Ein Autozulieferer erfindet sich elektrisch neu
Das bayerische Unternehmen Webasto hat eine aufwühlende Zeit hinter sich. Schon Ende Januar 2020 war die Firma von Corona betroffen, als die Pandemie noch kaum einer kannte. Während der Krise investierte das Unternehmen weiter massiv in neue Technologien
Stockdorf Holger Engelmann war der erste Chef eines deutschen Unternehmens, der die Firmenzentrale wegen Corona-Fällen auf eigene Initiative geschlossen hat. Er und sein Team handelten schnell. Denn eine aus China kommende Mitarbeiterin des Autozulieferers Webasto hatte den Erreger, ohne es zu wissen, am Konzernsitz in Stockdorf bei München im Januar 2020 weiter verbreitet. Neun Beschäftigte und fünf Angehörige infizierten sich. „Heute geht es allen Betroffenen wieder gut. Auch ein Angestellter, der zunächst langfristige Corona-Folgen zu haben schien, ist vollständig gesund“, sagt der Webasto-Vorstandsvorsitzende im Gespräch mit unserer Redaktion. Für den 56-Jährigen waren die ersten Tage der Krise die härtesten in seinem Managerleben: „Wir sind schließlich nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch das gesundheitliche Wohlergehen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich.“
Am Anfang wusste die Führungsmannschaft nicht, ob sich jemand aus dem Kreis selbst angesteckt hat. „Wir haben zusammengestanden, haben offen kommuniziert und waren erleichtert, als wir negativ getestet wurden“, erinnert sich Engelmann an die aufwühlenden Tage Ende Januar 2020. Damals war der Webasto-Spitze nicht klar, dass sie für den transparenten Umgang mit den Corona-Infektionen, der in der Bevölkerung zunächst zum Teil für Irritationen sorgte, einmal mit dem „PR Report Award“ausgezeichnet werden. Damit wurde die Krisenkommunikation des Hauses gewürdigt. Für Webasto waren die Ereignisse eine Chance. „Das hat uns eher gefestigt und zusammengeschweißt“, bilanziert Engelmann. Der Manager freut sich nun auf die Automobilausstellung IAA Mobility in München, die am 7. September von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet wird. Webasto ist dort groß vertreten. Der globale Marktführer für Standheizungen und Autodachsysteme, also etwa Panoramaund Schiebedächer, gehört zu den 100 größten Autozulieferern der Welt. Im Zuge der Corona-Krise ging der Umsatz von 2019 auf 2020 von 3,7 auf 3,3 Milliarden Euro zurück, der Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) rutschte von plus 107 auf minus 69 Millionen Euro ab. Dennoch stieg die Beschäftigtenzahl leicht auf gut 14100 an.
im Krisenjahr 2020 hat Webasto mit 268 Millionen Euro kräftig investiert. Für Engelmann gibt es dazu keine Alternative: „Wir haben trotz Corona-Krise unseren Transformationskurs konsequent fortgesetzt und in Zukunftsfelder wie Elektromobilität und autonomes Fahren investiert.“Damit wird Webasto auf der IAA Mobility unter anderem ein Dachsystem für Autos, die autonom unterwegs sein werden, präsentieren.
Doch was haben Panoramadächer mit selbstfahrenden Fahrzeugen zu tun? „Mehr als es auf den ersten Blick scheint“, sagt der WebastoChef. Das Unternehmen habe den Trend früh erkannt und sei direkt in die Entwicklung gegangen.
Für die Technik müssen in den Fahrzeugdächern reichlich Sensoren und Laser verbaut werden. Zunächst schien es, als wäre dies das Aus für Autodächer, die sich öffnen lassen. Für den Zulieferer wäre das problematisch, erwirtschaftet er doch 84 Prozent des Umsatzes mit Dachsystemen, 14 Prozent steuert der Bereich „Heizen und Kühlen“bei und erst zwei Prozent gehen auf das Konto von Angeboten für die Elektromobilität. „Wir haben also frühzeitig begonnen, Dachsysteme zu entwickeln, in die sich Radar-,
Antennen- und Lasertechnologie integrieren lassen“, sagt Engelmann. Dabei ist der Kostendruck auf die Autozulieferindustrie immens. Webasto muss daher in neue Bereiche hineinwachsen, um den Druck wirtschaftlich abfangen zu können. Als Marktführer bei Dachsystemen und Standheizungen kann das Unternehmen schließlich nicht mehr derart stark zulegen, um rückläufige Preise entsprechend auszugleichen. Deswegen hat sich das Familien-Unternehmen schon 2015, als viele noch an der E-Mobilität zweifelten, entschieden, massiv in die neue Technologie, die im Mittelpunkt der IAA steht, zu investieren.
Das Unternehmen baut heute Batteriemodule und fügt sie zu kompletten Systemen zusammen. Auch in das Geschäft mit der Ladetechnologie, also Kabeln mit entsprechenden Steckern für FahrzeuAuch ge oder Wallboxen, mit denen sich Autos aufladen lassen, ist Webasto eingestiegen. Zudem hat die Firma auch neuartige Heizsysteme für Elektrofahrzeuge entwickelt.
Inzwischen ist mehr als eine halbe Milliarde Euro an Investitionen für neue Geschäftsfelder zusammengekommen. Engelmann glaubt: „Das wird sich auszahlen. In zehn Jahren ist die Messe gelesen, dann haben sich Elektroautos durchgesetzt.“
Dabei scheint die Webasto-Strategie erste Erfolge zu zeigen: Es stammen bereits zwölf Prozent des Auftragsbestands von rund drei Milliarden Euro aus dem Bereich der E-Mobilität. Großaufträge aus Südkorea von Hyundai/Kia und aus China von Great Wall bestätigen die Firmen-Spitze in der Strategie.
Engelmann besucht mit viel Optimismus die IAA: „Ich freue mich wahnsinnig, dass wir uns wieder alle treffen können und dass man Autos sieht, ja anfassen kann.“Dabei wird die Zuversicht des Managers erst einmal zu einem Stück weit durch steigende Materialkosten etwa für Stahl oder Aluminium, aber vor allem auch durch den chronischen Chipmangel gedämpft: „Das hatten wir uns nach einem noch guten ersten Quartal für dieses Jahr anders vorgestellt. Nun leiden wir wegen der Rohstoffsituation unter Mehrkosten und das bei sinkendem Umsatz.“Engelmann ist sich sicher: „Die Chip-Krise wird sich definitiv in das nächste Jahr hineinziehen.“Nach der vor der Automesse ernüchternden Einschätzung sieht der Manager bessere Zeiten aufziehen, schließlich sei der Bedarf an Autos groß: „Wenn die Chipkrise überstanden ist, warten sehr gute Jahre auf die Automobilbranche.“
Engelmann ist froh, dass die Firma zu 100 Prozent einer investitionsfreudigen und langfristig orientierten Familie gehört, die seit 1901 hinter dem Unternehmen steht. Der Name des Konzerns leitet sich vom Gründer und dem Ortsnamen des Firmensitzes ab: Aus den Anfangsbuchstaben von Wilhelm Baier und
Stockdorf wurde Webasto.
Das Unternehmen ist erprobt in der Eroberung neuer Geschäftsfelder. Zunächst fertigte Webasto Stanzteile, Drahtbügel und Haushaltsgeräte. Später waren es Zubehörteile für Fahrräder wie Felgen, Schutzbleche und Kettenschützer. In den 1930er Jahren wurde die Firma mit ersten Fahrzeug-Faltdächern und einer Frischluftheizung zum Autozulieferer.
„In zehn Jahren ist die Messe gelesen, dann haben sich Elektroautos durchgesetzt.“Holger Engelmann