Statt Lockerungen drohen Schließungen
Der Inzidenzwert erreicht in Augsburg wohl bald wieder die 100er-Marke. Statt weiteren Erleichterungen ab Montag gelten dann wieder strengere Regeln. Vor allem unter Händler ist das Unverständnis groß
Die Tische und Stühle vor den Restaurants und Cafés am Moritzplatz sind mit Stahlseil abgesperrt. Immer wieder fällt Schnee. Das Wetter lädt nicht ein, um sich niederzulassen. Eigentlich hätte die Außengastronomie ab Montag unter gewissen Voraussetzungen öffnen dürfen, wie auch Theater, Kinos und andere Kultureinrichtungen. Doch kurz bevor die nächste Öffnungsstufe in Kraft treten kann, wurde sie bayernweit schon wieder gekippt. Die Inzidenzwerte, die seit Tagen steigen, sind zu hoch. Während in Gastronomie und auch in der Kultur die Überraschung darüber nicht sonderlich groß ist, schaut der Einzelhandel gebannt darauf, wann die Marke der 100er-Inzidenz geknackt wird. In Augsburg könnte das Anfang nächster Woche der Fall sein. Dann heißt es für viele wieder: schließen. Das Unverständnis über dieses Konzept wächst.
Andreas Gärtner vom Einzelhandelsverband in Schwaben weiß schon gar nicht mehr, was er sagen soll. „Das einzige Mittel sind Schließungen. Etwas anderes fällt der Politik nicht ein“, sagt der Bezirksgeschäftsführer für Schwaben. Ihm ist bewusst, dass Ladenschließungen wieder drohen. Seit dem 8. März durften Geschäfte das erste Mal nach dem Lockdown im Dezember wieder öffnen – mit dem Konzept „Click & Meet“.
Doch die Politik stellte in ihrem Stufenplan klar: Sobald die 100erInzidenz-Marke auf drei aufeinander folgenden Tage gerissen wird, wird erneut dichtgemacht. Nicht nur in Augsburg steht man kurz davor (92,7 Infektionen innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner laut Robert-Koch-Institut am Freitag), sondern nahezu bayernweit. Auch im Landkreis Aichach-Friedberg, wo man am Donnerstag noch unter dem Wert von 50 lag, gehen die Zahlen am Freitag schlagartig nach oben – laut RKI auf 71,3. Öffnen, schließen, öffnen, schließen – für Andreas Gärtner ist dieses Modell nicht nur wirtschaftlich für den Einzelhandel fatal, sondern auch psychologisch. Er kritisiert fehlende
„Seit Monaten haben die Händler auf den Termin der Öffnung hingefiebert und gehofft, ansatzweise mal wieder stabile Umsätze zu generieren. Und jetzt müssen die Betriebe wohl bald wieder schließen.“Der Einzelhandels-Experte sagt, er könne die Fixierung auf ungefilterte Inzidenzwerte nicht nachvollziehen. Wenn dieser Wert nicht in das Verhältnis zu den zunehmenden Tests gesetzt würde, dann gebe es auf Dauer gar keine Öffnungsperspektive, befürchtet er.
Der Augsburger Einzelhändler Michael Berz vom HaushaltswarenGeschäft Siller & Laar ist sich bewusst, dass die erneute Schließung für die Einzelhändler bevorsteht: „Da bin ich realistisch.“Er befürchtet, dass Kunden, die bereits Termine für die nächsten Tage vereinbart haben, wieder vor verschlossenen Türen stehen. Dann gelte wieder nur „Click & Collect“, das wesentlich aufwendiger sei und weniger Umsatz bringe. Für einen Händler sei das alles schwer planbar.
Berz befürchtet, dass das Unverständnis der Kunden bei dem Hin und Her zunehme, und noch mehr Menschen ins Online-Geschäft abwanderten. Auch er plädiert dafür, sich nicht mehr nach den Inzidenzen zu richten. Testen, testen, testen – das ist für Berz die einzige Alternative.
Auch Sportvereine beobachten die Entwicklung der Inzidenzwerte mit Sorge. Seit 8. März dürfen sie vereinzelt wieder öffnen. Dabei handelt es sich ausschließlich um Outdoor-Anlagen. In Augsburg zählen neben den Fußballplätzen auch Golfanlagen, Tennisplätze im Freien, Reitplätze und die Kanuslalomstrecken rund um den Eiskanal dazu. Oberste Vorgabe: Der Sport muss kontaktfrei sein und darf nur von fünf Personen aus zwei Haushalten ausgeübt werden. Wird die 100er-Grenze drei Tage lang geknackt, muss man auch hier zu den Schließungen zurückzukehren, die bis zum 7. März galten.
Staatsintendant André Bücker lacht am Telefon. Es ist wohl so etwas wie Galgenhumor. Er ist nicht überrascht, dass das Staatstheater am Montag nun doch nicht den BeAlternativen. trieb aufnehmen darf. „Ich hatte die Öffnungsperspektive ab dem 22. März sowieso für eine Nebelkerze gehalten“, so Bücker. Deshalb habe man bis dahin auch nichts geplant. Er und die Kollegen hofften auf eine Öffnung Mitte April. Die Vorbereitungen dafür würden freilich schon laufen. Der Intendant wünscht sich, wenigstens bis dahin verbindliche Rahmenrichtlinien aus dem Ministerium zu erhalten, was etwa die Tests angehe. „Sollen wir selbst Tests anbieten oder müssen die Besucher sich selbst im Vorfeld kümmern?“, das sei nur eine von mehreren Fragen, die er gerne im Vorfeld geklärt hätte.
Michael Hehl, der gemeinsam mit Daniela Bergauer das Augsburger Programmkino Liliom betreibt, rechnet mit einer Öffnung der Kinos sogar erst im Sommer. Derzeit gebe es auch gar keine neuen Filmstarts, Corona-Situation und Abstandsregelungen würden die Filmfirmen zudem zum Abwarten zwingen. „Was nur helfen kann, ist: impfen, impfen, impfen“, betont Michael Hehl. Er hofft, dass im Sommer und Herbst die Kinobetreiber wieder durchstarten können – ohne Abstände und mit voller Kapazität. Die Betreiber des Lilioms nutzen die Zeit und schmieden Pläne. Im Sommer wollen sie ein neues Projekt anstoßen – im vergangenen Sommer betrieben sie etwa das Autokino in Gersthofen. Noch will er nicht verraten, um was für ein Projekt es sich diesmal handelt. Nur so viel: „Am 5. August kommt der neue EberhoferKrimi Kaiserschmarrndrama in die Kinos. Den wird man dann bei uns nicht nur im Liliom sehen können.“
Anita Babic vom Restaurant Il Gabbiano am Moritzplatz trägt es mit Fassung, dass sie ab Montag keine Gäste im Freien bewirten darf, wie ursprünglich vorgesehen. Denn diese hätten nur mit einem negativen Testergebnis bei ihr essen und trinken dürfen. „Im Tagesgeschäft ist das unrealistisch. Wer lässt sich denn schnell testen, nur um einen Kaffee einzunehmen oder Pasta zu essen?“Sie und ihr Team hoffen auf eine Öffnung nach Ostern, wenn die Infektionszahlen, wie auch im Jahr zuvor um diese Zeit, vielleicht wieder sinken.