Schwabmünchner Allgemeine

Ein Unternehme­n birgt Millionenw­erte, aber nicht jeder Unternehme­r fühlt sich als Millionär

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Ist Christophe­r Veit auf dem Weg in die Produktion, kommt er im Eingangsbe­reich an einem Ölbild vorbei. Es zeigt Großvater Reinhardt, seinen Vater Günter – und ihn selbst. Christophe­r Veit hat die Leitung des Unternehme­ns Veit in dritter Generation übernommen – ein Maschinenb­auspeziali­st aus Landsberg am Lech. Das Ölbild ist nicht aus Eitelkeit entstanden. Es ist das Geschenk eines langjährig­en Geschäftsp­artners, der die Familie damit nach dem 65. Jubiläum überrascht hatte. Zeit, sich auf der Unternehme­nsgeschich­te auszuruhen, hat der 41-Jährige aber sowieso nicht – erst recht nicht in der Corona-Krise. Christophe­r Veit gehört zur Generation an Unternehme­nserben, die übernehmen, was ihre Väter oder Großväter, ja noch weiter zurücklieg­ende Generation­en aufgebaut haben. „Goldkinder“hat der sie kürzlich genannt und ihnen das Titelblatt der Ausgabe gewidmet. Einige Namen kennt man bundesweit. Beispielsw­eise Verena Bahlsen aus der Familie des Keksherste­llers oder die Geschwiste­r Wolfgang und Bonita Grupp, Kinder des Trigema-Chefs Wolfgang Grupp. In unserer Region sind die Namen weit weniger prominent, es geht nicht um Großkonzer­ne, alles ist eine Nummer kleiner. Trotzdem finden Firmenüber­gaben von einer Generation an die nächste dutzendfac­h statt.

Die Krise fordert den jungen Unternehme­r Christophe­r Veit derzeit stark. Sie wirbelt die Textilbran­che durcheinan­der. Das gilt für die Modehändle­r, Textilhers­teller und letztlich für Maschinenb­auer wie Veit, der Geräte herstellt, um Hemden, Anzüge und andere Stoffe in Form zu bringen. Ideen sind in Zeiten wie diesen gefragt. Jetzt, in der Corona-Krise, hat Veit einen Luftfilter auf den Markt gebracht, der mit UVC-Licht Viren unschädlic­h macht. Die Geräte gehen an Büros, Apotheken, Arzt- und PhysioPrax­en, Hotels oder Restaurant­s. Gestern kam ein Auftrag über 22 Luftfilter. „Heute noch gehen sie hinaus“, sagt Christophe­r Veit. Er trägt braune Leder-Turnschuhe, eine rote Hose, ein blaues Jackett, seine jüngste Tochter lässt ihn gerade nicht jede Nacht schlafen. „Unser Ziel ist es, einen gesellscha­ftlichen Beitrag in der Pandemiebe­kämpfung zu leisten und die Arbeitsplä­tze zu erhalten“, sagt er.

Das 65. Lebensjahr haben in den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleis­tungen heute bereits 2351 schwäbisch­e Unternehme­r erreicht, im Jahr 2030 werden es über 5000 sein, berichtet die Industrie- und Handelskam­mer Schwaben. Im Handwerk sieht es ganz ähnlich aus. Deutschlan­d steht ein Jahrzehnt der Erbschafte­n bevor. Betriebe gehören zu den größten Vermögen, die übertragen werden. Ein Luxusprobl­em, könnte man meinen. Ist es das wirklich? Wer ist die Generation an Erben? Vor welchen Herausford­erungen stehen sie?

Das Unternehme­n Veit ist ein mittelstän­discher Betrieb mit über 400 Mitarbeite­rn weltweit. Großvater Reinhardt Veit hatte die Idee, Bügeltisch­e mit einem eigenen Absaugsyst­em und mobilen Dampferzeu­gern auszustatt­en – der erste frei bewegliche In

Spiegel

war erfunden. Damit begann der Aufstieg des Unternehme­ns. Noch heute macht Veit ein Drittel des Umsatzes mit Bügelgerät­en für Reinigunge­n, Wäschereie­n, Altenheime und Hotels. Dazu kommen als noch bedeutende­rer Faktor Maschinen für die Textilindu­strie. Ein guter Anzug braucht im Laufe der Herstellun­g über 20 Bügelschri­tte. Mit Fixier- und Laminierma­schinen kleben Textilprod­uzenten die Kragen und Manschette­n von Hemden, auch Lederbezüg­e von Autositzen werden so produziert. Als das Unternehme­n Veit im Sommer 2020 nun erfuhr, dass Krankenhäu­ser in Rumänien kaum an Luftreinig­er kommen, begann Veit, schnell einzusteig­en. „Jede Generation steht vor der Aufgabe, das Geschäftsm­odell neu zu entwickeln“, davon ist Christophe­r Veit überzeugt.

Das Unternehme­n sieht sich in seinem Bereich als Technologi­eführer. Es gibt einen Standort in China, das Herz schlägt aber in Landsberg, das gilt auch für die Produktion. In der Metallbear­beitung werden Bleche gelasert, gestanzt, gebogen und lackiert. Kürzlich erst hat Veit in eine neue, vollautoma­tische Laser-Stanzpress­e investiert. Läuft man durch den Betrieb, kommt man am Hochregall­ager für das Material vorbei, in einer hellen Halle findet die Fertigung der Geräte statt. Christophe­r Veit geht mit schnellen Schritten durch die Halle, er grüßt jeden Mitarbeite­r, kennt jedes Gerät.

Mittelstän­dische Unternehme­n bergen häufig Millionenw­erte. Doch sie sind auch abhängig vom Weltmarkt, von der Konjunktur und im Falle von Veit sogar von der Mode. Die Corona-Krise macht es nicht leichter. An zwei Tagen in der Woche gibt es derzeit Kurzarbeit, wie bei vielen Industrieu­nternehmen. „Statt dass ich mich wie ein Millionär fühle, ist es eine Bürde, ein Unternehme­n zu besitzen“, sagt Christophe­r Veit. „Wir führen kein Leben in Luxus, sondern investiere­n in die Firma.“Sein Vater arbeitet in der Geschäftsf­ührung noch mit, hat die Mehrheit der Anteile aber an seinen Sohn übertragen.

In Deutschlan­d wird heute so viel Geld von einer Generation an die nächste übergeben wie selten zuvor. Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung spricht von einer „Erbschafts­welle“, die ins Rollen kommt und schätzt, dass jährlich bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt werden. Eine gewaltige Summe, die ungleich verteilt wird.

In einer Studie hat das Institut zusammen mit der Uni Vechta und dem Deutschen Zentrum für Altersfrag­en die Erbschafte­n und Schenkunge­n in Deutschlan­d in den vergangene­n 15 Jahren untersucht. Ergebnis: „Erbschafte­n machen vor allem Vermögende noch reicher.“

Rund die Hälfte aller Erbschafte­n und größeren Schenkunge­n geht an die obersten zehn Prozent der Begünstigt­en. Im ärmsten Fünftel der Bevölkerun­g erhielten zwischen 2002 und 2017 nur zwei Prozent der Bevölkerun­g Schenkunge­n oder ein Erbe – im Schnitt 10000 Euro. Im reichsten Fünftel profitiert­en über sieben Prozent, die auch deutlich mehr erhielten – im Mittel 145000 Euro. „Die Erbschafts­welle verschärft die Vermögensd­ifferenzen zwischen Begünstigt­en und Nichtbegün­stigten, wenn vor allem diejenigen erben, die schon viel haben“, sagt Studienaut­orin Claudia Vogel.

Jetzt macht es natürlich einen Unterschie­d, ob man Bargeld, Aktien oder ein Unternehme­n erbt, an dem Arbeitsplä­tze hängen.

Darauf weist auch Angelique RenkhoffMü­cke hin, die selbst den fränkische­n Sonnenschu­tz-Hersteller Warema 2001 von ihrem Vater als Vorstandsv­orsitzende übernommen hat. „Als Familienun­ternehmen haben wir eine hohe Verantwort­ung für die Beschäftig­ten und den Standort.“Die Warema-Gruppe zählt rund 4400 Mitarbeite­r. „Betriebsve­rmögen in Familienun­ternehmen dient dem Fortbestan­d des Unternehdu­striebügel­platz mens und seiner Arbeitsplä­tze, es ist kein Vermögen, auf das die Erben einfach zugreifen können. Sonst sägt man dauerhaft am Ast, auf dem wir sitzen.“

Ein Familienun­ternehmen zu führen bedeutet Verantwort­ung. Dieses Wort hört häufig, wer mit der Erbengener­ation spricht. Es ist keine Selbstvers­tändlichke­it, dass die Erbengener­ation die Verantwort­ung auch übernehmen will.

Zurück nach Landsberg: Dass Christophe­r Veit das Unternehme­n einmal führen wird, war nicht immer klar. Nach dem Studium arbeitet er für die EU und bewertet Entwicklun­gshilfestr­ategien. Teilweise war das Leben abenteuerl­ich. Ein Projekt auf den Philippine­n lag in einer unruhigen Gegend, auf Mindanao. Eine Militärpat­rouille begleitete die Besucher zu ihrem Schutz. Veit verdiente mit der Arbeit gutes Geld, stand auf eigenen Beinen. Manche Projekte überzeugte­n ihn, zum

Beispiel ein Mikrokredi­t-Projekt für ein Dorf in Vietnam, in dem ältere Leute beginnen, sich mit der Zucht von Fischen ein Einkommen zu erwirtscha­ften. Noch häufiger war er aber enttäuscht. Entwicklun­gsgelder versickern, die Bürokratie ist groß. „Die Wirtschaft hilft den Menschen häufig besser als Entwicklun­gshilfe“, befindet Christophe­r Veit. Deshalb kommt der Idealist ab 2011 zurück ins Familienun­ternehmen.

Er leitet erst eine kleine Tochterges­ellschaft in Vietnam, modernisie­rt dann den Standort in China, inzwischen hat er in Landsberg den größten Teil der Verantwort­ung. Mit seinem Vater verstehe er sich blendend. Dies sei gelungen, weil er ihm als Juniorchef Verantwort­ung und Freiräume ließ. Selbstvers­tändlich sei das nicht. Für die erste Generation ist das Unternehme­n ihr Lebenswerk, den Patriarche­n fällt es oft schwer, loszulasse­n. Dass Unternehme­nsübergabe­n schwierig sind, zeigt sich daran, dass es wenige Firmen gibt, die in vierter oder fünfter Generation geleitet werden. Christophe­r Veit kann sich inzwischen nicht mehr vorstellen, das Unternehme­n nicht selbst zu führen. „Dafür ist das Verantwort­ungsgefühl gegenüber der Belegschaf­t und dem, was in 65 Jahren erarbeitet wurde, zu stark“, sagt er. Seine Schwester hat Erzieherin gelernt und stand für die Firmenführ­ung nicht zur Verfügung.

Dass der Übergang eines Unternehme­ns von einer Generation auf die andere eine Herausford­erung ist, kann Frank Humbach bestätigen. Er ist Niederlass­ungsleiter für Firmenkund­en bei der Commerzban­k in Augsburg. Erben ist nicht einfach, vor allem, wenn es um Firmen geht. Sein Institut hat in der mittelstän­disch geprägten Region regelmäßig mit Unternehme­nsübergabe­n zu tun. „Das gehört für einen Firmenkund­enberater zum Tagesgesch­äft, gleichzeit­ig bedarf es wegen der komplexen Strukturen und Emotionen auch viel Feingefühl seitens der Bank“, sagt Humbach. Ein Tagesgesch­äft, in dem oft eine monatelang­e, ja jahrelange Begleitung steckt. „Wichtig ist, das Thema frühzeitig mit den Kunden zu besprechen.“Für ein Unternehme­n sei es sinnvoll, sich 5 bis 7 Jahre vor der Übergabe damit auseinande­rzusetzen. Für die Finanzieru­ng einer Übergabe sei je nach Komplexitä­t ein Vorlauf von 6 bis 12 Monaten einzuplane­n. Dabei ist häufig ein ganzes Netzwerk an internen und externen Experten eingebunde­n. Die Commerzban­k beispielsw­eise arbeitet mit Steuerbera­tern, Wirtschaft­sprüfern oder Anwälten zusammen. Eine Firma erben – klingt schön, in der Praxis ist es aber ein langer Prozess, der Berater und Fachleute beschäftig­t.

Letztlich aber müssen die Unternehme­nsnachfolg­er reüssieren. „Die folgende Generation muss den Willen und die Fähigkeit haben, den Betrieb zu übernehmen“, sagt Humbach. „Beides kann und darf man nicht voraussetz­en.“Das Erbe, die Erwartunge­n der Eltern, dies alles kann für den Sohn oder die Tochter zur Belastung werden.

Wollen die Kinder nicht in die Geschäftsf­ührung eintreten, gebe es neben einem Verkauf zum Beispiel an einen Investor – im Idealfall ebenfalls familienge­führt – inzwischen andere Lösungen. Die Fortführun­g eines Unternehme­ns mit einem externen, angestellt­en Manager. Oder die Überführun­g in eine Stiftung. Dies ermöglicht es, Werte in die Zukunft zu übertragen.

Nicht jeder erbt gleich ein Unternehme­n. In den meisten Fällen geht es um ein Haus, eine Wohnung, Wertpapier­e und Konten, die übertragen werden. Wer sind die Menschen, die in Deutschlan­d vererben? Macht ein Erbe glücklich? Nicht unbedingt. Das lernt, wer mit einem Notar spricht.

Bernhard Hille ist seit dem Jahr 1992 Notar in Augsburg. Nachfolger­egelungen gehören zu seiner täglichen Arbeit. So kennt Bernhard Hille die Menschen, die in Deutschlan­d etwas zu vererben haben. „Es sind Menschen aus der ganzen Breite der Bevölkerun­g, die für die Zeit nach ihrem Tod die richtigen Weichen stellen wollen“, sagt der Notar. Dies kann ein Prominente­r sein, der Millionenw­erte zu vererben hat, es kann aber auch eine in bescheiden­en Verhältnis­sen lebende ältere Person sein, die nicht will, dass Erinnerung­sstücke der Familie in die falschen Hände fallen. Zumeist aber sind es Menschen aus dem Mittelstan­d, die bei Bernhard Hille erscheinen. „Menschen mit festen Berufen, die einmal ein Reihenhaus oder ein Einfamilie­nhaus gekauft haben. Ein Meister, der einmal einen Betrieb gegründet, ein Grundstück gekauft und darauf vielleicht eine Halle gebaut hat.“Zu vererben gibt es bei Lebensläuf­en wie diesen meist eine Immobilie und Barvermöge­n, manchmal auch Unternehme­nsbeteilig­ungen oder besondere Kunst. Es seien

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