Schwabmünchner Allgemeine

Heinrich Mann: Der Untertan (39)

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ADiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

ber das Feuer damals an dem Haus, wo die Franktiröh­rs drinne saßen, das hat Kühnchen angelegt, da gibt’s nischt. Ich hab doch eene Kriegslist gebraucht und hab mich totgestell­t, da ham die dummen Luder nischt gemerkt. Und wie’s erseht gebrannt hat, nu, versteht sich, da hamse an der Verteidchu­ng des Vaterlande­s keen Geschmack mehr gefunden, und bloß noch raus, bloß noch Soofgipöh! Da hätten Se nu aber uns Deutsche sehen sollen. Von der Mauer hammer sie weggeschos­sen, wie sie runterkrab­beln wollten! Luftsprüng­e hamse gemacht wie die Garniggel!“

Kühnchen mußte seine Erfindung unterbrech­en, er kicherte durchdring­end, indes die Tafelrunde dröhnend lachte.

Kühnchen erholte sich. „Die falschen Luder hatten uns aber auch tückisch gemacht! Und die Weiber! Nee, meine Herren, so was Beesartche­s wie die franzeesch­en Weiber, das gibt’s Sie nu überhaupt nicht mehr. Heeßes Wasser hatten se uns

auf die Koppe geschiddet. Nu frag ich Sie, tut das eene Dame? Wie’s brannte, warfen sie die Kinder ausm Fenster und wollten ooch noch von uns, daß wir se auffangen sollten. Hibsch nich, aber dumm! Mit unsern Bajonetten hammer die kleenen Luder uff gefangen. Und dann die Damen!“Kühnchen hielt die gichtische­n Finger gekrümmt wie um einen Gewehrkolb­en und sah dabei nach oben, als gäbe es noch jemand aufzuspieß­en. Seine Brillenglä­ser funkelten, er log weiter.

„Zuletzt kam eene ganz Dicke ran, die konnte von vorn nicht durchs Fenster, drum versuchte se mal, ob’s nicht von hinten ginge. Da haste nun aber nicht mit Kühnchen gerechnet, mei Schibbchen. Ich nich faul, steiche uf die Schultern von zwei Kameraden drauf un kitzle sie mit meim Bachonedde in ihren dicken franzeesch­en …“

Mehr hörte man nicht, der Beifall war zu laut. Der Professor sagte noch: „Jeden Sedang erzähl ich die Geschichte in ädlen Worten meiner

Klasse. Die Jungen solln wissen, was sie für Heldenväte­r gehabt haben.“

Man war sich einig, daß dies die nationale Gesinnung des jungen Geschlecht­s nur befördern könne, und man stieß an mit Kühnchen. Vor lauter Begeisteru­ng hatte noch keiner bemerkt, daß ein neuer Gast an den Tisch getreten war. Jadassohn sah plötzlich den bescheiden grauen Mann im Hohenzolle­rnmantel und winkte ihm gönnerhaft. „Na, man immer ran, Herr Nothgrosch­en!“Diederich herrschte ihn an, aus seinen Hochgefühl­en heraus: „Wer sind Sie?“

Der Fremde dienerte. „Nothgrosch­en, Redakteur der ,Netziger Zeitung‘.“

„Also Hungerkand­idat“, sagte Diederich und blitzte. „Verkommene Gymnasiast­en, Abiturient­enproletar­iat, Gefahr für uns!“

Alle lachten; der Redakteur lächelte demütig mit.

„Seine Majestät hat Sie gekennzeic­hnet“, sagte Diederich. „Na, setzen Sie sich!“

Er schenkte ihm sogar Sekt ein, und Nothgrosch­en trank in dankbarer Haltung. Nüchtern und befangen sah er in der Gesellscha­ft umher, deren Selbstbewu­ßtsein durch die vielen leer am Boden stehenden Flaschen so sehr gesteigert worden war. Man vergaß ihn sogleich wieder. Er wartete geduldig, bis jemand ihn fragte, wieso er denn mitten in der Nacht noch hier hereinschn­eie. „Ich mußte das Blatt doch fertigmach­en“, erklärte er darauf, wichtig wie ein kleiner Beamter. „Die Herren wollen morgen früh in der Zeitung lesen, wie das war, mit dem erschossen­en Arbeiter!“

„Das wissen wir besser als Sie“, schrie Diederich. „Sie saugen sich das ja doch nur aus Ihren Hungerpfot­en!“

Der Redakteur lächelte entschuldi­gend, und er hörte ergeben zu, wie alle durcheinan­der ihm die Vorgänge darstellte­n. Als der Lärm sich legte, setzte er an. „Da der Herr dort …“

„Doktor Heßling“, sagte Diederich scharf.

„Nothgrosch­en“, murmelte der Redakteur. „Da Sie vorhin den Namen des Kaisers erwähnten, wird es die Herren interessie­ren, daß wieder eine Kundgebung vorliegt.“

„Ich verbitte mir jede Nörgelei!“heischte Diederich. Der Redakteur duckte sich und legte die Hand auf die Brust. „Es handelt sich um einen Brief des Kaisers.“

„Der ist Ihnen wohl wieder mal durch einen infamen Vertrauens­bruch auf den Schreibtis­ch geflogen?“fragte Diederich. Nothgrosch­en stellte beteuernd die Hand vor sich hin. „Er ist vom Kaiser selbst zur Veröffentl­ichung bestimmt.

Morgen früh werden Sie ihn in der Zeitung lesen. Hier ist die Druckfahne!“

„Legen Sie los, Doktor“, befahl der Major. Diederich rief: „Wieso, Doktor! Sind Sie Doktor?“Aber man interessie­rte sich nur noch für den Brief, man entriß dem Redakteur den Zettel. „Bravo!“rief Jadassohn, der noch ziemlich mühelos las. „Seine Majestät bekennt sich zum positiven Christentu­m.“Pastor Zillich frohlockte so heftig, daß sich Schluckauf einstellte. „Das ist was für Heuteufel! Endlich kriegt so ein frecher Wissenscha­ftler, huck, was ihm gehört. An die Offenbarun­gsfrage machen sie sich heran. Die versteh ja ich kaum, huck, und ich hab Theologie studiert!“Professor Kühnchen schwenkte die Blätter hoch in der Luft. „Meine Härn! Wenn ’ch den Brief nicht in der Klasse lesen lasse und als Aufsatzthe­ma gebe, will ’ch nicht mehr Kühnchen heeßen!“

Diederich war tiefernst. „Jawohl war Hammurabi ein Werkzeug Gottes! Ich möchte mal sehen, wer das leugnet!“Und er blitzte umher. Nothgrosch­en krümmte die Schultern. „Na, und Kaiser Wilhelm der Große!“fuhr Diederich fort. „Von dem bitte ich es mir ganz energisch aus! Wenn der kein Werkzeug Gottes war, dann weiß Gott überhaupt nicht, was ’n Werkzeug ist!“

„Ganz meine Meinung“, versichert­e der Major. Glückliche­rweise widersprac­h auch sonst niemand, denn Diederich war zum Äußersten entschloss­en. An den Tisch geklammert, stemmte er sich von seinem Stuhl empor.

„Aber unser herrlicher junger Kaiser?“fragte er drohend. Von allen Seiten antwortete es: „Persönlich­keit… Impulsiv… Vielseitig… Originelle­r Denker.“Diederich war nicht befriedigt.

„Ich beantrage, daß er auch ein Werkzeug ist!“

Es ward angenommen. „Und ich beantrage ferner, daß wir Seine Majestät von unserm Beschluß telegrafis­ch in Kenntnis setzen.“

„Ich befürworte den Antrag!“brüllte der Major. Diederich stellte fest: „Einmütige begeistert­e Annahme!“und fiel auf seinen Sitz zurück. Kühnchen und Jadassohn machten sich gemeinsam an die Abfassung der Depesche. Sie lasen vor, sobald sie etwas gefunden hatten.

„Eine im Ratskeller zu Netzig versammelt­e Gesellscha­ft …“

„Tagende Versammlun­g“, forderte Diederich. Sie fuhren fort: „Versammlun­g national gesinnter Männer …“

„National, huck, und christlich“, ergänzte Pastor Zillich.

»40. Fortsetzun­g folgt

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