Van Morrisons LockdownWut
Ein Querkopf war der Sänger mit der großartigen Soulstimme schon immer. In den Texten seines neuen Albums „Latest Record Project“liefert er Munition für Querdenker
grantelnder Querkopf galt Van Morrison schon lange. Dass der Sänger und Songwriter – zweifellos einer der besten der Popgeschichte – auf seine alten Tage wütenden „Querdenkern“Munition liefern würde, war dann aber nicht unbedingt zu erwarten. Die in Lieder gegossenen Tiraden des nordirischen „Sir Van“gegen Einschränkungen durch die britische Corona-Politik fielen im Herbst derbe aus. Die Kritik am selbst bereits 75 Jahre alten Morrison war kaum weniger giftig.
Dieser Eindruck schwingt mit, wenn man nun seine neueste Musik hört: Morrison liefert einige schöne Balladen, feine Swing-Schleicher und solide Grooves ab, doch vor allem motzt er auch weiterhin gern herum – immerhin mit nach wie vor ehrfurchtgebietender Stimme. Schwer zu sagen, ob sich sein nach Label-Zählung 42. Album auf Dauer unvorbelastet hören lässt. Zumal es einige Songtitel mit Verschwörungstheorie-Alarm enthält: „Big Lie“, „Stop Bitching, Do Something“, „Deadbeat Saturday Night“oder „They Own The Media“.
Zunächst aber Respekt: „Latest Record Project: Volume 1“ist selbst für einen überaus fleißigen Künstler wie Morrison ein beeindruckender Kraftakt. Stolze 28 meist eigene neue Stücke des Grammy-Gewinners sind darauf zu hören, die mit ihrer perfekt arrangierten Mixtur aus Folk, Rock, Blues, Soul, SixtiesBeat und Jazz wie ein Querschnitt dieser über 50-jährigen Karriere klingen. Fast 130 Minuten Gesamtlaufzeit sind freilich ein bisschen viel des Guten nach fünf Studioalben in kurzer Folge seit dem herausragenden Alterswerk „Keep Me Singing“von 2016.
Während also dieses neue Album musikalisch zeitlos-gediegen und sehr vielfältig daherkommt, trägt der im Corona-Lockdown gefangene Van Morrison in manchen Texten seinen Groll wenig subtil vor her. Wo all die Rebellen geblieben seien, sinniert er anfangs noch wehmütig („Where Have All The Rebels Gone?“), dann beklagt er teuflischen Druck („Diabolic Pressure“), und am Schluss fragt er ganz direkt, was das mit den sozialen Medien soll („Why Are You On Facebook?“). Nach einigen altersmilden Platten, zu denen der Medienverächter Morrison sogar freundliche Interviews gab, entlädt sich auf dem „Latest Record Project“, in den drei Anti-Lockdown-Liedern vom Herbst und einer ähnlich provokatiAls ven Kooperation mit Eric Clapton („Stand And Deliver“) viel Unmut. „Ich sage den Menschen nicht, was sie tun oder denken sollen, darin leistet die Regierung bereits gute Arbeit“, erklärte der Musiker sarkastisch auf seiner Internetseite. „Es geht mir um die Entscheidungsfreiheit. Ich denke, die Menschen sollten das Recht haben, sich ihre eigenen Gedanken zu machen.“
In dem vor einigen Monaten nur digital veröffentlichten Streuschuss mit den Liedern „No More Lockdown“und „As I Walked Out“hatsich te Morrison seine Ablehnung strenger Corona-Maßnahmen noch drastischer formuliert: „No more taking our freedom/and our God-given rights/pretending it’s for our safety/ when it’s really to enslave.“Dass die Regierung die Freiheit bedrohe, das Volk belüge und versklave – starker Tobak. Im Protestsong („Born To Be Free“) verwies Morrison sogar warnend auf die Berliner Mauer.
Seine durchaus berechtigte Sorge, dass sich die Livemusik-Szene nie wieder von den Pandemie-Restriktionen erholt und viele Konzerthallen für immer schließen müssen, ging in dem Tumult fast unter. Hängen blieb bis heute indes, was der Morrison-Kritiker David C. Thompson im Oktober bitter entgegnete: „Offensichtlich wurde niemand, den er kennt, vom Coronavirus-Ausbruch in Mitleidenschaft gezogen. Schön für ihn – ich habe meinen Bruder verloren.“
Der nordirische Gesundheitsminister Robin Swann sagte dem
über das Pop-Idol seines britischen Inselteils: „Wir hätten etwas Besseres von ihm erwartet. (...) Einiges von dem, was er sagt, ist echt gefährlich. Es könnte Leute dazu bringen, Corona nicht ernst zu nehmen.“Das sei alles bizarr und unverantwortlich. In Anspielung auf einen berühmten MorrisonPlattentitel („No Guru, No Method, No Teacher“von 1986) fügte Swann hinzu: „He’s no guru, no teacher.“
Zurück zum neuen Album, das immerhin bewährte Morrison-Qualität in punkto Gesang und Produktionskunst aufweist. Den ursprünglichen Plan, mit 75 noch mal etwas Neues zu wagen, hatte der Musiker so formuliert: „Ich entferne mich von den gefühlt immer gleichen Songs, den immer gleichen Alben: Dieser Typ hat 500 Songs gemacht, vielleicht mehr, also warum geht es immer nur um dieselben zehn? Es ist der Versuch, aus dieser Box herauszukommen.“
Stone Rolling