Die Frage der Woche Bei Dunkelheit joggen?
Ist das eine Scherzfrage? Ende November, wenn die Tage trüb und schummrig sind, läuft man eigentlich immer irgendwie bei Dunkelheit… Zumindest ist das Tageslichtfenster nur eine kleine Luke in großer Finsternis. Wer die nicht erwischt, aber trotzdem joggen will, der wird kaum vermeiden können, in Dunkelheit zu laufen. Ist das schlimm? Nein. Ist es schön? Kommt drauf an.
Winterjogger starten gezwungenermaßen oft in der Dunkelheit und laufen durch die Morgendämmerung in den Tag.
Oder sie schnüren die Schuhe am, nun ja, noch helllichten Nachmittag und rennen in die heraufdämmernde Nacht hinein. Das sind schöne Erfahrungen. Transitreisen an den Tagesrändern. Gefordert sind alle Sinne – und möglichst eine Strecke, die vertraut ist und idealerweise gesäumt von Straßenbeleuchtung und Parklaternen. Warum nicht von der allenthalben beklagten Lichtverschmutzung
einmal profitieren? Auch ein hell gekiester Weg und ein paar Reflektoren an den Laufklamotten schaden nicht. Jeder Lauf ist besser als kein Lauf. Wenn Joggen heißt, auch bei Regen und Kälte rauszugehen oder mit der Hoffnung, das rumorende Knie werde ab Kilometer 4 schon langsam Ruhe geben, wenn Joggen also bedeutet, sich nicht von Kinkerlitzchen ausbremsen zu lassen – warum sollte dann Dunkelheit ein Hindernis sein? Weil das kontemplative Naturerlebnis ausfällt, wenn man vor lauter dunklem Wald die Bäume nicht sieht? Das sagen dann ausgerechnet jene, die im vollen Tageslicht mit Kopfhörern rennen und dem Handy am Oberarm… Das Unbehagen in der Dunkelheit lässt sich abtrainieren. Man kann ja auch zu zweit laufen. Oder mit Stirnlampe… Halt, Einspruch! So ein hüpfender Lichtkegel ist eine Umdrehung zu viel. Jogger sind doch keine Höhlenmenschen.
Bei Dunkelheit joggen bedeutet joggen ohne Helligkeit. Wann immer aber ein „ohne“mit im Spiel ist, geht es um Verzicht. Backen ohne Zucker, Essen ohne Salz, Bundesliga ohne Zuschauer, Skifahren ohne Schnee (also echten, schönen pudrigen). „Ohne“bedeutet jedenfalls fast immer, da fehlt etwas, das eigentlich naturgemäß dazugehört.
Und beim Joggen ohne Helligkeit ist es nicht nur das Licht. Sondern auch all das, was samt des Lichts verschwindet. Was man also alles beim Joggen im Dunkeln nicht sieht: Sonnenstrahlen, die sich zwischen den Bäumen brechen. Die Krähe, die einen lässig am Boden sitzend heranlaufen lässt, erst im letzten Moment den Abflug macht. Leuchtende Blätter, die einfach noch nicht fallen wollen. Eichhörnchen beim Sprung. Steine, die jemand auf einer alten Bank zum Turm angehäuft hat. Einzelne Handschuhe, am Baum drapiert, damit sie gefunden werden. Müll. Okay, Letzteres passt nicht ins Konzept, bitte streichen. Es ist fast so, als würde man tagsüber joggen und dabei die Augen schließen. Macht keiner. Ist ja auch viel zu gefährlich. Wer ohne Helligkeit joggt, muss deswegen auch höllisch aufpassen. Auf Pfützen, Stolperstellen und abends im Wald übrigens auch auf Wildschweine! Wer tagsüber joggt, weiß, dass sie da sind, wegen all der Kuhlen. Joggen im Dunkeln ist deswegen ein bisschen so wie Joggen auf dem Laufband. Macht man, weil man sich bewegen, Kilometer runterreißen, fit bleiben möchte. So wie man sich mittags die labbrige Käsesemmel einverleibt, weil man eben hungrig ist, aber nicht, weil sie besonders gut schmeckt. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte man aber auf so etwas im Leben verzichten. Immer das Schönere, Bessere, Geschmackvollere wählen – genießen. So wie beim Laufen das Licht.