GitarrenAkkorde gegen den LockdownBlues
In der Pandemie entdecken viele Menschen die Gitarre für sich. Davon profitieren Instrumentenbauer, Musikhändler und Privatlehrer, die digital unterrichten. Und nach der Krise dann wohl auch die Musikschulen
Buchenberg/Berlin Er spielt ein paar Akkorde auf seiner Gitarre und fängt an zu singen – nur um gleich wieder abzubrechen. „Joa, die guten Sportfreunde Stiller“, meint Bernd Kleinschrod und grinst in die Kamera. „Wir gehen es wie immer zweigeteilt an: Schlagmuster, Akkorde – los geht’s!“Neun Minuten und 22 Sekunden dauert das Youtube-Video. Dann sollen GitarrenAnfänger das Rüstzeug haben, um bald selbst das Lied „Ein Kompliment“spielen zu können.
Etwas Besseres als die CoronaPandemie hätte dem Gitarrenlehrer aus Buchenberg im Allgäu eigentlich nicht passieren können – zumindest aus beruflicher Sicht. Seit elf Jahren bringt er Menschen online die Gitarre näher, aber der Lockdown ist sein Durchbruch. Der Umsatz stieg plötzlich um das vier- bis fünffache an; bis zu 40000 Menschen greifen monatlich auf seine Website zu und die Mitgliederzahlen seiner Facebook-Gruppe „Gitarre spielen lernen“verdoppelten sich.
Kleinschrods Schüler lernen die ersten Akkorde mit Erklärungen im pdf-Format, mit kurzen Filmen, Sprachnachrichten und Videotelefonaten. „Plötzlich war die Digitalisierung da, ein unfassbarer Schub“, sagt der 34-Jährige. „In der Pandemie finden wieder mehr Menschen den Zugang zur Gitarre.“
Dies spürt auch die Musikinstrumentenbranche. In den letzten Jahren sank das Interesse an der Gitarre, die Umsatzzahlen brachen ein und viele Instrumente verstaubten auf dem Dachboden, erzählt Daniel Knöll, Geschäftsführer beim Branchenverband Somm (Society Of Music Merchants) mit Sitz in Berlin. In der Pandemie erlebe die Gitarre eine unverhoffte Rückkehr. Laut Verband stieg die Nachfrage nach elektrischen Gitarren von Januar bis November 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 30 Prozent, bei den akustischen Gitarren um 20 Prozent. Die Nachfrage sei so groß, dass die Musikbranche kaum hinterherkomme.
„Wir können den Bedarf nicht sofort abdecken“, sagt Daniel Knöll. Werkstätten stünden still oder könnten wegen der Hygienevorschriften nur mit weniger Personal arbeiten, bei der Lieferung von Material und Gitarren komme es zu Verzögerungen.
Selbst kleine Gitarrenwerkstätten profitieren. Anfangs hätten sie noch befürchtet, dass die Aufträge bald wegbrechen, erzählt Kora Jünger von dem Unternehmen Deimel Guitarworks, das in der märkischen Provinz E-Gitarren nach Maß anfertigt. „Also haben wir versucht, viele laufende Aufträge schneller zu bearbeiten, um so die Existenz zu sichern.“Doch die Befürchtungen bestätigten sich nicht, bis zum Januar 2022 ist die Gitarrenwerkstatt ausgebucht. „Ganze Chargen konnten nicht fertiggestellt werden, das ist teilweise immer noch so.“Die Kunden müssten sich auf Wartezeiten bis zu einem Jahr einstellen, berichtet Kora Jünger.
Statt Anfragen von Gitarristen bekomme die Werkstatt in der Pandemie vor allem Wünsche von Menschen mit festen Einkommen, die momentan ihr Geld und ihre Zeit nicht in Urlaub, Konzert- und Restaurantbesuche stecken können.
Gitarrespielen sei ein Ausgleich in der Krise, bestätigt Guido Müller, Direktor der staatlichen Jugendmusikschule in Hamburg. „Die zarten Klänge der Gitarre, die auch keinen Nachbarn stören, tun der Seele gut. Schon wenige Griffe genügen, um den eigenen Gesang zu begleiten oder Lieblingssongs nachzuspielen.“Wie kein anderes Instrument entspreche die Gitarre der Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und sei vergleichsweise leicht selbstständig zu lernen.
Trotzdem brauchen Einsteiger persönliches Feedback, betont Tilman Fischer von der Rheinischen Musikschule Köln. „Da muss einer den Spiegel vorhalten und korrigieren.“Gerade jüngere Schüler seien mit Online-Unterricht nicht zu erreichen. „Sechsjährige sitzen nur vor dem Bildschirm wie bei der Sendung mit der Maus.“Aber auch viele Erwachsene werden sich nach den ersten Selbstversuchen im Lockdown wieder an die Musikschulen wenden um weiterzukommen, prognostiziert der Verband deutscher Musikschulen.
Der Allgäuer Gitarrenlehrer Bernd Kleinschrod entwickelt derweil sein nächstes digitales Konzept. Vielleicht könne er bald seinen Lebensunterhalt mit dem Online-Unterricht bestreiten. Das Interesse an der Gitarre werde jedenfalls anhalten, meint der 34-jährige Buchenberger.