„Erst geht die Kuh, dann geht der Gast“
Berge Was wäre Bayern ohne Alpen und Almen? Vor allem für den Tourismus sind sie immens wichtig. Doch es gibt immer mehr Probleme. Wo es hakt – und welche Rolle der Wolf spielt
Bad Hindelang Er ist ein Älpler, wie man ihn sich vorstellt: drahtige Figur, Lodenhut, Schnauzbart, sonnengebräuntes Gesicht. Alfred Füß hat schon als Bub Tiere gehütet. Heute ist der 78-Jährige Sprecher der Alpbauern im Oberallgäuer Tourismusort Bad Hindelang. Im Gemeindegebiet gibt es 46 Alpen, 20 davon im hochalpinen Bereich. Damit ist die Gemeinde die bayerische Kommune mit der größten Alpfläche. „Alpwirtschaft heißt für mich Heimat“, sagt Älpler Füß und fügt hinzu: „Was wäre unsere Landschaft ohne die Alpen?“
Eine Frage, die am Montag in Bad Hindelang eine große Rolle spielte. Der renommierte Erlanger Kulturgeograf und Alpenforscher Professor Werner Bätzing hat in dem gut 5000 Einwohner zählenden KneippHeilbad die erste internationale Alpenbibliografie vorgestellt – und das kommt nicht von ungefähr. Die Marktgemeinde hat das mehrsprachige Standardwerk über die Berglandwirtschaft im gesamten Alpenraum herausgegeben.
Seit über 40 Jahren beschäftigt sich Bätzing – „Alpenpapst“genannt – mit den 30000 Alpen und Almen (wie sie im Oberbayerischen genannt werden) in allen Alpen-Anrainerstaaten. Er ist überzeugt: „Für den Tourismus spielen sie eine ganz besondere Rolle.“Viele Urlauber und Städter aber würden die Alpen und Almen als Natur- und nicht als Kulturraum wahrnehmen. Der Wissenschaftler spricht von einem „Mythos der ursprünglichen Natürlichkeit“.
Mit drei „zentralen Problemen“sei die Alpwirtschaft konfrontiert, erläutert Bätzing: Wegen des ökonomischen Drucks werden vor allem auf der Alpensüdseite immer mehr wenig rentable Berglandwirtschaften aufgelassen, produktive Standorte dagegen würden intensiver genutzt. Auch die massive Ausbreitung des Wolfs sei problematisch. Zwar gehöre dieses Tier in die Berge, aber nicht in die Nähe von Almen, meint Bätzing. Deshalb fordert der Wissenschaftler „den Abschuss des Wolfs in der Nähe von Alpen“. Denn seiner Ansicht nach ist ein effektiver Herdenschutz im Gelände nur schwer realisierbar.
Für die Freizeitwirtschaft und den Tourismus fordert Bätzing „sehr deutliche Lenkungsmaßnahmen“. Beispielsweise dürfe nicht mit E-Mountainbikes in den „letzten Winkel“und auf jeden Gipfel gefahren werden. „Nicht reglementierter Tourismus macht den Alpenraum kaputt“, warnt der Professor.
Bei der Präsentation des Buchs kündigte Hindelangs Bürgermeisterin Dr. Sabine Rödel an, im Ort ein „alpwirtschaftliches Zentrum“errichten zu wollen. Dort soll der internationale Austausch gepflegt werden – denn Formen der Alpwirtschaft gibt es in vielen Gebirgen der Welt. Die Idee dafür kam ihr nach eigenen Worten bei einer Reise in Japan. Jetzt sei man auf der Suche nach Geldgebern für das Projekt, sagt Rödel im Gespräch mit unserer Redaktion: „Alleine können wir das nicht stemmen.“
Bätzing möchte den Aufbau eines internationalen Zentrums für die Alpwirtschaft in Bad Hindelang wissenschaftlich begleiten. Ihr Erhalt sei heute wichtiger denn je: Diese auf Nachhaltigkeit basierende Wirtschaftsform sei Vorbild für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Europa, erklärt er. Die Alpwirtschaft stehe für die umweltschonende und klimaverträgliche Produktion gesunder Lebensmittel.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Alpwirtschaft, Landwirtschaft und Tourismus hatte die Oberallgäuer Gemeinde bereits Anfang der 90er Jahre mit dem „Ökomodell Hindelang“besiegelt – damals von einigen noch belächelt. Seitdem bewirtschaften 62 Bad Hindelanger Bauern die Wiesen und Weiden, ohne Kunstdünger und gentechnisch veränderte Futtermittel zu verwenden. 90 Prozent des Futters für ihre Rinder, Schafe und Ziegen erzeugen sie selbst.
Die über viele Jahrhunderte gewachsene Alpwirtschaft sei der Garant für die allgäutypische „einzigartige offene Kulturlandschaft“, von der auch der Tourismus profitiere, ist Rainer Hoffmann vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kempten/Oberallgäu überzeugt. Weil die Älpler ihre Flächen freihalten („schwenden“), verbuschen sie nicht, der Wald breitet sich nicht weiter aus. Artenreiche Alpalpinen flächen seien „von außerordentlicher Bedeutung für das Ökosystem“, sagt Hoffmann. Dennoch drohe diese Arbeits- und Lebensform mit ihrem kulturellen Erbe Opfer des Wettbewerbs zu werden. Sein Fazit: „Erst geht die Kuh, dann geht der Gast.“Deshalb sei es wichtig, dass die nicht kostendeckende Arbeit der Älpler vom Staat subventioniert werde. Das sei ein Zeichen der Wertschätzung „und kein Geschenk“.