehemaligen Sicherheitsberater John Bolton hat sich nun kurz vor dem Ende des der wohl wichtigste Augenzeuge zu Wort gemeldet.
In seinem unveröffentlichten Buch berichtet Bolton, der im September wegen Differenzen in der Iran-Politik vom US-Präsidenten entlassen wurde, wie er Trump zunächst erfolglos zur Auszahlung der 400 Millionen Dollar umfassenden Militärhilfe drängte und im vorigen August schließlich direkt nachfragte. Darauf habe ihm der Präsident gesagt, er wolle die Zahlung so lange zurückhalten, bis Kiew endlich Ermittlungen gegen Joe Biden einleite. Zudem erhebt Bolton schwere Vorwürfe gegen Trumps Anwalt Rudy Giuliani, dessen Schatten-Außenpolitik mit der Ukraine er bei Justizmibehauptet, nister William Barr ausdrücklich angeprangert haben will.
Boltons Schilderung des Gespräches mit Trump untergräbt dessen zentrale Verteidigungslinie im Impeachment-Prozess. Dort beteuern seine Anwälte, es habe keine Verbindung zwischen dem vorläufigen Stopp der Militärhilfe und der Biden-Untersuchung gegeben. Vielmehr soll Trump wahlweise aus Verärgerung über die angeblich zu geringen europäischen Hilfen oder die Korruption in der Ukraine den Geldhahn zugedreht haben.
Das Online-Nachrichtenmagazin
sprach von einem „Monster-Scoop“der die Boltons Zitate aus dem unveröffentVerfahrens
Politico New York Times,
lichten Buch enthüllte. Für die Demokraten ist dies die „Smoking Gun“, der ultimative Beweis für die Schuld des Präsidenten.
Doch Trump feuert aus allen Rohren zurück. Zunächst untersagte das Weiße Haus Bolton die Veröffentlichung des Buches. Dann pöbelte Trump bei Twitter gegen seinen früheren Top-Berater, der ihn „um den Job angebettelt“habe und ein Kriegstreiber sei. Gleichzeitig ermahnte der Präsident seine republikanischen Parteifreunde im Senat: „Lasst euch nicht von den Demokraten instrumentalisieren.“
Auch Mehrheitsführer Mitch McConnell baut nach Medienberichten enormen Druck gegen potenzielle Abweichler auf. Zur juristischen Absicherung argumentierte Trumps Star-Anwalt Alan Dershowitz
Zentrale Verteidigungslinie Trumps untergraben
im Senat, ein Präsident dürfe alles tun, was im nationalen Interesse seiner Wiederwahl dient.
Die meisten Republikaner scheinen nur allzu gerne bereit, dieser abenteuerlichen These zu folgen und den Impeachment-Prozess schleunigst zu beenden. In der Nacht zum Samstag deutscher Zeit kommt es zum Showdown, wenn nach einer voraussichtlich vierstündigen Debatte darüber abgestimmt wird, ob die Kammer Zeugen anhört. Die Republikaner haben eine Mehrheit von 53 zu 47 Stimmen. Für eine Annahme des Antrags müssten vier Republikaner mit allen Demokraten stimmen. Bislang haben nur die republikanischen Senatoren Mitt Romney und Susan Collins ein solches Votum angedeutet.
Sollten die Stimmen tatsächlich zusammenkommen, dürfte der Prozess noch Wochen dauern, weil das Weiße Haus aus angeblichen Gründen der nationalen Sicherheit die Bolton-Aussage verbieten will. Scheitert der Vorstoß, wäre der Prozess höchstwahrscheinlich am Wochenende vorbei – gerade rechtzeitig für Trumps jährliche Regierungserklärung am Dienstag. Die „State of the Union“dürfte dann eine triumphale Siegesfeier werden.