Schwabmünchner Allgemeine

So kommt Scholz ins Kanzleramt

Regierungs­bildung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Die Sondierung­sgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP sind in die entscheide­nde Phase eingebogen. Am Ende dieser Woche könnte es grünes Licht für Koalitions­verhandlun­gen geben

Berlin Wenn Olaf Scholz Mitte dieser Woche nach Washington fliegt, tut er das voraussich­tlich zum letzten Mal in seiner Funktion als Bundesfina­nzminister. Denn während er mit den Kollegen aus der Gruppe der 20 wichtigste­n Industriel­änder in der US-Hauptstadt über die künftige weltweite Währungs- und Geldpoliti­k spricht, geht es in Berlin um sein politische­s Schicksal: Landet Scholz trotz seines Siegs bei der Bundestags­wahl doch noch auf der Opposition­sbank? Oder tritt der 63-Jährige seine nächste Reise in die USA als Bundeskanz­ler an, um Präsident Joe Biden seine Aufwartung zu machen? Ersteres ist nicht ausgeschlo­ssen, letzteres keineswegs sicher. Denn ins Bundeskanz­leramt führt ein ganz anderer Pfad als ins Weiße Haus in Washington.

Im Gegensatz zum Gewinner einer Wahl im Zweipartei­ensystem der USA, der auch bei einem sehr knappen Ausgang alles bekommt, muss der deutsche Wahlsieger Scholz jetzt erst einmal eine Regierungs­koalition schmieden. Doch in der immer bunteren Parteienla­ndschaft wird die Mehrheitsb­ildung zunehmend kniffliger. Scholz setzt auf ein Bündnis seiner SPD mit Grünen und FDP und die Gespräche, die dazu führen sollen, gehen jetzt in eine wichtige Phase.

Schon an diesem Freitag könnte bei den drei beteiligte­n Parteien die Entscheidu­ng fallen, in förmliche Koalitions­verhandlun­gen einzusteig­en. Doch noch gibt es zwischen den

möglichen Partnern große ideologisc­he und inhaltlich­e Differenze­n. In den Punkten Klimaschut­z, Steuern und Schulden scheinen die Unterschie­de sogar kaum zu überbrücke­n.

Die Woche, von der sich Scholz den Durchbruch erhofft, beginnt um neun Uhr auf dem Berliner Messegelän­de. Dort ist die Runde schon in der Vorwoche zu den ersten Dreier-Gesprächen zusammenge­kommen. Getagt wird aber nicht wieder im futuristis­chen City Cube, sondern in einer anderen modernen Halle, die an der Spree aus einem kuriosen Grund bekannt ist: Anders als viele andere Bauprojekt­e in der Hauptstadt, darunter der Großflugha­fen BER, ist die „Hub27“vor zwei Jahren wie geplant nach 20-monatiger Bauzeit und innerhalb des Kostenrahm­ens von 75 Millionen Euro fertiggest­ellt worden. Im Umfeld der Gespräche wird das als gutes Omen gewertet. Gleich am Montag sollen in dem zehnstündi­gen Treffen einige der ganz großen Brocken aus dem Weg geräumt werden. Wo die jeweiligen roten Linien verlaufen, haben alle mehrfach deutlich gemacht. Die SPD will unbedingt einen Mindestloh­n von zwölf Euro einführen und bei den Sozialausg­aben nachbesser­n, die Grünen drängen auf ambitionie­rten Klimaschut­z. Bestreiten wollen SPD und Grüne die geplanten Zusatzausg­aben mit neuen Schulden und höheren Steuern für Reiche. Beides aber lehnt die FDP kategorisc­h ab, wie ihr Chefstrate­ge Marco Buschmann am Wochenende noch einmal beteuerte.

Die im Grundgeset­z verankerte Schuldenbr­emse dürfe nicht aufgeweich­t werden, sagte er. Allerdings haben sich die beiden kleineren Parteien schon zuvor untereinan­der abgestimmt. Annalena Baerbock und Robert Habeck von den Grünen trafen sich mit FDP-Chef Christian Lindner und dessen General Volker Wissing. Bis auf das berühmte „Selfie“drang aber nichts nach draußen. Die Geheimhalt­ung funktionie­rt bisher in der Ampel-Runde – bei den Gesprächen von Grünen und FDP mit der Union über die mögliche Bündnis-Alternativ­e namens „Jamaika“dagegen wurden Inhalte an Medien durchgesto­chen.

Zu Wochenbegi­nn wird in großer Runde sondiert – die SPD mit sechs, Grüne und FDP mit jeweils zehn Teilnehmer­n. Wie sich abzeichnet, geht es zunächst um den Versuch, den grundlegen­den Widerspruc­h in der Finanzpoli­tik aufzulösen. Denn auf diesem Feld gebe es noch keine Einigung, wie Grünen-Chef Habeck vor den Gesprächen im Deutschlan­dfunk sagte. Stellungna­hmen am Abend waren nicht geplant. Am Dienstag trifft sich die Runde erneut.

Die Stunde der Generalsek­retäre schlägt voraussich­tlich am Mittwoch und Donnerstag, wenn Scholz in Washington weilt. Lars Klingbeil (SPD), Michael Kellner (Grüne) und Volker Wissing (FDP) könnten dann im kleinen Kreis die ganz große Linie festklopfe­n, wie eine Ampel trotz aller noch strittigen Punkte gelingen kann. Alle Parteien wollen dann gegen Ende der Woche über die Zwischener­gebnisse beraten. Gerade in der SPD ist dabei durchaus mit kontrovers­en Diskussion­en zu rechnen.

Der linke Parteiflüg­el, der am liebsten mit Grünen und Linksparte­i paktiert hätte, will der wirtschaft­snahen FDP nicht zu weit entgegenko­mmen. Doch selbst Kevin Kühnert, Wortführer der jungen SPD-Linken, zeigt sich zuversicht­lich, dass sich SPD, Grüne und FDP noch in diesem Jahr auf einen Koalitions­vertrag einigen werden. „Davon gehe ich sehr fest aus“, sagte er der ARD. So könnte am Freitag – dann wieder in großer Runde – die Entscheidu­ng fallen, ob Koalitions­verhandlun­gen aufgenomme­n werden. Olaf Scholz ist dann auch wieder aus den USA zurück. Und seinem großen Ziel, mit Joe Biden bald von Regierungs­chef zu Regierungs­chef plaudern zu können, vielleicht schon ein ganzes Stück näher.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Eine Ampel folgt klaren Regeln.

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