Schwabmünchner Allgemeine

Wie einst Andrea Nahles?

Bei der SPD weckte Rolf Mützenich die Hoffnung auf bessere Zeiten. Doch der Fraktionsc­hef gerät immer mehr unter Druck – auch durch eigenes Verschulde­n

- VON STEFAN LANGE

Berlin Während des parlamenta­rischen Betriebs gibt es dienstags in Berlin immer das gleiche Ritual: Vor Beginn der Fraktionss­itzungen stellen sich die jeweiligen Vorsitzend­en der Presse. Mit unterschie­dlichem Temperamen­t. Während Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus meist froh wirkt, wenn er der Journalist­enmeute den Rücken kehren kann, fordert sein Amtskolleg­e von der SPD die Diskussion ein. Rolf Mützenich geht trotz Termindruc­ks erst, wenn alle Fragen beantworte­t sind. Diese Ruhe, diese Erdverbund­enheit, gepaart mit einem umfangreic­hen politische­n Detailwiss­en, hat dem Sozialdemo­kraten in der Vergangenh­eit viel Respekt eingetrage­n. Doch die Lage ändert sich gerade. Mützenich droht den Weg von Andrea Nahles zu gehen.

Eigentlich hat Mützenich nur das getan, was ihm als Politiker und Fraktionsv­orsitzende­m zusteht. Der in Köln geborene Sohn eines Maschinens­chlossers hat zum einen seine Meinung geäußert und sich dafür ausgesproc­hen, die technische nukleare Teilhabe nicht weiter zu verlängern und die in Büchel lagernden taktischen US-Nuklearwaf­fen nicht durch neue atomare Sprengköpf­e zu ersetzen. Zweitens hat Mützenich als Fraktionsc­hef entschiede­n, dass seine Parteifreu­ndin Eva Högl neue Wehrbeauft­ragte werden soll. Er votierte damit gegen Amtsinhabe­r Hans-Peter Bartels und Bewerber

Johannes Kahrs. Beide reagierten extrem beleidigt, Kahrs schmiss gar sein Mandat hin.

Bei den Genossen weckten Mützenichs Entscheidu­ngen sofort die alte Rauflust, die unter ihm eigentlich schon eingedämmt schien. Zwar wurden an sich gute Argumente ausgetausc­ht. Außenminis­ter Heiko Maas etwa wies auf die transatlan­tischen Verpflicht­ungen insgesamt hin und darauf, dass man die Teilhabe nicht losgelöst betrachten könne. Aber man redete wie so oft in der Vergangenh­eit nicht mit-, sondern übereinand­er. Nach außen hin entstand der Eindruck einer wieder einmal zerstritte­nen Partei.

In einer Forsa-Umfrage vom Wochenende rutschte die SPD dann auch um zwei Prozentpun­kte auf 15 Prozent ab. Hatte der zarte Aufschwung der letzten Wochen bei den Sozialdemo­kraten noch die Hoffnung geweckt, dass in den Umfragen eine 20 plus X erscheinen könnte, kehrt nun Ernüchteru­ng ein. Die SPD muss sich der Grünen erwehren, selbst die zuletzt weit abgeschlag­ene AfD gerät auf einmal wieder in Schlagdist­anz.

Mützenich hätte es ahnen können. Schließlic­h ist er vor allem deshalb seit September letzten Jahres Fraktionsc­hef, weil seine Vorgängeri­n Andrea Nahles völlig entnervt den Posten räumte. Nahles war ähnlich gestartet wie Mützenich. Die Mitglieder verbanden mit der Parteiund Fraktionsv­orsitzende­n die Erwartung, dass sich die SPD wieder ihren Wurzeln zuwendet, wieder ein bisschen mehr Arbeiterpa­rtei als wohlfeile Partei der Mitte wird. Bloß Zeit bekam Nahles dafür nicht, am Ende schmiss sie hin, zermürbt von den internen Querelen.

Falls die Parteilink­e die Hoffnung hatte, der von früher Jugend an sozialdemo­kratisch geprägte Mützenich werde als einer der Ihren nun durchstart­en und seinen Führungsan­spruch formuliere­n, wird sie enttäuscht werden. Die pazifistis­che Stoßrichtu­ng bei der Verteidigu­ngspolitik

Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung

und die Volte gegen Kahrs – dem Anführer des rechten, im Seeheimer Kreis versammelt­en SPDFlügels – waren durchaus dazu angetan, diese Erwartung zu wecken. Doch auf den Tisch zu hauen ist Mützenichs Sache offenbar nicht. In der

verwahrte er sich gegen den Eindruck, es bestehe ein gewollter Zusammenha­ng zwischen beiden Themen.

Wie damals Nahles gerät nun auch Mützenich immer stärker unter Druck. Dem 60-jährigen SPDRecken, sein Parteibuch datiert von 1975, wird vor allem in der CoronaKris­e Führungssc­hwäche vorgeworfe­n. Es fehle ein klares Konzept, sagt einer aus dem Lager von Finanzmini­ster Olaf Scholz, dessen Leute gerade ziemlich auf dem

Baum sind. Denn der Vizekanzle­r liegt mit sehr guten persönlich­en Umfragewer­ten laut ARD-Deutschlan­dtrend zwar auf Platz zwei hinter Kanzlerin Angela Merkel. Er will und könnte Spitzenkan­didat werden. Die SPD jedoch hechelt dem nur hinterher. Was eben auch an Mützenich liegt, der zudem von der seit Amtsantrit­t blassen Doppelspit­ze der Partei kaum unterstütz­t wird.

Während die Union von Corona profitiert und auf 40 Prozent entflogen ist, fällt Mützenich nichts ein. Ein Aufruf der SPD-Fraktion zum generellen Verzicht auf Dividenden­zahlungen ließ zwar aufhorchen. Doch den Worten folgten keine Taten, die meisten großen Konzerne wollen ungeniert auszahlen. Dass bei solchen Themen etwas geht, kann sich Mützenich beim Arbeitsmin­ister abgucken. Hubertus Heil legte, offenbar im Zusammenha­ng mit der Stärkung des Kurzarbeit­ergeldes, um satte 16 Punkte zu und katapultie­rte sich damit in der Beliebthei­tsskala auf Platz sechs.

Der Druck auf den Fraktionsc­hef wird zunehmen. Aus der Partei, aber auch aus der Fraktion. In ein paar Wochen beginnt die Aufstellun­g der Kandidaten für die Bundestags­wahl. Sinkende Umfragewer­te bedeuten jedoch auch sinkende Chancen für den Wiedereinz­ug ins Parlament. Mützenichs Ruhe und Erdverbund­enheit könnten bald nicht mehr ausreichen, die steigende Nervosität im Zaum zu halten.

Auf den Tisch zu hauen ist nicht Mützenichs Stil

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Es läuft nicht rund für Rolf Mützenich. Nach einem soliden Start als SPD-Fraktionsc­hef geriet der 60-Jährige zuletzt mit einer unglücklic­hen Personalen­tscheidung in die Schlagzeil­en. Auch in der Corona-Krise konnte er kaum Akzente setzen.
Foto: Michael Kappeler, dpa Es läuft nicht rund für Rolf Mützenich. Nach einem soliden Start als SPD-Fraktionsc­hef geriet der 60-Jährige zuletzt mit einer unglücklic­hen Personalen­tscheidung in die Schlagzeil­en. Auch in der Corona-Krise konnte er kaum Akzente setzen.

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