„Wir sehen uns 2021 in Cannes“
Diese Pläne hat Festivalleiter Frémaux für den Branchentreff
Eigentlich würden wir uns nun alle beim Filmfest treffen. Was sind die derzeitigen Pläne für das Festival?
Thierry Frémaux: Angesichts der Epidemie war es naheliegend, das Festival abzusagen, aber Festivalpräsident Pierre Lescure und ich wollten nicht erst 2021 weitermachen und diejenigen im Stich lassen, die auf uns zählen. Wir werden Ende Mai eine offizielle Auswahl bekannt geben, um zu sagen, welche Filme wir gesehen und gemocht haben, um so deren Veröffentlichung in Kinos und bei Festivals zu erleichtern. Dann veranstalten wir eine OnlineVersion des Filmmarktes. Und Mitte Juni wollen wir den Plan „Cannes Outside the Walls“vorstellen mit den Filmen, die wir unterstützen.
Es gibt Gerüchte über eine Zusammenarbeit mit dem Festival in Venedig.
Frémaux: Dies sind keine Gerüchte, sondern ein sehr starker gemeinsamer Wunsch. Es kam die Frage auf, ob man Cannes auf September verschieben könnte, aber wir würden nicht einfach in die Mostra-Termine passen. Nun sprechen wir darüber, uns alle am Lido zu treffen, im Namen des Weltkinos, um die gleichen Filme zu unterstützen. Eine außergewöhnliche Situation erfordert eine außergewöhnliche Reaktion.
Sie haben einen Online-Markt für Ende Juni angekündigt. Was ist die Idee dahinter?
Frémaux: Profis, die Filme verkaufen und kaufen, müssen sich zusammentun, um sich auf die Zukunft vorzubereiten, also 2021. Normalerweise ist der Marché du Film Profis vorbehalten. So ein Markt ist ein Ort, an dem Filme, Ausschnitte,
Trailer und ganze Filme ausgetauscht werden. Dies aber wird kein normales Festival mit Presse, Gästen und Publikum sein. Trotzdem werden die Verleiher die Filme natürlich der Presse zeigen, wenn sie veröffentlicht werden. Denn dann brauchen sie Unterstützung. Eine der größten Herausforderungen für die Filmwelt ist die Rückkehr von Filmen und Publikum in die Kinos auf der ganzen Welt.
Ist eine Online-Version des Filmfestivals auch eine Option?
Frémaux: Nein. Kann mir jemand erklären, wie ein digitales Festival aussehen würde? Wer wäre das Publikum? Wie würden wir es zeitlich und räumlich organisieren? Wie würden wir Piraterie bekämpfen? Wie wären die finanziellen Bedingungen? Würden die gezeigten Filme in die Kinos kommen? Ein „digitales Festival“funktioniert nur für Filme, die nur eine Karriere über das Internet hätten, gerade weil sie keine Chance im Kino gehabt hätten. Das jedoch ist weit weg von Cannes’ Geist.
Was ist das persönlich für ein Gefühl, mit dieser Situation umzugehen?
Frémaux: Wir sind Profis. Ich habe gleich Ende Februar verstanden, dass die Lage sehr ernst ist und dass Cannes bedroht sein würde. Ich habe mich immer auf das Schlimmste vorbereitet ... und das Schlimmste ist eingetreten. Aber ein Festival abzusagen ist nicht dasselbe, wie wenn man den ganzen Tag in einem Krankenhaus kämpft, um Kranke zu behandeln. Ich bin nicht frustriert, ich bin ein Kämpfer.
Was bedeutet die derzeitige Situation für die Filmindustrie weltweit?
Frémaux: Ich denke, dass diese globale Epidemie die Veränderung der Welt beschleunigen wird ... und die des Kinos. Das Kino befindet sich in einem tief greifenden Wandel, wir müssen diese Krise nutzen, um der Zukunft zu begegnen. Die Verkündung, dass das Kino tot ist, ist nicht neu, aber wir wissen genau, dass sie nicht wahr ist. Nach dem wunderschönen Jahrgang 2019 hat das Kino das nicht verdient, ausgerechnet in seinem 125. Jubiläumsjahr! Aber es wird noch stärker zurückkommen. Wir sehen uns 2021 in Cannes.
● Thierry Frémaux, 59, ist seit 2014 der künstlerische Leiter des Festivals in Cannes. Es zählt neben Berlin und Venedig zu den wichtigsten Festivals der Branche. Als Hauptpreis wird die Goldene Palme für den besten Film vergeben.