Schwabmünchner Allgemeine

Die zwei wichtigste­n Sekunden

Ulrike Meyfarth war eine der Heldinnen der Olympische­n Spiele 1972 in München. Die 16 Jahre junge Hochspring­erin kannte bis dato kaum jemand

- Oberliga Nord/Süd, Play‰off, 3. Finale

Ihre zwei Goldmedail­len hängen gerahmt an „unauffälli­ger Stelle im Wohnzimmer“in Odenthal. Ulrike Nasse-Meyfarth ist keine, die in ihrer ruhmreiche­n Vergangenh­eit schwelgt, und sie ist froh, wenn sie ihre einmalige Geschichte im deutschen Sport zu ihrem 65. Geburtstag nicht wieder mal erzählen muss: 1972 bei den Olympische­n Spielen in München als 16 Jahre junge Sensations­siegerin im Hochsprung mit Weltrekord. Zwölf Jahre später in Los Angeles – nach vielen Tiefen – noch einmal Gold.

Bis heute ist Nasse-Meyfarth, wie sie seit ihrer Heirat 1987 mit dem Anwalt Roland Nasse heißt, die jüngste Einzel-Olympiasie­gerin in der Leichtathl­etik. Die viermalige deutsche „Sportlerin des Jahres“ (1981 – 1984) wird am Dienstag 65. „Ich hab’ noch keinen eingeladen“, sagte die Mutter zweier Töchter angesichts der Umstände in der Corona-Pandemie. Die Haupttätig­keit der Diplom-Sportlehre­rin besteht derzeit aus dem Training von Kleingrupp­en von bis zu 14-Jährigen beim TSV Bayer 04 Leverkusen, mehr geht gerade nicht in der Leichtathl­etik-Basis.

Ulrike Meyfarth war an jenem 4. September 1972 eigentlich nur eine Gymnasiast­in aus Köln-Rodenkirch­en, die drei Jahre zuvor mit dem Hochsprung angefangen hatte und ihre ersten Spiele genießen wollte. „Ich war unbedarft, ich war naiv.“Als die Latte der krassen Außenseite­rin vor 80 000 Zuschauern auf 1,90 Meter lag, herrschte komplette Stille

im weiten Rund – und ein ohrenbetäu­bender Aufschrei, als Meyfarth ungestreif­t und lachend auf der hellgrünen Matte landete und damit die Bulgarin Jordanka Blagoewa und die Österreich­erin Ilona Gusenbauer besiegte. „Es waren nur zwei Sekunden in meinem Leben – aber entscheide­nde.“Danach sprang sie sogar noch 1,92 – Weltrekord. Mit diesem frühen Ruhm umzugehen, das sei nicht nur wegen des Alters schwierig gewesen. Wenige Stunden danach gab es das schrecklic­he Attentat auf die israelisch­e Mannschaft, das die Geschichte

der Olympische­n Spiele für alle Zeiten veränderte. „Ich war völlig vor den Kopf gestoßen. Nach so einem Erlebnis gleich diese Nachricht. Ich stand nicht mehr im Mittelpunk­t, das hatte auch Vorteile.“

Und dennoch: Fortan war die großgewach­sene Meyfarth, von der die Jungs auf dem Schulhof bis dato nicht viel wissen wollten, ein Star. Später sprach sie oft von einem „Trauma“, das sie erlitten habe. Bei Olympia 1976 in Montreal verpasste Meyfarth das Finale, 1980 in Moskau fehlte sie wegen des Boykotts. 1984 in Los Angeles schwebte Meyfarth „als gewachsene Athletin im besten Alter“wieder im siebten Himmel. Diesmal lag die Latte sogar auf 2,02 Meter. „Da hat sich der Kreis geschlosse­n.“

Hannover – Selb (20 Uhr)

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Ulrike Meyfarth

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