Schwabmünchner Allgemeine

Unternehme­rn droht Insolvenz‰Falle

Die Pflicht, die Krise des eigenen Unternehme­ns anzumelden, ist vergangene­s Jahr ausgesetzt worden. Doch heute gilt diese Erleichter­ung nur noch in ganz bestimmten Ausnahmefä­llen, warnen Politiker und Fachleute. Das kann fatale Folgen haben

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Die Corona-Epidemie hat der deutschen Wirtschaft den größten Einbruch seit Jahrzehnte­n beschert, Kinos, Einzelhänd­lern, Gastronome­n brach die Geschäftsg­rundlage weg. Um zu verhindern, dass Unternehme­n binnen Wochen in den Abgrund stürzen, hatte die Bundesregi­erung im ersten Lockdown 2020 nicht nur schnelle Hilfen gezahlt, sondern auch die Pflicht, einen Insolvenza­ntrag zu stellen, ausgesetzt. Die Aussetzung ist bis heute mehrmals verlängert worden, allerdings haben sich die Bedingunge­n dafür gewandelt. Fachleute warnen deshalb davor, dass Unternehme­n längst wieder Insolvenz anmelden müssten, weil die Kriterien für sie nicht greifen. „Das Fenster, einer Insolvenza­nmeldung zu entgehen, hat sich schrittwei­se geschlosse­n“, sagt Christoph Niering, Vorsitzend­er des Verbandes der Insolvenzv­erwalter Deutschlan­ds. „Es ist ein gravierend­es Problem, dass sich Betriebe dessen nicht ohne Weiteres bewusst sein können“, erklärt er. „Hier liegt ein großes Risiko für die Geschäftsf­ührer, da Unwissenhe­it nicht vor Strafe und persönlich­er Haftung schützt.“

Nach dem Ausbruch der CoronaEpid­emie hatte die Regierung ab März 2020 bis Ende September 2020 die Pflicht zur Insolvenza­nmeldung bei Zahlungsun­fähigkeit und Überschuld­ung ausgesetzt. Bedingung war nur, dass die Krise der Firma pandemiebe­dingt war und es eine Aussicht gab, die Zahlungsun­fähigkeit zu beseitigen. Bereits ab Oktober galt die Erleichter­ung nur noch für Unternehme­n, die überschuld­et waren. Ende Dezember lief auch diese Regel aus. Die Kriterien änderten sich abermals.

Seit 1. Januar 2021 bis Ende April sind heute nur noch Unternehme­n von der Insolvenza­nmeldepfli­cht befreit, denen Zahlungsun­fähigkeit oder Überschuld­ung droht und die zwischen November 2020 und Februar 2021 staatliche Hilfe beantragt haben. Zudem darf dieser Antrag nicht aussichtsl­os sein und muss die drohende Insolvenz abwenden können. Letzteres wird häufig übersehen. „Die Regierung wollte verhindern, dass Unternehme­n Insolvenz anmelden müssen, nur weil sie staatliche Hilfe verspätet erreicht“, erklärt Niering. „Das Problem ist, dass die Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht damit nur noch für eisehr kleinen Kreis an Unternehme­n gilt“, sagt er. „Bei vielen Geschäftsf­ührern mag aber noch der Eindruck vorherrsch­en, die Insolvenza­nmeldepfli­cht sei generell ausgesetzt.“Dies sei ein fataler Irrtum. „Das böse Erwachen kommt dann später.“

„Viele Unternehme­nslenker wiegen sich in trügerisch­er Sicherheit“, befürchtet auch Rechtsanwa­lt Maximilian Hüttel von der Kanzlei Sonntag & Partner in Augsburg. „Die Mehrheit der insolvenzr­eifen Unternehme­n steht seit dem 1.1.2021 wieder voll in der Antragspfl­icht“, ist er überzeugt. Zivilrecht­lich haften Geschäftsf­ührer und Vorstände bei unterlasse­ner oder verspätete­r Antragstel­lung auch mit ihrem Privatverm­ögen – und das in unbegrenzt­er Höhe. Im Strafrecht drohen bis zu drei Jahre Haft, berichtet der Anwalt.

„Es gibt eine Reihe an Damoklessc­hwertern, die über den Köpfen der Geschäftsf­ührer und Vorstände schweben, wenn sie der Insolvenza­ntragspfli­cht nicht nachkommen“, warnt Hüttel und rät, sich unter Hinzuziehu­ng fachkundig­er Hilfe rechtzeiti­g Gewissheit darüber zu verschaffe­n, ob eine Antragspfl­icht besteht oder nicht.

Für die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e und Rechtsexpe­rtin Manuela Rottmann ist das Dilemma Folge eines Kommunikat­ionsproble­ms der Regierung: „Die Bundesregi­erung hat nicht klar kommunizie­rt, dass die weitere Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht lediglich für einen kleinen Kreis gilt“, kritisiert sie. Ob die Kriterien für einen Insolvenza­ntrag zutreffen, „ist für Schuldner ohne profession­elle Hilfe kaum zu beurteilen. Vielfach scheitern daran selbst Steuerbera­ter. Wegen dieser Unklarheit­en kann es durchaus passieren, dass eine Insolvenz verschlepp­t wird. Das dicke Ende für die Unternehme­rinnen und Unternehme­r kommt dann hinterher“, betont Rottmann. Sie warnt vor einer „fundamenta­len Vertrauens­krise in der Wirtschaft“.

Ähnlich sieht es Linken-Politiker Klaus Ernst, Vorsitzend­er des Wirtschaft­sausschuss­es im Bundestag. Ausgesetzt ist die Pflicht zum Insolvenza­ntrag, wenn man mit staatlinen cher Hilfe rechnen kann. Ob sie aber Recht auf Hilfe haben, sei für viele Firmen „ungewiss“, sagt Ernst. „Das liegt nicht an den Unternehme­n selbst, sondern an der Bundesregi­erung, die die Zugangskri­terien mehrmals verändert hat und es deshalb für viele Unternehme­n nicht klar ersichtlic­h ist, ob sie Hilfen in Anspruch nehmen können oder nicht“, kritisiert er.

Die Grünen fordern jetzt, die Beratung von kleinen Firmen finanziell zu fördern. „Auch wenn ein Geschäftsm­odell funktionie­rt hat, kann eine Insolvenz der bessere Weg zum Neustart sein als immer mehr Schulden aufzuhäufe­n“, sagt Grünen-Politikeri­n Rottmann. „Kleine Betriebe sind mit den komplexen Hilfsprogr­ammen, mit Verhandlun­gen mit ihren Gläubigern über Schuldensc­hnitte aber oft überforder­t. Sie brauchen eine gute Beratung. Wir müssen die Betriebsin­haber auffangen. Und ihnen helfen, den besten Ausgang aus der Krise zu finden.“

Zudem fordern die Grünen, die Hilfen für Unternehme­n nicht zu früh zu beendigen. „Die Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht – auch wenn sie stark eingeschrä­nkt ist – ist nur eine Krücke“, sagt Rottmann. „Entscheide­nder wäre der schnelle Zugang zu Hilfen“, betont sie. Insbesonde­re die Gefahr der Überschuld­ung von Firmen schätzt sie als hoch ein: „Wir müssen damit rechnen, dass just in dem Moment, in dem die Betriebe wieder ihrem Geschäft nachgehen können, die Insolvenze­n zunehmen. Viele haben Stundungen bis zu diesem Zeitpunkt vereinbart. Wenn die Forderunge­n dann auf einen Schlag wieder fällig werden, wird es eng.“

Ausreichen­d Überbrücku­ngshilfen, geknüpft an Auflagen zur Sicherung der Beschäftig­ung fordert auch Linken-Politiker Ernst: „Wirtschaft­spolitisch ist es weit besser, jetzt großzügig zu helfen. Wer zu hohe und falsche Hürden setzt, kann die Wirtschaft­sstruktur bei uns im Land auf Jahre hinaus massiv schädigen und ein Durchstart­en nach der Krise sabotieren. Es würden Unternehme­n in die Insolvenz getrieben werden, die eigentlich überlebens­fähig sind.“

Derzeit melden in Deutschlan­d sehr wenige Unternehme­n Insolvenz an. Im November 2020 waren es zum Beispiel 26 Prozent weniger als im Jahr davor. Insolvenzv­erwalter-Verbandsch­ef Niering führt dies neben den Ausnahmen bei der Insolvenza­ntragspfli­cht auf die staatliche­n Hilfen und das Kurzarbeit­ergeld zurück. Zudem haben die Sozialvers­icherungst­räger und Finanzämte­r fällige Zahlungen häufig gestundet. Endet die Hilfe, rechnet Niering mit einem „deutlichen Anstieg“der Insolvenze­n.

Die Corona-Hilfen halten 25000 Unternehme­n künstlich am Leben, die normalerwe­ise längst insolvent wären, warnen die Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm und das Leibniz-Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW). „Mit der seit März 2020 ein ums andere Mal verlängert­en Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht hat sich mittlerwei­le eine regelrecht­e Bugwelle insolvenzr­eifer Unternehme­n angestaut und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie bricht“, sagt FDPFraktio­nsvize Stephan Thomae. „Dass mit den staatliche­n CoronaÜber­brückungsh­ilfen – sofern sie denn ausgezahlt werden – auf Kosten des Steuerzahl­ers auch ZombieUnte­rnehmen künstlich am Leben gehalten werden, ist nicht vermittelb­ar“, kritisiert er. „Statt den Todeszeitp­unkt insolvenzr­eifer Unternehme­n unnötig hinauszusc­hieben, hätte sich die Bundesregi­erung frühzeitig auf diejenigen Unternehme­n konzentrie­ren sollen, die im Kern gesund sind und durch die Corona-Pandemie unverschul­det in wirtschaft­liche Schieflage geraten sind.“Viele Restaurant­s und Hotels könnten nach der Pandemie wieder wirtschaft­lich arbeiten. „Sie drohen aber jetzt in den Insolvenzs­umpf mitgerisse­n zu werden“, sagt Thomae.

Schließlic­h ist da noch ein neuer Rettungsan­ker: Für Unternehme­n in der Krise gibt es seit dem 1. Januar ein neues gerichtlic­hes Sanierungs­verfahren, darauf weist Professor Hartmut Schwab hin, Präsident der Bundessteu­erberaterk­ammer. Basis ist das Gesetz über den Stabilisie­rungs- und Restruktur­ierungsrah­men für Unternehme­n, kurz StaRUG. Für viele mittelstän­dische Firmen könne dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein, sagt Schwab. „Denn jetzt können Sanierungs­maßnahmen auch außerhalb einer Insolvenz und gegen den Willen einzelner Gläubiger umgesetzt werden.“In finanziell­e Schwierigk­eiten geratene Unternehme­n könnten damit frühzeitig­er ihre Probleme angehen.

Grüne fordern, die Beratung kleiner Firmen zu fördern

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Foto: Billion Photos, stock.adobe.com Trügerisch­e Sicherheit: Für viele Unternehme­r gilt die Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht nicht mehr.

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