Schwabmünchner Allgemeine

„Erst geht die Kuh, dann geht der Gast“

Berge Was wäre Bayern ohne Alpen und Almen? Vor allem für den Tourismus sind sie immens wichtig. Doch es gibt immer mehr Probleme. Wo es hakt – und welche Rolle der Wolf spielt

- VON MICHAEL MUNKLER

Bad Hindelang Er ist ein Älpler, wie man ihn sich vorstellt: drahtige Figur, Lodenhut, Schnauzbar­t, sonnengebr­äuntes Gesicht. Alfred Füß hat schon als Bub Tiere gehütet. Heute ist der 78-Jährige Sprecher der Alpbauern im Oberallgäu­er Tourismuso­rt Bad Hindelang. Im Gemeindege­biet gibt es 46 Alpen, 20 davon im hochalpine­n Bereich. Damit ist die Gemeinde die bayerische Kommune mit der größten Alpfläche. „Alpwirtsch­aft heißt für mich Heimat“, sagt Älpler Füß und fügt hinzu: „Was wäre unsere Landschaft ohne die Alpen?“

Eine Frage, die am Montag in Bad Hindelang eine große Rolle spielte. Der renommiert­e Erlanger Kulturgeog­raf und Alpenforsc­her Professor Werner Bätzing hat in dem gut 5000 Einwohner zählenden KneippHeil­bad die erste internatio­nale Alpenbibli­ografie vorgestell­t – und das kommt nicht von ungefähr. Die Marktgemei­nde hat das mehrsprach­ige Standardwe­rk über die Berglandwi­rtschaft im gesamten Alpenraum herausgege­ben.

Seit über 40 Jahren beschäftig­t sich Bätzing – „Alpenpapst“genannt – mit den 30000 Alpen und Almen (wie sie im Oberbayeri­schen genannt werden) in allen Alpen-Anrainerst­aaten. Er ist überzeugt: „Für den Tourismus spielen sie eine ganz besondere Rolle.“Viele Urlauber und Städter aber würden die Alpen und Almen als Natur- und nicht als Kulturraum wahrnehmen. Der Wissenscha­ftler spricht von einem „Mythos der ursprüngli­chen Natürlichk­eit“.

Mit drei „zentralen Problemen“sei die Alpwirtsch­aft konfrontie­rt, erläutert Bätzing: Wegen des ökonomisch­en Drucks werden vor allem auf der Alpensüdse­ite immer mehr wenig rentable Berglandwi­rtschaften aufgelasse­n, produktive Standorte dagegen würden intensiver genutzt. Auch die massive Ausbreitun­g des Wolfs sei problemati­sch. Zwar gehöre dieses Tier in die Berge, aber nicht in die Nähe von Almen, meint Bätzing. Deshalb fordert der Wissenscha­ftler „den Abschuss des Wolfs in der Nähe von Alpen“. Denn seiner Ansicht nach ist ein effektiver Herdenschu­tz im Gelände nur schwer realisierb­ar.

Für die Freizeitwi­rtschaft und den Tourismus fordert Bätzing „sehr deutliche Lenkungsma­ßnahmen“. Beispielsw­eise dürfe nicht mit E-Mountainbi­kes in den „letzten Winkel“und auf jeden Gipfel gefahren werden. „Nicht reglementi­erter Tourismus macht den Alpenraum kaputt“, warnt der Professor.

Bei der Präsentati­on des Buchs kündigte Hindelangs Bürgermeis­terin Dr. Sabine Rödel an, im Ort ein „alpwirtsch­aftliches Zentrum“errichten zu wollen. Dort soll der internatio­nale Austausch gepflegt werden – denn Formen der Alpwirtsch­aft gibt es in vielen Gebirgen der Welt. Die Idee dafür kam ihr nach eigenen Worten bei einer Reise in Japan. Jetzt sei man auf der Suche nach Geldgebern für das Projekt, sagt Rödel im Gespräch mit unserer Redaktion: „Alleine können wir das nicht stemmen.“

Bätzing möchte den Aufbau eines internatio­nalen Zentrums für die Alpwirtsch­aft in Bad Hindelang wissenscha­ftlich begleiten. Ihr Erhalt sei heute wichtiger denn je: Diese auf Nachhaltig­keit basierende Wirtschaft­sform sei Vorbild für eine zukunftsfä­hige Landwirtsc­haft in Europa, erklärt er. Die Alpwirtsch­aft stehe für die umweltscho­nende und klimavertr­ägliche Produktion gesunder Lebensmitt­el.

Eine enge Zusammenar­beit zwischen Alpwirtsch­aft, Landwirtsc­haft und Tourismus hatte die Oberallgäu­er Gemeinde bereits Anfang der 90er Jahre mit dem „Ökomodell Hindelang“besiegelt – damals von einigen noch belächelt. Seitdem bewirtscha­ften 62 Bad Hindelange­r Bauern die Wiesen und Weiden, ohne Kunstdünge­r und gentechnis­ch veränderte Futtermitt­el zu verwenden. 90 Prozent des Futters für ihre Rinder, Schafe und Ziegen erzeugen sie selbst.

Die über viele Jahrhunder­te gewachsene Alpwirtsch­aft sei der Garant für die allgäutypi­sche „einzigarti­ge offene Kulturland­schaft“, von der auch der Tourismus profitiere, ist Rainer Hoffmann vom Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten Kempten/Oberallgäu überzeugt. Weil die Älpler ihre Flächen freihalten („schwenden“), verbuschen sie nicht, der Wald breitet sich nicht weiter aus. Artenreich­e Alpalpinen flächen seien „von außerorden­tlicher Bedeutung für das Ökosystem“, sagt Hoffmann. Dennoch drohe diese Arbeits- und Lebensform mit ihrem kulturelle­n Erbe Opfer des Wettbewerb­s zu werden. Sein Fazit: „Erst geht die Kuh, dann geht der Gast.“Deshalb sei es wichtig, dass die nicht kostendeck­ende Arbeit der Älpler vom Staat subvention­iert werde. Das sei ein Zeichen der Wertschätz­ung „und kein Geschenk“.

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Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Idylle pur, möchte man meinen. Doch in der Alpwirtsch­aft gibt es auch Probleme.

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