Hat er die Tochter seiner Partnerin vergewaltigt?
Elf Jahre Haft oder Freispruch: In einem Prozess vor der Jugendstrafkammer des Amtsgerichts geht es darum, ob eine heute 18-Jährige vor zehn Jahren vom Lebensgefährten ihrer Mutter missbraucht wurde
Ist die heute 18 Jahre alte Caroline in den Jahren 2011 und 2012 von Manfred S. (Namen geändert), dem damaligen Lebensgefährten ihrer Mutter, mehrfach vergewaltigt worden? Ja, sagen Staatsanwaltschaft und Nebenklage und fordern elf Jahre Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung für den Angeklagten. Nein, sagen der Angeklagte und sein Verteidiger und plädieren auf Freispruch.
„Es geht um alles“, greift Staatsanwalt Michael Rauh in seinem Plädoyer vor der Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Lenart Hoesch eine Aussage des 43-jährigen Angeklagten auf. Allerdings gehe es nicht nur für den Angeklagten, sondern auch für die Geschädigte und das Gericht um alles, so der Staatsanwalt. Er hält das, was die heute 18-jährige Auszubildende 2018 bei der Kriminalpolizei und jetzt vor Gericht ausgesagt hat, für glaubwürdig. Glaubwürdig, und wie Nebenklägervertreterin Marion Zech ergänzt, auch glaubhaft.
Zech und Rauh waren in ihren Plädoyers davon überzeugt, dass die damals achtjährige Caroline von Manfred S. bei mindestens vier Gelegenheiten vergewaltigt oder schwer sexuell missbraucht worden sei. Deswegen, weil er mit Sex bei seiner damaligen Lebensgefährtin, Carolines Mutter, habe pausieren müssen. Die Frau war hochschwanger mit einem Kind von Manfred S. Also habe der die sich bietende Gelegenheit ergriffen, sich an dem Kind zu vergehen. Zusätzlich schwerwiegend: Caroline war nur ein Jahr zuvor als Siebenjährige Opfer einer Vergewaltigung durch den Fußballtrainer ihres Bruders geworden.
Dass den Aussagen der Geschädigten unbedingt zu glauben sei, nachdem sie erst mehrere Jahre später davon berichtete, dafür sahen Staatsanwalt und Nebenklägerin mehrere Gründe. So den Umstand, dass sich das damals von Manfred S. bedrohte Kind nicht sofort jemandem geoffenbart habe, sondern dass die Übergriffe erst im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen ins
Rollen gekommen waren. Auch dann noch habe die Geschädigte keinen Belastungseifer gezeigt, sie habe aber mit vielerlei Details aufwarten können, die sich niemand habe ausdenken können. Die Folgerung für den Staatsanwalt: die Forderung nach einer weiteren elfjährigen Freiheitsstrafe für Manfred S., der momentan in der Justizvollzugsanstalt
in Straubing eine anderweitige Haftstrafe verbüßt und unter Sicherungsverwahrung steht. Diese Sicherungsverwahrung sieht Rauh – Bezug nehmend auf eine Gutachterin – auch im derzeitigen Verfahren wieder angebracht. Bei Manfred S. bestehe nach wie vor eine Gefährlichkeitsprognose, es müsse mit weiteren Straftaten durch ihn gerechnet werden.
Nebenklägerin Zech unterstrich die Fülle an Realwissen, das die Geschädigte vor Gericht gezeigt habe und das die Beweisaufnahme bestätigt habe. Sie bezeichnete es geradezu als den Normalfall bei Missbrauchstaten im familiären Bereich, dass diese – wie hier – erst nach längerer Zeit und auf Umwegen ans Tageslicht kämen.
Erheblich anders sah dies Rechtsanwalt Jürgen Zillikens, der „sehr viele Widersprüche“und „erhebliche Ungereimtheiten“in dem Verfahren ausgemacht haben will. Immer wieder gebe es Unstimmigkeiten zwischen dem, was Caroline damals bei der Kriminalpolizei und jetzt vor Gericht ausgesagt habe.
Woher ihre „Neigung zur Unwahrheit“rühre: Nach Worten Zillikens habe sich die Geschädigte durch die Belastung seines Mandanten, Manfred S., entlasten wollen, als sich im Sommer 2018 über ihr alles zusammengebraut habe. Genau zu jener Zeit drohten Caroline Ermittlungen, möglicherweise eine Inobhutnahme, nachdem sie als Jugendliche der Prostitution überführt worden sei. Aufgrund ihrer Erfahrungen als Prostituierte, so der Rechtsanwalt, habe sich die Geschädigte die angeblichen Taten seitens Manfred S. ohne Weiteres glaubhaft ausdenken können. Das Gericht müsse jedenfalls absolut von der Täterschaft von Manfred S. überzeugt sein, und weil es das nicht könne, so der Verteidiger, sei auf Freispruch zu entscheiden.
Wie auch sein Verteidiger forderte Manfred S. in seinem letzten Wort als Angeklagter ein aussagepsychologisches Gutachten über Caroline. Einen entsprechenden Antrag hatte das Gericht abgelehnt. Das Urteil in dem Verfahren soll Ende kommender Woche verkündet werden.