Siegernadeln ins Herdfeuer
Irmgard Brambrink, Ottobeuren Letzter Tag vor Kriegsende im schwäbischen Spaichingen: Die Schulen waren geschlossen, wir Mädchen von der Oberschule mussten mit einem französischen Kriegsgefangenen im Wald am Zundelberg, um kleine Tannen zu setzen, die Buben mussten im Gelände Übungen mit der Panzerfaust machen, um Panzer damit abzuschießen. Immer wieder sausten Tiefflieger über uns, Alarmsirenen, Artilleriegeschosse machten uns Angst. Josef, der nette Kriegsgefangene, schickte uns im Eiltempo nach Hause. Dort angekommen schickte mich unsere Nachbarin aufs Dachgeschoss (unser Haus lag hoch am Berg), um Ausschau zu halten. Sie glaubte immer noch an den Endsieg mit der Wunderwaffe V2. Doch, oh Schreck, ich sah im sechs Kilometer entfernten Ort Panzerkolonnen mit pinkfarbenen Tüchern bedeckt und gekennzeichnet! Dann gab mir die Nachbarin
einen Besenstiel mit einem Leintuch behängt, den ich, auf dem Dach sitzend, halten musste! Zu diesem Schreck stand ein schweres Gewitter am Himmel. Meine Mutter holte mich vom Dach und sprach weinend vom Weltuntergang. Ich musste alle meine Siegernadeln, die ich im Sport erkämpft hatte, ins Herdfeuer werfen, weil überall ein Hakenkreuz abgebildet war. Es war für mich als Sportlerin ganz schrecklich, wir weinten alle. Inzwischen fuhren die Panzer, von Marokkanern gelenkt, durch die Panzersperren, die die Hauptstraße blockieren sollten. Der Stadtbüttel kam dann in einem mit Marokkanern besetzten Jeep und verkündete mit einer Glocke, dass ab sofort für alle Einwohner totale Ausgangssperre gilt. Bei Nichtbeachtung ist die Todesstrafe fällig.
Dies waren die letzten Stunden des Dritten Reiches – und dennoch glaubte ich mit 15 Jahren an eine neue Zeit.