Familien sitzen in der Corona-Falle
Bayern macht sich locker und alle atmen auf. Nicht alle! Kleine Kinder, für die es keine Impfung gibt, waren nie so gefährdet wie jetzt. Dabei könnte man sie besser schützen. Zwischenruf eines Vaters
Die Corona-Einschränkungen werden gelockert, endlich bekommen die Bayern einen großen Teil ihres normalen Lebens zurück. Ein Grund zum Aufatmen? Ja, aber nicht für Familien mit kleinen Kindern. Keine Frage: Wir können nicht dauerhaft im Krisenmodus bleiben, die Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die Regierung angesichts einer hohen Impfquote irgendwann ein gewisses Risiko in Kauf nehmen muss. Was dabei aber übersehen wird: Dieses Risiko tragen ab sofort vor allem die Kinder, die sich nicht impfen lassen können, und deren Eltern. Warum tut der Staat so wenig, um sie wenigstens so gut wie möglich zu schützen?
In diesen Tagen machen die meisten Kindergärten und Krippen wieder auf, auch die Schulferien gehen bald zu Ende. Was dann auf uns zukommt, scheint vor allem dem Motto zu folgen: Wird schon irgendwie gut gehen. Schon jetzt warnen Experten davor, das Virus einfach so durch die Grundschulen und Kitas durchrauschen zu lassen. Klar, die Gefahr eines schweren Verlaufs ist für die Kleinsten zum Glück sehr gering. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sie schutzlos einer möglichen Ansteckung aussetzen darf. Das Argument, dass ja jeder selbst entscheiden kann, ob er sich impfen lässt oder sich irgendwann infiziert, gilt für Millionen Kinder in Deutschland eben nicht. An eine CoronaImpfpflicht für Erzieherinnen und Erzieher traut sich die Politik nicht heran. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe. Andererseits: Warum kann man eine Impfung gegen Masern vorschreiben, eine gegen Corona aber nicht? Und ist es wirklich zu viel verlangt, wenn man ungeimpftes Personal stattdessen verpflichtet, sich zumindest regelmäßig testen zu lassen?
Ob, wer und wie oft in den Kindergärten getestet wird, ist den Trägern überlassen. Im Wesentlichen beruht das auf Freiwilligkeit.
Laut bayerischem Familienministerium gilt die neue 3G-Regel ausdrücklich nicht für Kitas. Das ist ein Fehler. Warum gibt es hier keine klare Vorgabe, wenn der Staat doch an anderen Bereichen des Lebens auch nur Geimpfte, Genesene und Getestete teilhaben lässt? So könnte man im Übrigen auch den Leiterinnen und Leitern der Kindergärten Verantwortung abnehmen und Diskussionen ersparen, die ohnehin schon gut damit zu tun haben, den Betrieb unter schwierigen und ständig wechselnden Bedingungen zu organisieren.
Mit der Lolly-Methode gibt es längst eine Möglichkeit, Kinder so entspannt zu testen, dass sie nicht beim nächsten Mal panisch Reißaus nehmen. In sogenannten Pool-Tests werden dann alle Speichelproben einer Gruppe oder Klasse zusammengeworfen und gemeinsam in einem sehr verlässlichen PCR-Verfahren überprüft. So lässt sich erst einmal feststellen, ob es einen positiven Fall gibt. Falls nein, hätten alle Familien für den Moment ein bisschen mehr Sicherheit. Falls ja, kann man mit
Einzeltests infizierte Kinder herausfinden und in Quarantäne schicken, noch bevor sie ansteckend sind – und dann die ganze Gruppe zu Hause bleiben muss.
Noch so ein Thema, bei dem viel geredet wurde, aber wenig passiert ist, sind die Luftfilter. In den meisten Kindergärten und Krippen gibt es keine. Auch um Sensoren, die zumindest Alarm schlagen, wenn mal wieder gelüftet werden sollte, mussten sich die Einrichtungen selbst kümmern. Warum gibt es für solche Maßnahmen, die zwar kein Wundermittel sind, das Infektionsrisiko aber zumindest verringern, keinen Masterplan? Gemessen daran, mit welchen Milliardensummen die Wirtschaft während der Pandemie unterstützt wird, wäre dass wirklich keine unzumutbare Investition.
Alle sind sich einig darüber, dass Schulen und Kitas in der vierten Welle unbedingt offenbleiben sollen. Kinder brauchen Kinder. Nur was nützt uns ein offiziell geöffneter Kindergarten, wenn wir in den kommenden Monaten ständig in
Quarantäne gehen müssen? Offenbar denkt trotz aller großen Reden niemand wirklich darüber nach, was es für die Familien bedeutet, wenn berufstätige Eltern nach eineinhalb Jahren des ständigen Überbrückens nun sehenden Auges in den nächsten Herbst und Winter der Ungewissheit geschickt werden.
Viele von uns haben sich in eineinhalb Jahren Pandemie gerade so über Wasser gehalten. Mithilfe von Omas und Opas. Mit Improvisationstalent und der erstaunlichen Kraft, die Eltern aufbringen, wenn es darum geht, ihre Kinder zu beschützen. Mit dem Entgegenkommen von Chefs und Kollegen. Aber der Preis dafür steht in keiner Corona-Statistik. Manche Kinder erinnern sich kaum noch daran, wie das Leben vor der Pandemie war. Für sie ist der Wahnsinn noch nicht vorbei. Viele Mütter fahren seit Monaten auf einer Drehzahl, die auf Dauer nicht gesund sein kann. Für sie kann von Aufatmen keine Rede sein. Und nun will uns die Politik ernsthaft sagen: Wird schon irgendwie gut gehen.