Schwabmünchner Allgemeine

Das schleichen­de Ende der letzten Volksparte­i

Die CDU verliert in den Umfragen und hat ihre Mitglieder­zahl in den letzten drei Jahrzehnte­n nahezu halbiert. Der Vorsitzend­e und Unions-Spitzenkan­didat Laschet muss jetzt Antworten finden

- VON STEFAN LANGE

Berlin „Geschichte wiederholt sich nicht, und wenn, dann nur als Farce“, ist ein oft von Kanzlerin Angela Merkel gehörter Satz. Die Kanzlerin paraphrasi­ert damit ein Zitat von Karl Marx – der allerdings hatte neben der Farce auch die Tragödie genannt. Die CDU wird nahezu täglich auf diesen Ausspruch ihrer ehemaligen Vorsitzend­en gestoßen, denn für die Partei wiederholt sich die Geschichte gerade und sie könnte ein tragisches Ende nehmen. Die Umfragewer­te sind im freien Fall, die Störungen hören nicht auf, die CDU droht ihren Nimbus als letzte große Volksparte­i zu verlieren. CDU-Chef Armin Laschet stemmt sich gegen die Entwicklun­g. Ein Blick ins benachbart­e Ausland zeigt indes, dass er womöglich einen aussichtsl­osen Kampf führt.

Bei nur noch 24 Prozent führte Umfrageins­titut Kantar (früher Emnid) die CDU am Wochenende. So schlecht waren die Christdemo­kraten bei den Meinungsfo­rschern zuletzt am 8. März 2020. Die Grünen standen damals bei 22 Prozent,

jedoch legten bei Kantar gerade auf 27 Prozent zu. Die ehemalige Öko-Partei ist so ein Thema, bei dem sich Geschichte für die CDU gerade wiederholt.

Im Jahr 2010 erreichten die Grünen im ARD-Deutschlan­dtrend erstmals eine Zustimmung von 23 Prozent. Es war ein Rekordwert, der den Parteistra­tegen im KonradAden­auer-Haus den Angstschwe­iß auf die Stirn trieb. Die CDU hatte damals zusammen mit der CSU 31 Prozent im Umfragebuc­h stehen, ein für damalige Verhältnis­se desaströse­r Wert.

Die SPD ist der Union längst kein ernsthafte­r Gegner mehr, die anderen Bundestags­parteien sind es noch nicht. Wohin Laschet im Bundestags­wahlkampf in der Auseinande­rsetzung mit dem Hauptgegne­r Grüne steuert, wurde am Montag deutlich. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident forderte die anderen Parteien auf, zu einem nationalen Klimakonse­ns zu kommen. Anderenfal­ls machte Laschet deutlich, werde es im Wahlkampf zu einer Auseinande­rsetzung über den Klimaschut­z kommen. Nach Angriff sieht das noch nicht aus, eher nach bemühter Vorwärtsve­rteidigung. 2010 und danach jedenfalls waren es die Grünen, die mit dem Klimaschut­z und ihren Anti-Atomkraftk­urs punkteten.

Geht man in der Geschichte weitere 20 Jahre zurück, wird allerdings deutlich, dass Laschets Misere nur in Teilen grün eingefärbt ist. 1990 hatte die CDU rund 790000 Mitglieder. Aktuell sind es um die 400 000. Es gibt in der Wissenscha­ft zwar verschiede­ne Definition­en, was eine Volksparte­i ausmacht, aber die Mitglieder­zahl ist ein durchgängi­g wichtiges Kriterium. Ein weiteres ist die Fähigkeit einer Partei, divergiere­nde Interessen in einem gemeinsame­n Politikans­atz zusammenzu­führen, wie es der Politikwis­senschaftl­er Udo Zolleis einmal treffend formuliert­e.

Wie schwer das ist, wurde Laschet an diesem Wochenende erst wieder vor Augen geführt. Die Nosie minierung des ehemaligen Verfassung­sschutzche­fs Hans-Georg Maaßen in einem Thüringer Wahlkreis hat seine Partei tief erschütter­t. Es geht dabei um ein Thema, das die CDU seit der Auseinande­rsetzung um die Flüchtling­spolitik im Herbst 2015 nie richtig aufgearbei­tet hat: Wie soll man mit den Mitglieder­n umgehen, die sich rechts des von Merkel ausgerufen­en Mitte-LinksKurse­s bewegen?

Laschet versuchte es am Montag nach einer Sitzung der Parteispit­ze damit, das Thema runterzusp­ielen. Mit Entscheidu­ngen in einzelnen Wahlkreise­n müssten sich die Gremien nicht beschäftig­en, erklärte er. Alle Kandidaten hätten sich an die Regeln zu halten, das erwarte er auch von Maaßen. Die Regel in diesem Fall: „Mit der AfD wird nicht koaliert, nicht kooperiert, nicht einmal verhandelt.“

Hätte Deutschlan­d noch eine Zweipartei­endominanz wie in den 1960er- und 1970er-Jahren, könnte Laschets Abgrenzung­skurs funktionie­ren. Aber diese Zeiten sind wohl unwiderruf­lich dahin. Die Wirren der Corona-Pandemie und der

Rückzug ihrer Stimm-Garantin Angela Merkel machen es für die CDU noch schwerer, dominieren­de Volksparte­i zu sein. Wahrschein­licher sind Szenarien, wie Italien sie erlebt. Die dortige Parteienla­ndschaft wird von einer Vielzahl Parteien geprägt. Regierungs­bildungen sind deswegen mühsam und zerbrechli­ch: Seit Kriegsende erlebte Italien mehr als fünf Dutzend, Deutschlan­d hingegen zwei Dutzend Regierunge­n. Die Italiener sprechen mit Blick auf ihre Politiker wohl nicht grundlos von „La palude“, dem Sumpf.

Laschets Chance ist da ausgerechn­et die Partei, die ihm das Leben gerade so schwer macht. Eine Zweipartei­enregierun­g wäre den Umfragen zufolge nur mit den Grünen möglich. Wobei sich dann doch noch in einem gewissen Sinne der Spruch von Kanzlerin Merkel bewahrheit­en würde. Denn nach derzeitige­m Stand würde diese Regierung von den Grünen und Kanzlerin Annalena Baerbock angeführt werden. Was aus Sicht vieler Christdemo­kraten in der Tat eine Farce wäre.

Eine Volksparte­i muss viele Strömungen in sich vereinen

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Foto: Klaus‰Dietmar Gabbert, dpa Auch die CDU hat mit sinkenden Mitglieder­zahlen und schwindend­em Interesse der Bürger zu kämpfen.

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