Schwabmünchner Allgemeine

Heinrich Mann: Der Untertan (27)

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DDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

as ist aber auch ein historisch­es Verdienst, sagte dein Vater immer.“

„Verdienst?“schrie Diederich. „Wenn ich nur weiß, einer ist gegen die Regierung, ist er für mich schon erledigt. Und Hochverrat soll ein Verdienst sein?“Und er stürzte sich, vor den erstaunten Frauen, in die Politik. Diese alten Demokraten, die noch immer das Regiment führten, waren nachgerade die Schmach von Netzig! Schlapp, unpatrioti­sch, mit der Regierung zerfallen! Ein Hohn auf den Zeitgeist! Weil im Reichstag der alte Landgerich­tsrat Kühlemann saß, ein Freund des berüchtigt­en Eugen Richter, darum stockte hier das Geschäft, und niemand kriegte Geld. Natürlich, für so ein freisinnig­es Nest gab es weder Bahnanschl­üsse noch Militär. Kein Zuzug, kein Betrieb! Die Herren im Magistrat, immer dieselben paar Familien, das kannte man, die schoben sich untereinan­der die Aufträge zu, und für andere Leute war nichts da. Die Papierfabr­ik

Gausenfeld hatte sämtliche Lieferunge­n an die Stadt, denn auch ihr Besitzer Klüsing gehörte zu der Bande des alten Buck!

Magda wußte noch etwas. „Neulich ist die Liebhaberv­orstellung im Bürgerkrän­zchen abgesagt worden, weil dem Herrn Buck seine Tochter, Frau Lauer, krank war. Das ist doch Popismus.“

„Nepotismus heißt es“, sagte Diederich streng. Er rollte die Augen. „Und dabei ist der Herr Lauer ein Sozialist. Aber der Herr Buck mag sich hüten! Wir werden ihm auf die Finger sehen!“

Frau Heßling hob flehend die Hände. „Mein lieber Sohn, wenn du jetzt in der Stadt deine Besuche machst, versprich mir, daß du auch zum Herrn Buck gehst. Er ist nun mal so einflußrei­ch.“

Aber Diederich versprach nichts. „Andere wollen auch ran!“rief er.

Trotzdem schlief er in dieser Nacht unruhig. Schon um sieben ging er in die Fabrik hinunter und schlug sofort Lärm, weil noch die

Bierflasch­en von gestern umherlagen. „Hier wird nicht gesoffen, hier ist keine Kneipe. Herr Sötbier, das steht doch wohl im Reglement.“

„Reglement?“sagte der alte Buchhalter. „Wir haben gar keins.“Diederich war sprachlos; er schloß sich mit Sötbier ins Kontor ein. „Kein Reglement? Dann wundert mich allerdings gar nichts mehr. Was sind das für lächerlich­e Bestellung­en, mit denen Sie sich da abgeben“– und er warf die Briefe auf dem Pult umher. „Es scheint höchste Zeit gewesen zu sein, daß ich eingreife. Das Geschäft versumpft in Ihren Händen.“„Versumpfen, junger Herr?“„Ich bin für Sie der Herr Doktor!“Und er verlangte, daß man einfach alle anderen Fabriken unterbiete­n solle.

„Das halten wir nicht aus“, sagte Sötbier. „Überhaupt wären wir gar nicht imstande, so große Aufträge auszuführe­n wie Gausenfeld.“

„Und sie wollen ein Geschäftsm­ann sein? Dann stellen wir eben mehr Maschinen ein.“

„Das kostet Geld“, sagte Sötbier. „Dann nehmen wir welches auf! Ich werde hier Schneid hineinbrin­gen. Sie sollen sich wundern. Wenn Sie mich nicht unterstütz­en wollen, mache ich es allein.“

Sötbier wiegte den Kopf. „Mit Ihrem Vater, junger Herr, war ich immer einig. Wir haben zusammen das Geschäft in die Höhe gebracht.“

„Jetzt ist eine andere Zeit, merken Sie sich das. Ich bin mein eigener Geschäftsf­ührer.“Sötbier seufzte: „Das ist die stürmische Jugend“– indes Diederich schon die Tür zuwarf. Er durchmaß den Raum, worin die mechanisch­e Trommel, laut schlagend, die Lumpen in Chlor wusch, und wollte das Zimmer des großen Kochhollän­ders betreten. Im Eingang kam ihm unvermutet der schwarzbär­tige Maschinenm­eister entgegen. Diederich zuckte zusammen, fast hätte er dem Arbeiter Platz gemacht. Dafür rannte er ihn mit der Schulter beiseite, bevor der Mann ausweichen konnte. Schnaufend sah er der Arbeit des Holländers zu, dem Drehen der Walze, dem Schneiden der Messer, das den Stoff in Fasern zerteilte. Grinsten ihn die Leute, die die Maschine bedienten, nicht etwa von der Seite an, weil er vor dem schwarzen Kerl erschrocke­n war? ,Der Kerl ist ein frecher Hund! Er muß raus!‘ Ein animalisch­er Haß stieg in Diederich herauf, der Haß seines blonden Fleisches gegen den mageren Schwarzen, den Menschen von einer anderen Rasse, die er gern für niedriger gehalten hätte und die ihm unheimlich schien. Diederich fuhr auf.

„Die Walze ist falsch gestellt, die

Messer arbeiten schlecht!“Da die Leute ihn nur ansahen, schrie er: „Maschinenm­eister!“Und als der Schwarzbär­tige eintrat: „Sehen Sie sich die Schweinere­i mal an! Die Walze ist viel zu tief auf die Messer gesenkt, sie zerschneid­en mir das ganze Zeug. Ich mache Sie verantwort­lich für den Schaden!“

Der Mann beugte sich über die Maschine. „Schaden ist keiner da“, sagte er ruhig, aber Diederich wußte schon wieder nicht, ob er unter seinem schwarzen Bart nicht feixte. Der Blick des Maschinenm­eisters hatte etwas düster Höhnisches, Diederich ertrug ihn nicht, er gab es auf zu blitzen und warf nur die Arme. „Ich mache Sie verantwort­lich!“

„Was ist denn los?“fragte Sötbier, der den Lärm gehört hatte. Dann erklärte er dem Herrn, daß der Stoff durchaus nicht zu kleinfaser­ig geschnitte­n werde und daß es immer so gemacht worden sei. Die Arbeiter nickten mit den Köpfen, der Maschinenm­eister stand gelassen dabei. Diederich fühlte sich einem Kompetenzs­treit nicht gewachsen, er schrie noch: „Dann wird es künftig gefälligst anders gemacht!“und kehrte plötzlich um.

Er gelangte in den Lumpensaal, und er gab sich Haltung, indem er sachkundig die Frauen überwachte, die auf den Siebplatte­n der langen Tische die Lumpen sortierten. Als eine kleine Dunkeläugi­ge es unternahm, ihn aus ihrem bunten Kopftuch heraus ein wenig anzulächel­n, prallte sie gegen eine so harte Miene, daß sie erschrak, und sich duckte. Farbige Fetzen quollen aus den Säcken, das Getuschel der Frauen verstummte unter dem Blick des Herrn, und in der warmen, dumpfigen Luft war nichts mehr zu vernehmen als das leise Rattern der Sensen, die, in die Tische gerammt, die Knöpfe abschnitte­n. Aber Diederich, der die Heizungsro­hre untersucht­e, hörte etwas Verdächtig­es. Er beugte sich hinter einen Haufen Säcke – und fuhr zurück, errötet und mit zitterndem Schnurrbar­t. „Nun hört alles auf!“schrie er. „Rauskommen!“Ein junger Arbeiter kroch hervor. „Das Frauenzimm­er auch!“schrie Diederich. „Wird’s bald?“Und als endlich das Mädchen sich zeigte, stemmte er die Fäuste in die Hüften. Hier ging es ja heiter zu! Seine Fabrik war nicht nur eine Kneipe, sondern noch ganz was anderes! Er zeterte, daß alles zusammenli­ef. „Na, Herr Sötbier, dies ist wohl auch immer so gemacht worden? Ich gratuliere Ihnen zu Ihren Erfolgen. Also die Leute sind gewohnt, die Arbeitszei­t zu benutzen, um sich hinter den Säcken zu amüsieren. Wie kommt der Mann hier herein?“Es sei seine Braut, sagte der junge Mensch.

»28. Fortsetzun­g folgt

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