Gustave Flaubert: Frau Bovary (37)
Er verriet ihr die beste und billigste Butterquelle und bestellte ihr Lestiboudois, den Kirchendiener, als Gärtner; neben seinen Ämtern in Kirche und Gottesacker hielt dieser nämlich die Gärten der Honoratioren von Yonville instand; man engagierte ihn „stundenweise“oder „aufs Jahr“, ganz wie es gewünscht wurde.
Diese Hilfsbereitschaft des Apothekers entsprang weniger einem Herzensbedürfnis als schlauer Berechnung. Homais hatte nämlich früher einmal gegen das Gesetz vom 19. Ventôse des Jahres XI verstoßen, wonach die ärztliche Praxis jedem verboten ist, der sich nicht im Besitze eines staatlichen Diploms befindet. Eines Tages war er auf eine geheimnisvolle Anzeige hin nach Rouen vor den Staatsanwalt geladen worden. Dieser Vertreter der Justiz hatte ihn in seinem Amtszimmer, stehend und in Amtsrobe, das Barett auf dem Kopfe, vernommen. Es war am Vormittag, unmittelbar vor einer Gerichtssitzung gewesen. Von draußen, vom Gange her, waren dem Apotheker die schweren Tritte der Schutzleute ins Ohr gehallt. Es war ihm, als hörte er fern das Aufschnappen wuchtiger Schlösser. Er bekam Ohrensausen und glaubte, der Schlag würde ihn rühren. Schon sah er sich im Kerker sitzen, seine Familie in Tränen, die Apotheke unter dem Hammer und seine Arzneiflaschen in alle vier Winde verstreut. Hinterher mußte er seine Lebensgeister in einem Kaffeehause mit einem Kognak in Selters wieder auf die Beine bringen.
Allmählich verblaßte die Erinnerung an diese Vermahnung, und Homais hielt von neuem in seinem Hinterstübchen ärztliche Sprechstunden ab. Da aber der Bürgermeister nicht sein Freund war und seine Kollegen in der Umgegend brotneidisch waren, bebte er in ewiger Angst vor einer neuen Anzeige. Indem er sich nun Bovary durch kleine Gefälligkeiten verpflichtete, wollte er sich damit ein Recht auf dessen Dankbarkeit erwerben und ihn mundtot machen, falls die Kurpfuschereien in der Apotheke abermals ruchbar würden. Er brachte dem Arzt alle Morgen den „Leuchtturm“, und oft verließ er nachmittags auf ein Viertelstündchen sein Geschäft, um ein wenig mit ihm zu schwatzen.
Karl war mißgestimmt. Es kamen keine Patienten. Ganze Stunden lang saß er vor sich hinbrütend da, ohne ein Wort zu sprechen. Er machte in seinem Sprechzimmer ein Schläfchen oder sah seiner Frau beim Nähen zu. Um sich ein wenig Beschäftigung zu machen, verrichtete er allerhand grobe Hausarbeit. Er versuchte sogar, die Bodentüre mit dem Rest von Ölfarbe anzupinseln, den die Anstreicher dagelassen hatten.
Am meisten drückte ihn seine Geldverlegenheit. Er hatte in Tostes eine beträchtliche Summe ausgegeben für neue Anschaffungen im Hause, für die Kleider seiner Frau und neuerdings für den Umzug. Die ganze Mitgift, mehr als dreitausend Taler, war in zwei Jahren daraufgegangen. Bei der Übersiedelung von Tostes nach Yonville war vieles beschädigt worden oder verloren gegangen, unter anderm der tönerne Mönch, der unterwegs vom Wagen heruntergefallen und in tausend Stücke zerschellt war.
Eine zartere Sorge lenkte ihn ab: die Mutterhoffnungen seiner Frau. Je näher diese ihrer Erfüllung entgegengingen, um so liebevoller behandelte er Emma. Diese sich knüpfenden neuen Bande von Fleisch und Blut machten das Gefühl der ewigen Zusammengehörigkeit in ihm immer inniger. Wenn er ihrem trägen Gange zusah, wenn er das allmähliche Vollerwerden ihrer miederlosen Hüften bemerkte, wenn sie müde ihm gegenüber auf dem Sofa saß, dann strahlten seine Blicke, und er konnte sich in seinem Glücke nicht fassen. Er sprang auf, küßte sie, streichelte ihr Gesicht, nannte sie „Mammchen“, wollte mit ihr im Zimmer herumtanzen und sagte ihr unter Lachen und Weinen tausend zärtliche, drollige Dinge, die ihm gerade in den Sinn kamen. Der Gedanke, Vater zu werden, war ihm etwas Köstliches. Jetzt fehlte ihm nichts mehr auf der Welt. Nun hatte er alles erlebt, was Menschen erleben können, und er durfte zufrieden und vergnügt sein.
In der ersten Zeit war Emma über sich selbst arg verwundert. Dann kam die Sehnsucht, von ihrem Zustande wieder befreit zu sein. Sie wollte wissen, wie es sein würde, wenn das Kind da war. Aber als sie kein Geld dazu hatte, eine Wiege mit rosa-seidnen Vorhängen und gestickte Kinderhäubchen zu kaufen, da überkam sie eine plötzliche
Erbitterung; sie verlor die Lust, die Baby-Ausstattung selber sorglich auszuwählen, und überließ die Herstellung in Bausch und Bogen einer Näherin. So lernte sie die stillen Freuden dieser Vorbereitungen nicht kennen, die andre Mütter so zärtlich stimmen, und vielleicht war dies der Grund, daß ihre Mutterliebe von Anfang an gewisser Elemente entbehrte. Weil aber Karl bei allen Mahlzeiten immer wieder von dem Kinde sprach, begann auch Emma mehr daran zu denken.
Sie wünschte sich einen Sohn. Braun sollte er sein, und stark sollte er werden, und Georg müßte er heißen! Der Gedanke, einem männlichen Wesen das Leben zu schenken, kam ihr vor wie eine Entschädigung für alles das, was sich in ihrem eigenen Dasein nicht erfüllt hatte. Ein Mann ist doch wenigstens sein freier Herr. Ihm stehen alle Leidenschaften und alle Lande offen, er darf gegen alle Hindernisse anrennen und sich auch die allerfernsten Glückseligkeiten erobern. Ein Weib liegt an tausend Ketten. Tatenlos und doch genußfreudig, steht sie zwischen den Verführungen ihrer Sinnlichkeit und dem Zwang der Konvenienz. Wie den flatternden Schleier ihres Hutes ein festes Band hält, so gibt es für die Frau immer ein Verlangen, mit dem sie hinwegfliegen möchte, und immer irgendwelche herkömmliche Moral, die sie nicht losläßt. An einem Sonntag kam das Kind zur Welt, früh gegen sechs Uhr, als die Sonne aufging.
„Es ist ein Mädchen!“verkündete Karl. Emma fiel im Bett zurück und ward ohnmächtig. Schon stellten sich auch Frau Homais und die Löwenwirtin ein, um die Wöchnerin zu umarmen. Der Apotheker rief ihr diskret ein paar vorläufige Glückwünsche durch die Türspalte zu. Er wollte die neue Erdenbürgerin besichtigen und fand sie wohlgeraten. Während der Genesung grübelte Emma nach, welchen Namen das Kind bekommen sollte. Zunächst dachte sie an einen italienisch klingenden Namen: an Amanda, Rosa, Joconda, Beatrice. Sehr gefielen ihr Ginevra oder Leocadia, noch mehr Isolde.
Karl äußerte den Wunsch, die Kleine solle nach der Mutter getauft werden, aber davon wollte Emma nichts wissen. Man nahm alle Kalendernamen durch und bat jeden Besucher um einen Vorschlag.
„Herr Leo,“berichtete der Apotheker, „mit dem ich neulich darüber gesprochen habe, wundert sich darüber, daß Sie nicht den Namen Magdalena wählen. Der sei jetzt sehr in Mode.“Aber gegen die Patenschaft einer solchen Sünderin sträubte sich die alte Frau Bovary gewaltig.