Merkels Kniefall und seine Folgen
Corona Die Kanzlerin bittet um Verzeihung für die völlig verunglückte Osterruhe und muss sich aufgebrachten Abgeordneten stellen. Gleichzeitig werden Rufe nach einer Reform der Ministerpräsidentenkonferenz laut
Berlin Es kommt selten vor, dass sich Regierungschefs für ihr Handeln entschuldigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat es getan. Nicht in verschwurbelten Sätzen, wie es sonst ihre Art ist, sondern in klaren Worten: „Das bedauere ich zutiefst und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung“, sagte Merkel am Mittwoch in die Fernsehkameras.
Sie entschuldigte sich für die schiefgegangene Osterruhe, mit der sie der dritten Corona-Welle die Wucht nehmen wollte. Einer genauen Prüfung ihrer Berater hatte die in der Nacht zum Dienstag überstürzt geborene Idee nicht standgehalten. Juristisch kompliziert und mit enormen Verwerfungen in der Praxis, lautete das Urteil der Beamten.
Merkel musste die Osterruhe abräumen, die sie in der Sache dennoch für richtig hielt. Die Rücknahme der Entscheidung hat aber nicht nur Folgen für die Bekämpfung des Virus, sondern auch für das wichtigste Entscheidungsgremium in Zeiten der Pandemie. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) wird schon länger als Kungelrunde kritisiert, also als Gremium, in dem hinter verschlossenen Türen verhandelt und entschieden wird. Zu später Stunde feilschen 16 abgespannte Ministerpräsidenten und die Kanzlerin über Beschlüsse, die tiefer in das Leben aller eingreifen, als vor Corona überhaupt denkbar war. Die Regierungschefs können des Nachts aber meist keine Rücksprache mehr mit Fachleuten aus den Ministerien oder Praktikern halten. Hätten sie das am Dienstag gekonnt, wäre ihnen aufgefallen, dass es juristisch nicht einfach ist, Gründonnerstag und Karsamstag de facto zu Feiertagen zu machen. Es wäre ihnen auch aufgefallen, wie eng getaktet der Handel seine Supermärkte beliefert oder was es an Aufwand bedeutet, für Millionen Beschäftigte die Lohnfortzahlung für zwei zusätzliche freie Tage zu bewerkstelligen.
„Wir können so nicht weitermachen“, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und meinte damit jene Kungelrunde. Bayerns Landeschef Markus Söder (CSU) sieht es ähnlich: „Wir müssen das Format der Entscheidungsfindung noch einmal grundlegend überdenken.“Söder will zum Beispiel morgens anfangen und nicht erst am Nachmittag. Und er kann sich vorstellen, die Sitzungen öffentlich zu machen.
Wenn die Chefs von CDU und CSU etwas verändern wollen, dann besteht die realistische Chance, dass das auch passiert. Es wäre gleichzeitig das Ende der „Methode Merkel“. Die Kanzlerin hat in anderthalb Jahrzehnten an der Macht aus endlosen Sitzungen eine gefürchtete Meisterschaft gemacht. Merkel, könnte man salopp sagen, bleibt einfach hocken, bis andere vor Erschöpfung einknicken und ein Kompromiss erreicht wird. Dabei besteht die Gefahr, dass die aus einer Mischung aus Müdigkeit und enormem Druck gefällten Einigungen dem hellen Tageslicht nicht standhalten. Dieses Mal hat es Merkel erwischt. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler. Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung“, sagte die Kanzlerin.
Die 66-Jährige versuchte damit auch, Laschet und Söder als ihre potenziellen Nachfolger zu schützen. Merkel hört nach der Wahl im September auf, sie muss nicht mehr auf Umfragen schielen. Diese sehen gerade für die Union nicht gut aus. Seit einigen Wochen bröckelt die Zustimmung, zuletzt fielen CDU und CSU unter die Marke von 30 Prozent. Eine aktuelle Erhebung der Meinungsforscher von Forsa sehen sie sogar nur noch bei 26 Prozent. Plötzlich ist eine Mehrheit ohne die Union möglich und das schürt in beiden Parteien die Angst vor dem Machtverlust. Das hat auch mit den dunklen Maskengeschäften einiger Abgeordneter aus ihren Reihen zu tun, aber stärker noch mit der Corona-Politik, die mittlerweile etwa die Hälfte der Bevölkerung für falsch hält. Auch der Bundestag hat bei der Pandemiebekämpfung lediglich die Rolle, über Für und Wider einzelner Beschlüsse zu debattieren. Den Volksvertretern aus Merkels Union verbleibt die undankbare Aufgabe, die Entscheidungen erklären und verteidigen zu müssen.
Eine Kostprobe davon bekam Merkel in der Fraktionssitzung am Dienstag. Gut ein Dutzend Abgeordnete beklagten bitterlich, dass sie die Corona-Regeln ihren Wählern zu Hause nicht mehr vermitteln könnten. Nach ihrer öffentlichen Entschuldigung muss Merkel sich von der Opposition sogar die Frage gefallen lassen, ob sie noch das Vertrauen der Abgeordneten von CDU, CSU und SPD habe. In der ARD wies sie diese Forderung am Mittwochabend zurück. Sie habe die Menschen für einen Fehler um Verzeihung gebeten. „Das ist, glaube ich, das Richtige, was zu tun ist. Ich habe ansonsten die Unterstützung der gesamten Bundesregierung und insofern auch des Parlamentes.“
Die Kanzlerin stellt sich vor ihre Nachfolger
»Kommentar
Chefredakteur Gregor Peter Schmitz ordnet Merkels Rolle ein. »Die Dritte Seite Unsere Korrespondenten zeichnen die chaotischen Ereignisse der vergangenen Tage nach. »Politik Angela Merkel ist in der Krise an ihre Grenzen gestoßen, analysiert unser Autor Rudi Wais.