Sag es durch die Nussschale
Auf dem Elias-Holl-Platz kann man die Entstehung eines Kunstwerks beobachten. Der Bildhauer Martin Steinert erklärt die Idee
Martin Steinert tritt einen Schritt zurück, stemmt die Hände in die Hüften und begutachtet die eben aneinander geschraubten Holzlatten. „Wir müssen das Ganze dann noch einmal mehr in die Richtung drehen“, sagt er und zeigt in Richtung Rathaus. Das Ganze – das sind Stand Freitagvormittag rund 100 Holzlatten verschiedener Größe, die der Saarbrückener Bildhauer und Künstler seit Donnerstag auf dem Elias-Holl-Platz hinter dem Rathaus aneinanderschraubt. Am Ende soll eine etwa zehn bis zwölf Meter lange, vier Meter hohe und voraussichtlich fünf Meter breite Skulptur entstehen, die einer Nuss ähnlich sieht. Anders als bei klassischen Kunstprojekten geht es nicht nur um die Fertigstellung – sondern um den ganzen Prozess.
Die größte Nuss der Welt, die Meeres-Kokosnuss, wächst auf den Seychellen und wiegt bis zu 50 Kilogramm. Die Holznuss in Augsburg wird das bald übertreffen können. Bis zu 1,4 Tonnen wiegt das Kunstwerk am Ende, wenn es in etwa drei Wochen fertig ist. Etwa 1800 Meter Holz wird Steinert verbauen, 5000 Edelstahlschrauben in die Latten bohren. Gerade ist er dabei, an einem Ende zwei weitere Holzteile anzuschrauben.
Lässig, mit einer Schraube im Mundwinkel und dem Akkuschrauber in der Hand, steigt Steinert ein paar Sprossen seiner Leiter hoch, bohrt zwei mal kurz die Latten aneinander, steigt herab und geht mit einem prüfenden Blick einmal um das Gestell. In der Mitte sind zwei sternenförmige Konstruktionen, um die der Bildhauer herumbaut. Einen genauen Plan, wo was hingehört, hat er dabei nicht. „Das Bauen ist intuitiv. Die Grundkonstruktion steht ja, ich habe die Form im Kopf und baue nach und nach an.“
Das Projekt trägt den Titel „like a shell of a nut“, was so viel bedeutet wie „wie die Schale einer Nuss“. Nicht nur optisch soll das Holzkonstrukt an eine Nussschale erinnern, auch im weiteren Sinne wird es darum gehen, etwas „in a shell of a nut“zu sagen, sozusagen etwas auf den Punkt zu bringen. Und das schon gerne bei der Entstehung des Kunstwerks, wie der Künstler auffordert. Besucherinnen und Besucher sind dazu eingeladen, mit dem international anerkannten Bildhauer beim Bau seiner Skulptur ins Gespräch zu kommen. Sie können die einzelnen Holzlatten mit individuellen Botschaften beschriften und so Teil des Kunstwerks werden.
Ein paar Holzlatten liegen an der Seite des Elias-Holl-Platzes. Steinert nimmt sich eine, legt sie auf einen der Steinquader, die den Platz umranden. Ohne Lineal oder Meterstab sägt er ein paar etwa gleich große Stücke ab. Die Späne rieseln auf das Kopfsteinpflaster. Seine provisorische Werkstatt hat er unter strahlend blauem Himmel aufgebaut, das schrille Sägegeräusch mischt sich unter Glockenläuten zur Mittagszeit. Nirgendwo sonst kann man die Entstehung eines Kunstwerks so nah beobachten wie hier.
Immer wieder laufen am Freitagvormittag Passantinnen und Passanten vorbei. Touristengruppen, ein Vater mit seinem Kind, eine Hortgruppe aus Augsburg. „Soll das ein Schiff werden?“fragt eines der Kinder. Seine Hortfreundin meint, das Konstrukt erinnere sie eher an einen Fisch. Schnell entsteht eine wilde
Diskussion unter den Kindern. Mit dem Entschluss, alle paar Tage wieder vorbeizuschauen und abzuwarten, ob sie irgendwann eine Nuss erkennen oder es für manche Augen doch ein Schiff bleibt.
Steinert realisiert bereits seit zehn Jahren Holzinstallationen im öffentlichen Raum. Dabei war er bereits in acht Ländern und 17 Städten, unter anderem in St. Petersburg oder Paris. Er beobachtet jedes Mal einen gleichen Effekt. „Am Anfang bleiben die Menschen kurz stehen, beobachten eher, manchmal fragt einer, ob ich Schreiner oder Zimmermann bin.“Für ihn hat das Arbeiten im öffentlichen Raum einen besonderen Charme, erzählt er. Anders als in einer Kunstgalerie oder einem Atelier, komme man schneller mit interessierten Besucherinnen und
Besuchern ins Gespräch. „Die Schwelle, Kunst zu erleben, ist im Freien geringer“, findet Steinert.
Kuratorin des Projekts, Anette Urban, die zusammen mit ihrem Kollegen Wolfgang Reichert die Maxgalerie leitet, hat Steinert für Augsburg ausfindig gemacht. Der zentrale Platz sei den Kuratoren besonders wichtig, auch wenn die Stadt zunächst nicht begeistert gewesen sei. „Es wäre schade, so ein Projekt in einem geschlossenen Raum auszustellen“, sagt Urban, die am Freitag selbst vor Ort ist. „Die Partizipation ist die Grundidee dieses Projektes. Dafür ist der Ort perfekt. Immer wieder kommen Personen vorbei, Urlauber, Nachbarn, die den Fortschritt beobachten wollen oder Fragen haben“, erzählt Urban. Für sie ist es eine Art von Kunst, die den Zugang leicht macht.
Kommenden Donnerstag wird es eine Auftaktveranstaltung geben. Bald liegen dann auch Stifte für die Beschriftung der Holzteile bereit. Am Freitag ist es noch etwas zu früh für Botschaften auf den Leisten, da sich das Konstrukt drehen und bewegen wird. „Die Nussschale wird noch viel dichter werden“, erklärt Steinert und präsentiert ein kleines aus Zahnstocher zusammengeklebtes Modell, das er auf einem Tisch vor sich hat. Irgendwann werden die inneren Latten des Konstrukts kaum mehr sichtbar sein – und so würden auch Wünsche und Botschaften verschwinden. Steinert legt das Modell wieder ab, nimmt dafür eines seiner Bücher, die daneben auf dem Tisch liegen, in die Hand. Darin verewigt: Die Prozesse und Bilder seiner bisherigen Projekte. Er blättert kurz, zeigt Fotos von ähnlichen Holzprojekten mit dem Titel „wood&clouds“(auf deutsch: Holz und Wolken).
Glück. Erfolg. Frieden. Platz für alle. Mehr Gehirn. Die Wünsche, Träume und Botschaften, die auf den Holzleisten von Besuchern verewigt wurden, reichen von persönlichen Notizen bis hin zu weltanschaulichen Botschaften in verschiedenen Sprachen, wie die Fotos zeigen. Bald soll auch die Nussschale auf dem Elias-Holl-Platz Ort für solche Botschaften werden. „Sagt, was euch bewegt. Und bringt es auf den Punkt“, sagt Steinert.
Kunst im öffentlichen Raum hat einen anderen Charme
Ausstellung Die öffentliche Auftakt veranstaltung mit musikalischer Be gleitung findet am Donnerstag, 26. Au gust um 18 Uhr statt. Die Skulptur wird noch bis 17. Oktober auf dem EliasHoll Platz stehen.