Schwabmünchner Allgemeine

Ein Nobelpreis für Vorhersage­n

Ehrung Wie Mindestlöh­ne wirken, ist in den laufenden Sondierung­sgespräche­n in Berlin ein wichtiges Thema. Nachlesen können die Verhandler es bei den Trägern der wichtigste­n Auszeichnu­ng für Wirtschaft­swissensch­aftler

- Jan Petermann und Steffen Trumpf, dpa

Stockholm Wie schön wäre es, wenn sich alle Ereignisse im Leben auf eindeutige Ursachen zurückführ­en ließen. Und wenn man umgekehrt zu jeder Ursache ein Ereignis genau vorhersage­n könnte. Was im Alltag schon schwierig ist, lässt bei Forschern die Köpfe rauchen – vor allem, wenn es um ganze Volkswirts­chaften geht. Die in den USA lehrenden Ökonomen David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens erhalten für ihre Arbeiten zur Verbesseru­ng der nötigen Methoden den Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften. Das gab die KöniglichS­chwedische Akademie der Wissenscha­ften am Montag bekannt.

Wie reagiert der Arbeitsmar­kt auf Zuwanderun­g? Welche Faktoren im Bildungssy­stem begünstige­n den berufliche­n Erfolg? Und nicht zuletzt: Hat ein gesetzlich­er Mindestloh­n Vorteile nicht nur für Arbeitnehm­er, sondern für die gesamte Ökonomie? Die drei Ausgezeich­neten befassten sich mit solchen Fragen – aber besonders mit dem handwerkli­chen Rüstzeug, das solidere Aussagen über Wenn-dann-Vermutunge­n zulässt. Speziell über den Mindestloh­n läuft seit den 90er Jahren eine heftige Debatte unter Wirtschaft­swissensch­aftlern wie -politikern. Auch in den Sondierung­en zur

einer neuen Bundesregi­erung ist er ein zentraler Punkt. SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz versprach im Wahlkampf, den Mindestloh­n ab 2022 auf zwölf Euro pro Stunde anzuheben – für die Sozialdemo­kraten eine bisher unverrückb­are Koalitions­bedingung.

Card, Professor an der US-Universitä­t Berkeley, erhält eine Hälfte des diesjährig­en Preises. Der gebürtige Kanadier spürte den Auswirkung­en festgelegt­er Lohnunterg­renzen auf den Arbeitsmar­kt nach. Führt die Erhöhung eines Mindestloh­ns wirklich in der Regel dazu, dass Beschäftig­ung insgesamt sinkt und Arbeitslos­igkeit steigt, wie dessen Gegner behaupten? Card und andere bezweifelt­en das – nicht nur in der akademisch­en Welt ein zeitweise brisanter Standpunkt.

Auch Angrist und Imbens – sie teilen sich die zweite Preishälft­e – tauchten tief in die Grundlagen­forschung ein. Lassen sich reine Experiment­e wie in den Naturwisse­nschaften auf Sozialwiss­enschaften wie die Ökonomie anwenden? Und kann man so aussagekrä­ftigere Daten gewinnen, die mehr als vermeintli­ch sichere Ja/Nein-Aussagen bringen? In der Physik oder Chemie nutzt man das natürliche Experiment. Dabei wird nur die Experiment­algruppe dem Reiz (Ursache) ausgesetzt, alles Übrige bleibt konstant. In der Medizin ist das schon schwierige­r: Wie erreicht man, dass die Einteilung der Gruppen in Wirkstoff und Placebo vom „natürliche­n“Zufall abhängt? Bei Wirtschaft­ssystemen ist es noch mal um ein Vielfaches komplexer.

Die Zahl der denkbaren Störeinflü­sse ist groß, das soziale Experiment außerdem oft ethisch heikel. Das Komitee würdigte Cards „empirische Beiträge zur Arbeitsöko­noBildung mie“. Er habe gezeigt, dass sich das natürliche Experiment dort als eine Art Annäherung an das naturwisse­nschaftlic­he Vorgehen umsetzen lässt. So habe Card mit das entscheide­nde Instrument­arium für eine Analyse geliefert, die verschiede­ne Lohnhöhen in Fast-Food-Ketten in den US-Bundesstaa­ten New Jersey und Pennsylvan­ia mit der Lage auf dem Arbeitsmar­kt in Beziehung setzten. Ergebnis: Ein klarer Nachweis der Hypothese „höherer Mindestloh­n verursacht Jobabbau“, wie dies für New Jersey nach einer Lohnerhöhu­ng erwartet wurde, war nicht möglich. Eine Korrelatio­n – also ein bloßer Zusammenha­ng – mag existieren. Aber ob es eine Beeinfluss­ung des einen durch das andere gibt, hängt oft von weiteren Faktoren ab.

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher, hält die Wahl des USTrios für gelungen: „Die Forschung zeigt, dass der Staat sich nicht immer auf den Markt verlassen kann.“Speziell Card habe Einsichten geliefert, „dass der Mindestloh­n zu mehr Motivation, weniger Jobwechsel­n, stärkeren Investitio­nen in die Beschäftig­ten und zu einer höheren Produktivi­tät des Unternehme­ns führen kann – und somit alle profitiere­n.“Hans-Peter Klös, wissenscha­ftlicher Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, spricht von „äußerst einflussre­ichen Arbeiten zu den empirische­n Effekten etwa von Migration, Bildung und Mindestlöh­nen auf die Arbeitsmar­ktergebnis­se wie Beschäftig­ung, Arbeitslos­igkeit und Einkommen“. Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, nannte die Stockholme­r Entscheidu­ng ebenso eine „sehr gute Wahl“.

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 ?? Fotos: Stanford Graduate School of Business, UC Berkeley, MIT Department of Economics/dpa ?? Die drei in den USA lehrenden Ökonomen Guido Imbens, David Card und Joshua An‰ grist teilen sich den diesjährig­en Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften.
Fotos: Stanford Graduate School of Business, UC Berkeley, MIT Department of Economics/dpa Die drei in den USA lehrenden Ökonomen Guido Imbens, David Card und Joshua An‰ grist teilen sich den diesjährig­en Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften.

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