Was bringt die Bundesnotbremse?
Die Corona-Regeln sollen überall in Deutschland einheitlich werden – und auch für Bayern Verschärfungen bringen. Vielen Bundesländern geht der Eingriff des Bundes zu weit
Berlin Kanzlerin Angela Merkel macht ihre Drohung gegenüber den Bundesländern wahr: Nun soll eine bundesweite „Notbremse“kommen, wie es tatsächlich im Vorwort des Gesetzentwurfs der Bundesregierung heißt. Denn die gemeinsamen Corona-Beschlüsse der umstrittenen Bund-Länder-Konferenzen wurden vielerorts höchst unterschiedlich umgesetzt.
In Bayern gibt es in den Kreisen und Städten Ausgangssperren, wenn die Sieben-Tages-Inzidenz über hundert steigt, in Berlin nur ein nächtliches Freunde-Treff-Verbot. Und das Saarland erklärt sich trotz steiler als in jedem anderen Bundesland ansteigender Infektionskurven zum landesweiten Modellversuch für Öffnungen. Damit könnte schon nächste Woche Schluss sein. Laut dem Regierungsentwurf zur inzwischen vierten Änderung des Infektionsschutzgesetzes sollen künftig bundesweit einheitliche Regelungen gelten. Selbst für Bayern bedeutet dies Verschärfungen, wenn die Bundestagsfraktionen von Union und SPD der Regierungsvorlage folgen.
Demnach würde bald wieder eine Ausgangssperre ab 21 Uhr statt ab 22 Uhr gelten, sobald die Inzidenz über hundert steigt. Auch hinter der Öffnung des Einzelhandels nach dem „Click & Meet“-Prinzip mit einem negativen Corona-Schnelltest prangt ein großes Fragezeichen. Ab der Hunderter-Inzidenz sollen wieder nur noch Supermärkte, Getränkemärkte und etwa Apotheken, Drogerien und Tankstellen öffnen dürfen. Von Ausnahmen – außer für Gartenmärkte und Buchhandlungen – ist auch mit Schnelltests keine Rede mehr. Für Kultur, Restaurants und Privatkontakte gibt es keine Lockerungen vom Lockdown.
Auch in der Frage des Schulunterrichts will der Bund den Ländern Vorschriften machen: Für Präsenzunterricht sind zwei Corona-Tests in der Woche vorgeschrieben und ab Inzidenz von über 200 wird „die Durchführung von Präsenzunterricht untersagt“. Mehrere Bundesländer kritisieren den Entwurf als zu weitgehend. Darf der Bund überhaupt so weit in die Länderbefugnisse hineinregieren?
Ja, sagt der renommierte Staatsrechtler Ulrich Battis: „Die Kompetenz des Bundes, diese Fragen im Infektionsschutzgesetz zu klären, ist rechtlich völlig unproblematisch. Alles, was hier angeordnet wird, wird gerechtfertigt mit der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, nach Artikel 74 Nummer 19 im Hier unterscheide sich diese Novelle des Infektionsschutzgesetzes nicht von den vorherigen in dieser Pandemie.
„Zwar ist die Schule grundsätzlich Ländersache, doch hier überschneiden sich organisatorische Fragen wie die Bedingungen für den Präsenzunterricht mit der Pandemiebekämpfung“, sagt Battis. Der Bund greife nicht inhaltlich in Lehrpläne oder die Bildungspolitik ein, sondern regele, wie man mit möglichen Infektionsquellen umgeht. „Das ist durch Artikel 74 im Grundgesetz gedeckt“, sagt Battis. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Bereiche sowohl unter Bundes- als auch unter Landeskompetenz fallen. Hier ist entscheidend, dass wir eine Pandemielage von nationaler Bedeutung haben. Deshalb sehe ich hier keine verfassungsrechtlichen Probleme.“
Einen wesentlichen Unterschied gibt es zudem künftig bei den zahlreichen Gerichtsverfahren gegen Corona-Maßnahmen, etwa beim hochumstrittenen Beherbergungsverbot für Privatreisende. „Hier wird es sicher weitere Klagen geben“, sagt Battis. „Aber weil dies ein Bundesgesetz werden soll, wird das nun Sache des Bundesverfassungsgerichts und nicht einfacher Verwaltungsgerichte“, erklärt der Staatsrecht-Professor. „Die einzelnen Maßnahmen können vor Gericht angegriffen werden, aber soweit sie jetzt im Bundesgesetz geregelt sind, würden sie nun ein Fall für das Bundesverfassungsgericht.“Das gelte auch für die Frage der umstritGrundgesetz.“ tenen Ausgangsbeschränkungen, erklärt der Experte.
Der Gesetzentwurf bringt für Theater und Kulturschaffende zwar keine Lockerung, aber eine kleine Aufwertung. „Bemerkenswert ist, dass die Kultur im Gesetz endlich nicht mehr im gleichen Punkt wie Spaßbäder, Spielhallen und Bordelle auftauchen soll, sondern einen eigenen Abschnitt im Gesetz bekommt“, sagt Battis. „Die Clubszene, die auch politisch fordert, dass sie zu Kultureinrichtungen zählt, bleibt dagegen in der Aufzählung nur zwei Worte vor den Bordellen.“Aber das Gesetz werde ja noch vom Parlament bearbeitet.
Harsche Kritik kommt nach wie vor von der Opposition: „Die Bundesregierung will sich nun größere Befugnisse geben, Grundrechte einzuschränken, das ist inakzeptabel“, sagt Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Die Debatte müsse statt nun wieder im kleinen Kreis der Koalitionsfraktionen ergebnisoffen im Parlament geführt werden. „Dort muss auch über die Grundrechtseinschränkungen
Klagen müssen vor das Bundesverfassungsgericht
entschieden werden“, fordert die Linke. „Dass jetzt die Verhängung von Ausgangssperren bundesweit möglich werden soll, lehnen wir ab“, fügt sie hinzu. „Eine solche Maßnahme kann nur dann grundrechtskonform sein, wenn die Wirksamkeit für den Infektionsschutz nachgewiesen ist und alle milderen Mittel ausgeschöpft sind. Beides ist nicht der Fall.“
Auch die FDP kritisiert vor allem die Regelungen zur Ausgangssperre. „Ein nackter Inzidenzwert taugt nicht, um schwere Grundrechtseinschränkungen zu begründen“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann. „Eine Maßnahme wie die nächtliche Ausgangssperre ist unverhältnismäßig“, betont er.
Zudem ignoriere die Bundesregierung fast jeden technischen Fortschritt in der Pandemiebekämpfung: „Nichts zu Tests, nichts zu Hygienekonzepten, nichts zu geimpften Personen – wenn sich der Entwurf nicht substanziell verändert, werden wir dem nicht zustimmen können“, kündigt Buschmann an. Dabei stehe seine Partei hinter dem Grundziel: „Die Idee bundesweit einheitlicher Wenn-dann-Regeln, die auf die Lage vor Ort abstellen, ist gut“, sagt der FDP-Politiker. „Der konkrete Entwurf enthält jedoch zahlreiche Mängel.“