„Ist das schlimm?“
Seit Montag ist der Corona-Selbsttest in bayerischen Klassenzimmern Pflicht. Über Erstklässler mit Fachwissen, die Kritik besorgter Eltern und kreative Erklärvideos zum „Teschten“und „Zusammenpopeln“
Thannhausen Kaum hat die Lehrerin das Wattestäbchen für den CoronaTest in Großaufnahme an die Wand über der Tafel gebeamt, schnellen die Finger in die Höhe: „Das ist das Ding, das man in die Nase reintut und fünfmal dreht“, ruft Moritz aus der Klasse 1G der Anton-HöferGrundschule in Thannhausen (Kreis Günzburg). Manche Kinder haben zu Hause mit ihren Eltern geübt, andere haben sich Erklärvideos zu den Schnelltests angesehen, die für bayerische Schüler seit Montag zweimal die Woche Pflicht sind.
Für jedes Kind hat Lehrerin Birgit Herdegen eine verzierte Pappschale hergerichtet, darin alle Bestandteile eines Testkits: Das Stäbchen – „Du hältst es wie einen Lolli“. Das Röhrchen mit Flüssigkeit – „Aufmachen wie einen Joghurtbecher“. Dazu eine Holzwäscheklammer, um das Röhrchen umfallsicher auf dem Tisch abzustellen, und die Testkassette. Acht Kinder sitzen heute im Klassenzimmer, mit Abstand und Maske. Die andere Hälfte der Klasse kommt am nächsten Tag.
Im Kreis Günzburg hatte die Sieben-Tage-Inzidenz am Freitag bei 89,7 gelegen, deswegen ist hier Wechselunterricht erlaubt – so wie in 23 weiteren Regionen. Wo die Inzidenz vor dem Wochenende den Grenzwert 100 überschritten hatte, lernen die Schüler wieder per Video. Nur die vierten Klassen und Schüler kurz vor dem Abschluss dürfen dort – sofern negativ getestet – in den Wechselunterricht.
Doch die Kritiker der neuen Pflicht verstummen nicht. Lehrerverbände fürchten Infektionen sowohl auf dem Schulweg als auch im Klassenzimmer und fordern, die Tests außerhalb der Schulmauern von Fachpersonal oder Eltern durchzuführen. Augsburger Elternbeiräte verfassten einen Offenen Brief an die Staatsregierung. Eltern fürchteten, dass sich ihre Kinder verletzten, schreiben sie. Kinder hätten Angst, vor allen Klassenkameraden positiv getestet zu werden. Vor seelischen Schäden warnt auch Alex Eder, Landrat im Unterallgäu. Der Freie-Wähler-Politiker sammelte mehr als 800 Gefällt-mir-Angaben mit einem Facebook-Beitrag, in dem er sich ausmalt, wie ein corona-positives Kind von den Klassenkameraden ausgelacht wird, „voller Panik und Verunsicherung“allein auf die Eltern wartet. Eder fordert, die Tests zu Hause stattfinden zu lassen. Das Kultusministerium lehnt das ab. Auf dessen Homepage erklärt „Dr. Kasperl“von der Augsburger Puppenkiste, wie es klappt mit dem „Teschten“. Die Stadt Memmingen hat einen kurzen Film mit dem Titel „Zusammenpopeln“ins Netz geladen. „Es tut nicht weh, aber es hilft uns“, sagt Oberbürgermeister Manfred Schilder (CSU) am Ende des Videos, in dem er sich zusammen mit Stadträten, Eltern und Pädagogen testet.
Auch Lehrerin Birgit Herdegen in Thannhausen erklärt den Kindern, dass ein positiver Test nichts Schlimmes ist, kein Grund zum
Auslachen oder Angst haben. „Man muss dann einfach ein paar Tage zu Hause bleiben. Ist das schlimm?“Die Kinder rufen durcheinander: „Nein, nein!“Auch beim Testen bemüht sie sich, mögliche Ängste wegzuwischen. „Wer schon einmal mit dem Finger in der Nase gebohrt hat, war weiter drin als das Stäbchen“, sagt sie, die Kinder lachen. Unfallfrei stecken sie sich die Watte in die Nasen, rühren damit in der durchsichtigen Testlösung. Herdegen wird später zwar sagen, sie habe anfangs eine leichte Anspannung unter den Kindern gespürt, aber nach rund 25 Minuten ist die Probe auf der Testkassette. „Schau mal, meins läuft rosa an“, ruft Moritz. Viele gebannte „Aaahs“und „Ooohs“, als die Lösung auch bei den anderen zu wirken beginnt. In den 15 Minuten bis zum Ergebnis lösen sie Deutsch- und Matheaufgaben.
Auf der anderen Seite der Aula, wo sogar eine ganze vierte Klasse mit dem notwendigen Abstand Platz findet, liegt das Büro von Schulleiterin Tanja Müller. Eine Woche lang hat sie den Schulstart vorbereitet, mit Lehrern das Szenario im Klassenzimmer geprobt und für diesen Montag keine Termine ausgemacht. Sie will sich kümmern, wenn ein Kind positiv getestet und aus der Klasse begleitet wird.
„Rund 90 Prozent der Eltern haben der Testpflicht zugestimmt“, sagt die Schulleiterin – eine sehr gute Quote, vor allem im Vergleich zum Zeitraum vor den Ferien, als die Tests freiwillig waren und mancherorts die Hälfte der Eltern sie ablehnte. Wer sein Kind jetzt nicht testen lässt, darf es auch nicht in die Schule schicken. Unterlagen zum Lernen müssen die Eltern täglich selbst abholen, ein Recht auf Online-Unterricht gibt es bayernweit nicht.
Rektorin Tanja Müller befürwortet die Testpflicht. Dennoch wäre es ihr lieber, die Proben würden außerhalb der Schule von Fachpersonal abgenommen. „Aber es ist wie es ist, und dann machen wir das auch so.“Man dürfe eines nicht vergessen: „Als Beamte sind wir Staatsdiener.“Manche Lehrer hätten jedoch Bedenken, nur mit Maske die Tests zu beaufsichtigen. Zumindest sei mehr als ein Drittel der Lehrkräfte inzwischen geimpft.
Nach und nach telefoniert die Schulleiterin die Klassenzimmer ab. Schnell steht fest: Kein einziges Kind ist infiziert. „Alles hat reibungslos geklappt. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass es funktionieren würde“, sagt Müller. „Aber mir fällt ein Felsbrocken vom Herzen, weil kein Kind coronapositiv ist.“
In der Klasse 1G sind die Tests mittlerweile im Müll gelandet. Rund 45 Minuten hat die ganze Prozedur gedauert. „Ich bin zuversichtlich, dass wir beim zweiten Mal schon viel schneller sind“, sagt die Lehrerin. Jetzt geht’s weiter mit Unterricht. Jede Minute ist wertvoll. Die Inzidenz im Kreis Günzburg liegt nun deutlich über 100. Geht sie bis kommenden Freitag nicht runter, ist wieder Distanzunterricht angesagt.
90 Prozent der Eltern stimmen den Tests zu