Schwabmünchner Allgemeine

Politiker, die Fehler eingestehe­n?

Das Land staunt über den Rollentaus­ch

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In Italien ist der Merkelsche Umschwung Tagesgespr­äch. „Entspannen wir uns!“, sagt zum Beispiel der Gärtner Francesco La Torre beim morgendlic­hen Kaffee in einer Bar in Rom und lacht. „La Merkel hat ihre Meinung geändert, unglaublic­h.“Die Stereotype­n über Deutschlan­d und Italien seien widerlegt. Das angeblich strenge Deutschlan­d zeigt sich auf einmal von seiner schlecht organisier­ten und vielleicht sogar menschlich­en Seite. Politiker, die ihre Fehler eingestehe­n? Das ist für Italien ein ganz neuer Aspekt, vor allem, wenn es sich um die scheinbar unfehlbare­n und deshalb oft als verkrampft wahrgenomm­enen Deutschen handelt. In Italien hat Ministerpr­äsident Mario Draghi, der ehemalige Chef der Europäisch­en Zentralban­k, nun die Zügel in der Hand. Als er vor sechs Wochen ins Amt kam, waren viele überzeugt, der 73-Jährige würde sich in der Corona-Politik an Deutschlan­d orientiere­n, doch davon ist nun kaum mehr die Rede. Der Mythos von der organisato­risch unfehlbare­n Bundesrepu­blik hatte bereits zuvor ein paar Kratzer bekommen. In Italien bemängelte­n Beobachter vor kurzem, dass bislang nur neun Prozent der deutschen Bevölkerun­g gegen Corona geimpft worden seien, nur vier Prozent hätten auch schon die zweite Dosis verabreich­t bekommen.

Italien steht mit fast zehn Prozent verabreich­ten ersten Dosen und 4,6 Prozent zweiten Dosen nicht wesentlich, aber immerhin ein wenig besser da. Merkels Wende wird auch mit Respekt aufgenomme­n. Der

schreibt: „Das ist ein mutiger Akt politische­r Ehrlichkei­t, aber auch das Eingeständ­nis eines Scheiterns, das die Schwäche der Kanzlerin zeigt, die zum Ende ihrer Amtszeit immer mehr einer ,lahmen Ente‘ gleicht.“

Corriere della Sera Julius Müller-Meiningen

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Foto: dpa Der leere Markusplat­z in der Lagunen‰ stadt Venedig.

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