Rückenschmerzen: So lässt sich das Leiden lindern
Dr. Cakir ist Wirbelsäulenspezialist der Wertachkliniken. Er informiert über allerlei Therapiemöglichkeiten bei Rückenschmerzen.
Professor Dr. Balkan Cakir ist Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie der Wertachkliniken. Als Wirbelsäulenspezialist weiß er, dass bis zu 90 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben an Rückenschmerzen leiden. Viele Betroffene befürchten, dass, wenn Physiotherapie oder Medikamente die Schmerzen nicht lindern, direkt operiert werden muss – das stimme jedoch nicht, sagt er. In manchen Fällen kommt eine Spritzenbehandlung infrage. Damit lässt sich der Schmerz genau an der Stelle lindern, an der er entsteht. Daneben kennt sich der Arzt aber auch mit zahlreichen anderen Behandlungsmethoden aus.
In einer offenen Telefonsprechstunde der Wertachkliniken beantwortete Dr. Cakir vergangene Woche verschiedenste Fragen zu Rückenschmerzen, Therapiemethoden und individuellen Fällen. Die wichtigsten Antworten finden Sie hier. Dr. Cakir erklärt außerdem, was er rät, damit es überhaupt nicht zu Rückenschmerzen kommt.
Was sind die häufigsten Ursachen von Rückenschmerzen?
Dr. Balkan Cakir: Meist sind die Ursachen, je nach Alter, unspezifisch. Das heißt, es gab keinen nachweisbaren Grund in den durchgeführten Untersuchungen wie Röntgen, CT oder MRT. Häufig sind Rückenschmerzen allerdings verschleißbedingt. In den meisten Fällen betrifft der Verschleiß kleine Wirbelgelenke in Form einer Arthrose. Der Verschleiß kann auch die Bandscheiben betreffen, die an Elastizität und Flüssigkeit verloren haben und sich verschieben.
Wie viele Menschen in Deutschland leiden an Rückenschmerzen?
Dr. Cakir: Es gibt eine Lebenszeitinzidenz, die bemisst, wie viel Prozent der Menschen einmal in ihrem Leben über Rückenschmerzen klagen. Sie besagt, dass es ungefähr über 80 Prozent der Menschen sind. Ich bin mir jedoch sicher, dass 90 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben von Rückenschmerzen betroffen sind.
Wann können Rückenschmerzen gefährlich werden?
Dr. Cakir: Es gibt Warnzeichen, bei denen es für den Patienten gefährlich werden könnte. Das ist zum einen der Fall, wenn man Taubheit oder Lähmung verspürt. Zum anderen, wenn nach einem Unfall Rückenschmerzen auftreten oder der Patient eine Krebserkrankung in der Vorgeschichte hatte. Gefährlich kann es auch werden, wenn Rückenschmerzen in zeitlichem Zusammenhang mit Fieber, Schüttelfrost oder einem allgemeinen Krankheitsgefühl auftreten. Man bezeichnet diese Warnzeichen auch als „Red Flags“.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Dr. Cakir: Wenn es keine „Red Flag“-Warnzeichen oder einen Notfall gibt, ist die Behandlung bei Rückenschmerzen eine Stufentherapie. Das bedeutet: Man fängt mit einer Therapie an, die am wenigsten „invasiv“, das heißt, in den Körper eingreifend, ist. Dabei gibt es drei Stufen. In der ersten Stufe kommen Krankengymnastik, Wärme und Massage oder manuelle Therapien zum Tragen. Diese können ambulant oder im Rahmen einer stationären Rehamaßnahme zur Anwendung kommen.
Parallel zur ersten Stufe oder als nächster Schritt sind Medikamente in Betracht zu ziehen. Damit soll der Schmerz frühzeitig abgefangen werden.
Die nächsten Stufen können, je nach der zugrunde liegenden Erkrankung, eine „Infiltration“darstellen: Dabei handelt es sich um Injektionstherapien, wie etwa eine Spritzenbehandlung. Davor oder danach kommt gegebenenfalls eine „multimodale“Schmerztherapie zum Einsatz: Das bedeutet, dass zum Beispiel Physiotherapeut, Ergotherapeut, Arzt und Masseur gemeinsam arbeiten und verschiedene Maßnahmen kombiniert werden. Vor allem bei chronischen Schmerzpatienten bezieht man auch einen Psychologen mit ein.
Wenn Maßnahmen keinen Erfolg zeigen und die Beschwerden nach etwa sechs Monaten immer noch nicht gelindert werden konnten, wird die Möglichkeit überprüft, ob mit operativen Maßnahmen das Leiden vermindert wird.
Wie und wann operiert man bei Rückenschmerzen?
Dr. Cakir: Es gibt operative Therapiemaßnahmen, bei denen man keine Schrauben und kein Metall im Körper einsetzt. Dazu gehört unter anderem, dass man unter dem Mikroskop den Spinalkanal erweitert oder einen Bandscheibenvorfall entfernt.
Davon unterschieden werden operative Maßnahmen, bei denen mit Schrauben, Stäben und weiteren Implantaten die Wirbelsäule stabilisiert wird. Das ist der Fall, wenn etwa eine Bandscheibe komplett rausgenommen wird oder ein Wirbelkörper gebrochen ist. Eine Stabilisierung muss manchmal auch bei einem Wirbelgleiten durchgeführt werden oder bei erheblichen Deformitäten wie etwa bei einer ausgeprägten Rundrückenbildung oder einer Seitausbiegung der Wirbelsäule.
Welche Medikamente gibt es?
Dr. Cakir: Schmerzmittel sind die Basis der Medikation, die bei Rückenschmerzen eingesetzt werden. Teilweise werden bei geringer Wirksamkeit und andauernden Schmerzen auch „adjuvante“Mittel eingesetzt, die nicht direkt Schmerzmittel sind, jedoch vor allem bei lang andauernden Schmerzen einen positiven Effekt entfalten können.
Was genau ist eine Injektionsbehandlung?
Dr. Cakir: Bei einer Injektionsbehandlung werden mithilfe einer Nadel medizinische Wirkstoffe direkt an dem Ort platziert, an dem der Schmerz entsteht. Dabei kommt entweder ein einfaches Lokalanästhetikum zum Einsatz, wie es auch bei Platzwunden verwendet wird, oder man benutzt ein Lokalanästhetikum mit einem zusätzlichen Wirkstoff, beispielsweise ein cortisonhaltiges Präparat. Durch die direkte Infiltration des Ortes, wo der Schmerz entsteht, kann das Medikament auch genau dort wirken, wo man es braucht, und erzielt deshalb oft ein positives Ergebnis.
Wie genau funktioniert das?
Dr. Cakir: Es gibt verschiedene Arten von Injektionen. Man kann Gelenke oder Nerven anspritzen. Bei den Gelenken kommen vor allem die kleinen Wirbelgelenke an der Halswirbelsäule und an der Lendenwirbelsäule infrage. Die Brustwirbelsäule wird eher selten angespritzt, weil sie durch die Rippen so stabilisiert wird, dass es viel seltener zu einem Verschleiß der kleinen Wirbelgelenke kommt. Nerveninfiltrationen kommen vor allem an der Lendenwirbelsäule und an der Halswirbelsäule zur Anwendung. Dabei sollte nach einer Wurzelinfiltration an der Halswirbelsäule der Patient über mehrere Stunden überwacht werden.
Bestimmte Injektionen werden direkt in den Spinalkanal platziert. Dies kommt vor allem an der Lendenwirbelsäule zur Anwendung. Damit trifft man nicht spezifisch einen Nerv, sondern mehrere Nerven gleichzeitig. Bei den drei Spritzenarten kommen je nach Erkrankung und Lokalisation der Spritze unterschiedliche Wirkstoffe zum Einsatz.
Wie häufig muss man spritzen und wie lange hält der Wirkstoff an?
Dr. Cakir: Der Effekt kann Wochen oder auch Monate andauern – das ist sehr unterschiedlich. Bei manchen muss man mehrfach anspritzen, je nachdem, ob man das Gelenk oder den Nerv anspritzt. Manchmal geschieht das im wöchentlichen Abstand. Es ist auch immer von der Stärke des Verschleißes abhängig.
Sind die Spritzen schmerzhaft?
Dr. Cakir: Je nachdem, wo die Schmerzen liegen, kann man den Einstich als schmerzhaft empfinden. Sind die Spritzen technisch sauber gesetzt, sind die Einstiche an der Lendenwirbelsäule deutlich schmerzärmer als etwa an der Halswirbelsäule. Die Infiltrationen können ohne Narkose durchgeführt werden.
Welche Risiken gibt es bei der Spritzenbehandlung?
Dr. Cakir: Das ist sehr unterschiedlich, ob man Gelenke oder Nerven anspritzt und ob es an der Hals- oder Lendenwirbelsäule durchgeführt wird. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs muss zum Beispiel vor einer Wurzelinfiltration an der Halswirbelsäule der Patient über die sehr seltene Komplikation einer Querschnittslähmung aufgeklärt werden. Weitere seltene Komplikationen sind unteren anderen auch Infektionen durch die Spritzen oder allergische Reaktionen. Es kann auch vorkommen, dass die Spritzenbehandlung nicht den gewünschten Erfolg hat.
Welche Wirkstoffe werden gespritzt?
Dr. Cakir: Je nachdem, welche Struktur man mit der Spritze anspricht, verwendet man auch einen unterschiedlichen Wirkstoff. Es gibt bestimmte Cortisonarten, die man bei Gelenkspritzen verwendet. Und es gibt andere Cortisonarten, die man bei Nervenspritzen verwendet. In manchen Fällen spritzt man ausschließlich ein Lokalanästhetikum ohne einen Cortisonzusatz, vor allem bei diagnostischen Infiltrationen (dabei handelt es sich um Injektionen, um die Schmerzursache zu lokalisieren, wenn mehrere Strukturen als Schmerzursache infrage kommen).
Auf welche Erkrankungen kann man Rückenschmerzen noch zurückführen?
Dr. Cakir: Rheumatische Erkrankungen und Rheuma können Rückenschmerzen verursachen. Auch entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn können Rückenschmerzen bereiten.
Wie kann man den Rücken fit halten und Rückenschmerzen vorbeugen?
Dr. Cakir: Indem man sich bewegt und sich gesund ernährt. Ungesunde Zwangshaltungen haben wir immer mehr in unserer Gesellschaft. Mein Tipp ist es, sich lieber kontinuierlich und moderat zu bewegen, anstelle von unregelmäßig und übertrieben.