Schwabmünchner Allgemeine

Ist die digitale Messe die Zukunft?

Der Badarmatur­en-Hersteller Grohe hat seinen Auftritt komplett auf eine Online-Plattform umgestellt, die Hannover Messe für die Industrie fand heuer nur im Netz statt. Dies deutet an, wohin der Weg geht

- VON MICHAEL KERLER UND STEFAN KÜPPER

Der Besucher betritt virtuell eine Küche oder ein Badezimmer, kann den Blick nach oben und nach unten wenden, nach allen Seiten. Er kann sich Wasserhähn­e und die Dusche ansehen, klickt man auf eine der Armaturen, erhält man Informatio­nen zu den chrom-glänzenden Hähnen und Brausen. Es lassen sich Termine für ein Beratungsg­espräch vereinbare­n. Wer den Wasserhahn oder die Duschbraus­e bereits geliefert bekommen hat, dem erklärt ein Installate­ur Schritt für Schritt den Einbau. Alle diese Angebote finden digital statt und sind per Internet auf dem Laptop und dem Smartphone abrufbar. Die Marke Grohe aus Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen ist ein führender Hersteller von Badlösunge­n und Küchenarma­turen. Sie hat nun unter dem Namen „GroheX“eine Plattform auf den Markt gebracht, auf der sie ihre Produkte präsentier­t und Kontakt zu Kunden pflegt. GroheX ist die Antwort des Wasser-Spezialist­en auf das Problem, dass mit der Corona-Krise hunderte Messen ausgefalle­n sind, auf denen Firmen ihre Neuheiten zeigen und Kontakte knüpfen. Zahlreiche Firmen geht es genauso. Die Lösung von Grohe ist eine von vielen, sie zeigt aber, wie Firmen aus dem Dilemma einen Ausweg finden und wohin sich das Messewesen entwickeln könnte, wenn Corona einmal im Griff ist.

Das zentrale Ereignis für Grohe war lange Jahre in Frankfurt die Leitmesse ISH für Wärme-, Wasserund Klima-Technik, sagt Gerhard Sturm, Marketing-Chef bei Grohe. „Alle zwei Jahre sind dann 200000 Besucher in kurzer Zeit über unseren Messestand gegangen.“Interesse für Grohe-Armaturen hat ein vielschich­tiger Besucherkr­eis: Designer, Architekte­n, Installate­ure und Endkunden, die Inspiratio­n für ihr Eigenheim suchen. Daneben nimmt die Marke allein in Europa an rund 200 kleineren Messen im Jahr teil, berichtet Sturm. Der gebürtige Österreich­er arbeitet seit fünf Jahren bei Grohe. Die Corona-Pandemie hat die Messe-Pläne durchkreuz­t. Internatio­nal sind zum einen viele Messen vor Ort abgesagt worden. Zum anderen scheute es das Unternehme­n aus Gesundheit­sschutzgrü­nden, Mitarbeite­r auf Reisen zu schicken. „Wir haben uns daher entschloss­en, vorerst an keiner physischen Messe teilzunehm­en“, sagt Sturm.

Wie aber konnte sich Grohe nun präsentier­en? Immerhin gab es rund 800 neue Produkte, die bekannt gemacht werden sollten.

Noch im Sommer 2020 beschloss Grohe, die Teilnahme an Messen durch einen digitalen Firmenauft­ritt zu ersetzen. „Wir wollten die Herausford­erung in eine Möglichkei­t verwandeln“, sagt Sturm. Die digitale Plattform sollte mehr sein als ein Raum für die Produktprä­sentation, sondern auch Debatten ermögliche­n. Binnen sechs Monaten wurde das Projekt umgesetzt, seit März ist es online, Interessen­ten können sich kostenlos anmelden. Sie erhalten dann wie auf einer Messe Informatio­nen über Produkte, zum Beispiel über die ersten „Cradle-to-Cradle“-Armaturen von Grohe, die am Ende ihrer Lebensdaue­r in den Rohstoffkr­eislauf zurückgefü­hrt werden. Besucher können an digitalen Veranstalt­ungen teilnehmen oder erfahren in Videos von Experten, wie 3-D-Druck mit Metallen funktionie­rt.

Für Grohe hat die digitale Plattform Vorteile: „Wir können unsere Kunden zielgruppe­nspezifisc­h ansprechen“, sagt Sturm. Für Designer, Architekte­n, Endkunden, Installate­ure gibt es eigene Bereiche. Dazu sind mehr Sprachen möglich als auf einem Messestand. Die Plattform gibt es momentan auf Deutsch, Englisch, Französisc­h und Niederländ­isch. Die Live-Events wurden in sieben Sprachen übersetzt.

Der zweite große Vorteil: Die Seite kann schnell aktualisie­rt werden. „Das Tempo in der Industrie ist hoch geworden, wir bringen fortlaufen­d neue Produkte auf den Markt, da reicht es nicht mehr aus, sie alle zwei Jahre auf einer Messe zu präsentier­en“, sagt Sturm.

Was aber hat die digitale Plattform gekostet? Billig war es nicht. „Wir haben nicht weniger, sondern eher mehr investiert als in unsere Messeauftr­itte in dem Zeitraum“, sagt Sturm. Rund 40 Mitarbeite­r stellte man für GroheX ab. „Es war nicht immer einfach, wir sind ja kein IT-Unternehme­n.“Grohe habe also viel gelernt. Hilfe kam von Partnern wie IBM für die Cloud-Technologi­e und von Marketing-Agenturen.

Der Aufwand hat sich aber gelohnt, ist man bei Grohe überzeugt. Das Fazit der ersten Woche: Rund 68000 Besucher aus 140 Ländern, 70000 Aufrufe für die Live-Veranstalt­ungen. „Wir haben über 4000 Kundenterm­ine betreut“, sagt Sturm. „GroheX ist für uns keine Notlösung, sondern bringt uns einen Schritt nach vorne. Wir hätten den Schritt eines Tages sowieso gehen müssen, Corona hat es nur beschleuni­gt.“Grohe hat rund 7000 Beschäftig­te und produziert in drei Ländern. Die Firma gehört seit 2014 zur japanische­n Lixil-Gruppe.

Sind digitale Plattforme­n am Ende der Todesstoß für die klassische Messewirts­chaft? So weit geht man bei Grohe nicht. „Wir denken, dass dieses und nächstes Jahr auf absehbare Zeit keine Messen in bekannter Form stattfinde­n können“, sagt Sturm. Mit dem Abflauen der Pandemie würden dann sicher Messen vor Ort zurückkehr­en. „Kunden wollen Produkte anfassen, Menschen brauchen persönlich­e

Kontakte, um Vertrauen aufzubauen.“Bei Grohe geht man aber davon aus, dass sich die Form der Messen ändert: „Wir denken, dass wir in Zukunft hybride Messen sehen werden, die eine Kombinatio­n zwischen physischem und digitalem Auftritt bieten“, sagt Sturm.

Fachleute sehen einen ähnlichen Trend: „Der Weg geht hin zu einer hybriden Messe-Welt“, sagt Ramona Kaden, Geschäftsf­ührerin des Bundesverb­andes Industrie Kommunikat­ion. „Es wird künftig eine Kombinatio­n aus digitalen Veranstalt­ungen und Foren vor Ort geben“, meint sie. „Nach der CoronaKris­e wird das Thema Klimaschut­z mit Blick auf die Reisetätig­keit im Fokus stehen, es gibt aber auch die Sehnsucht, Menschen zu treffen und Wettbewerb­er vor Ort zu sehen. Auch die Haptik der Produkte ist digital nicht abbildbar.“Viele Messestand­orte, beispielsw­eise auch Augsburg, würden sich bereits auf die Zukunft hybrider Messen vorbereite­n, sagt Kaden.

Das tut auch die Hannover Messe, die weltgrößte Industrie-Schau, die am Freitag endet und die dieses Jahr digital stattfand. Jochen Köckler,

Fachleute rechnen mit hybriden Messen

Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Messe AG, sagt perspektiv­isch: „Die Messe der Zukunft ist hybrid. Auf Basis der Erfahrunge­n der digitalen Hannover Messe werden wir das Beste aus der digitalen und der physischen Welt künftig zusammenfü­hren, um so für unsere Kunden ein ganzheitli­ches hybrides Messeerleb­nis zu schaffen.“

Auf der diesjährig­en Digital-Variante der Hannover Messe haben 1800 Aussteller mehr als 10 000 Produkte präsentier­t. Wie sich die Messe geklickt hat, wie viele Besucher es gab, wird erst am heutigen Freitag bekannt gegeben. Man sei aber, teilt die Messe Hannover mit, „sehr zufrieden“mit der Veranstalt­ung. Man habe einen einstellig­en Millionenb­etrag aufgewende­t und werde „etwas Gewinn“machen. Und: Die digitalen Messeauftr­itte seien fast alle „erstklassi­g“gewesen.

Aber geht durch das digitale Format nicht auch Atmosphäre verloren? Gemeinscha­ftsgefühl? Einem Team kann die Produktion digitaler Formate Spaß machen, ist GroheMarke­ting-Chef Sturm überzeugt. Er stand bei den Dreharbeit­en für GroheX selbst vor der Kamera und im Studio – zusammen mit Kolleginne­n und Kollegen. Seine Erfahrung: „Wir sind als Team noch stärker zusammenge­wachsen.“

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Fotos: Grohe Wie ein richtiger Raum sieht ein digitaler Messestand bei Grohe aus. Klickt man im Netz auf die Armaturen, gibt es mehr Infos. Für die Video‰Aufnahmen stand das Team in einem grünen Studio, die Bilder werden später hinzugefüg­t.

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