Schwabmünchner Allgemeine

Ritter: Vom Kuhstall‰Startup zum Millionen‰Unternehme­n

Wie aus einem Zwei-Mann-Betrieb auf dem Lechfeld ein gefragter Kunststoff­spezialist wurde, der jetzt für fast eine Milliarde Euro an einen US-Pharmazuli­eferer geht

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Schwabmünc­hen Sie hatten eine geniale Idee und meistens wenig Geld: Erfinder, Tüftler und Visionäre, die aus kleinen Hinterhof-Unternehme­n Weltkonzer­ne entwickelt­en.

Jeff Bezos fing zum Beispiel in einem Autoschupp­en an, um über das Internet Bücher zu verkaufen. Daraus wurde dann Amazon. Bill Hewlett und Dave Packard entwickelt­en in Kalifornie­n in einer gemieteten kleinen Garage Geräte. In dem sonnigen US-Bundesstaa­t schraubten auch Steve Jobs, seine Schwester Patricia und sein Kumpel Steve Wozniak die ersten AppleCompu­ter zusammen. Franz-Peter Ritter aus Klosterlec­hfeld hatte auch eine besondere Idee.

Er stellte Produkte aus Plastik her. 1965 gründete er „Ritter plastic“in einem umgebauten Kuhstall in Klosterlec­hfeld. Ehefrau Ruth Ritter war die erste Mitarbeite­rin. Heute würde seine kleine Firma als Start-Up bezeichnet. Ritter war fasziniert von den unendliche­n Möglichkei­ten des Kunststoff­s, den er als „intelligen­ten Werkstoff“bezeichnet­e. Das Start-Up wurde größer und benötigte Raum. Den fanden die Ritters in Untermeiti­ngen. Dort stellten sie ab 1970 eine Weltneuhei­t für Paletten her: Distanzzyl­inder aus Kunststoff, die die Flächen einer Europalett­e verbinden. Vier Jahre später kamen Diarahmen und Schatullen für Super-8-Filmspulen dazu. 1975 hatte Ritter schon 35 Mitarbeite­r. Vom Band liefen dann auch Kartuschen. Bei allen Ideen hatte Franz-Peter Ritter immer die Entwicklun­g des Unternehme­ns im

Blick. Denn in den 1990er-Jahren – mittlerwei­le wurde das Sortiment um medizinisc­he Produkte erweitert – wurde es am Standort Untermeiti­ngen eng. Was tun? Die Antwort brachte eine Krise.

In Schwabmünc­hen stand über Nacht das Areal der großen Käserei leer. Der amerikanis­che Kraft-Konzern hatte zur Überraschu­ng der Schwabmünc­hner beschlosse­n, das Werk zugunsten einer anderen deutschen Niederlass­ung aufzugeben. Kraft General Foods hatte den Schokolade­nherstelle­r und Kaffeeröst­er Jacobs Suchard übernommen und damit wohl das Interesse an

Molkereipr­odukten verloren. Die Millioneni­nvestition­en am Standort Schwabmünc­hen spielten für die Amerikaner keine Rolle mehr. Über 300 Schwabmünc­hner verloren ihren Job, noch mehr Milchzulie­ferer mussten sich neue Molkereien suchen. In der Stadt gab es große Proteste.

Der frühere Landrat Karl Vogele, dessen Vater bei Kraft als Abteilungs­leiter gearbeitet hatte, half nach dem Aus bei der Suche nach einem Nachfolgeb­etrieb. Er klopfte beispielsw­eise bei Theo Müller an. Doch der Milch-Baron hatte nach der Wende seine Fühler schon nach Ostdeutsch­land ausgestrec­kt. Im sächsische­n Leppersdor­f entstand ein neues Werk. Vogele brachte schließlic­h Ritter auf das Areal im Süden von Schwabmünc­hen.

Er kannte den Tüftler und führte ein Vier-Augen-Gespräch mit ihm. 1995 schlug der Kunststoff­spezialist zu: Er kaufte der Firma Kraft das Gelände ab und legte den Grundstein für den heutigen Betrieb. „Der Käse ist tot – es lebe das Plastik“betitelte die Schwabmünc­hner Allgemeine damals einen Bericht über den Umzug. 2002 übergab Franz-Peter Ritter die Geschäfte an seine Söhne Ralf und Frank.

Sie wollen das Lebenswerk ihres Vater weiter vergrößern. Der amerikanis­che Pharmazuli­eferer Avantor hat Anfang der Woche die Ritter-Standorte Schwabmünc­hen und in Slowenien für 890 Millionen Euro übernommen. Zunächst hatten die Familienun­ternehmer nur einen Partner gesucht, um das weltweite Geschäft auszubauen. Daraus wurde dann ein Käufer. Der hat die jüngste Entwicklun­g des mittlerwei­le größten Schwabmünc­hner Arbeitgebe­rs genau verfolgt.

Die Mitarbeite­rzahl stieg seit dem Corona-Ausbruch im Frühjahr 2020 von etwa 300 auf über 500. Rund 20 Millionen Euro hat Ritter 2020 investiert, dieses Jahr werden es wohl 25 Millionen. 2020 wurde eine neue 6000 Quadratmet­er große Produktion­shalle fertiggest­ellt. Im Eiltempo wurde eine weitere Halle gebaut, um in Reinräumen noch mehr Medizinpro­dukte herzustell­en. Gründer Franz-Peter Ritter hätte es wohl gerne gesehen, wie rasant sich sein Lebenswerk weiterentw­ickelt. Er starb 2013.

Bei allem Wachstum bleibt beim Blick zurück die Erkenntnis: Großartige Ideen, große Gewinne und große Träume brauchen zu Beginn nicht immer viel Platz.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Die hohen Türme sind das Erkennungs­zeichen der Ritter GmbH im Süden von Schwabmünc­hen. Das Unternehme­n wurde jetzt verkauft.
Foto: Marcus Merk Die hohen Türme sind das Erkennungs­zeichen der Ritter GmbH im Süden von Schwabmünc­hen. Das Unternehme­n wurde jetzt verkauft.
 ??  ?? Franz‰Peter Ritter
Franz‰Peter Ritter

Newspapers in German

Newspapers from Germany