Das kleine AlleskönnerLand
Slowenien Wegen seiner kleinen Küste war das Land lange Zeit ein wenig beachtetes Reiseziel, doch immer mehr entdecken das beeindruckende Hinterland mit seinen vielen Wasserfällen, Höhlen und überraschenden Kunstschätzen
Die Sonne scheint bei angenehmen 26 Grad, nur vereinzelte Wolken sind am ansonsten strahlend blauen Himmel zu sehen. Und trotzdem bleiben die Menschen stehen, holen ihre Regenjacken aus den Rucksäcken und freuen sich auf das bevorstehende Erlebnis: Einen Wasserfall von hinten zu betrachten. Genau das ist in Slowenien möglich, einem Land, das unter anderem durch unzählige Wasserfälle, eine schier unendliche Höhle, eine WeltrekordBurg und einen Totentanz in einer kleinen Kirche auf sich aufmerksam macht.
Keine 20 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt liegt mit dem Pericnik einer der bekanntesten Wasserfälle Sloweniens. Er ist 52 Meter hoch und damit nur fünf Meter niedriger als die weltbekannten Niagarafälle zwischen den USA und Kanada. Der Pericnik ist zwar nur einen Bruchteil so breit, dafür kann er mit etwas anderem punkten: Man kann das Naturschauspiel von vorne und hinten aus betrachten. Der Weg dorthin ist einfach: Vom Parkplatz aus ist der Besucher nur einen kurzen Aufstieg auf einem schmalen Wanderweg vom Pericnik entfernt. Auch wenn man den Wasserfall von Weitem nicht sieht, so hört man ihn. Und je näher man ihm kommt, desto lauter wird er. Nach etwa zehn Minuten ist das Ziel erreicht. Obwohl die in die Tiefe prasselnden Wassermassen des Pericniks überschaubar wirken, hängt ein ohrenbetäubender Lärm in der Luft. Und es wird noch lauter, denn der interessanteste Teil steht noch bevor. Also Regenjacke an, über ein paar kleinere Felsen geklettert und schon befindet man sich auf einem schmalen Pfad, der hinter den Wasserfall führt.
Von oben prasseln immer mehr Wassertropfen auf den Kopf, die Temperatur nimmt schlagartig um einige Grad ab, obwohl man sich nur in einer Art Höhle hinter dem Wasserfall befindet. Dagegen ist der Lärmpegel noch einmal deutlich angestiegen, eine Unterhaltung ist kaum mehr möglich. Aber reden ist auch nicht nötig, viel zu schön ist der Anblick des Wasserfalls aus ungewohnter Perspektive. Natürlich kein Vergleich zu den Niagarafällen, aber trotzdem ein Erlebnis, das man nicht allzu oft findet. Noch dazu völlig kostenlos und mit kaum anderen Touristen, trotz Hochsaison in den Sommerferien.
Doch die Beschaulichkeit wird vermutlich nicht mehr lange so bleiben. Seit Jahren besuchen immer mehr Urlauber das bis dato oft nur auf dem Weg nach Kroatien durchquerte Slowenien. 2019 kamen bereits mehr als sechs Millionen Touristen – und damit fast dreimal so viele wie das Land Einwohner hat. Zum Vergleich: 2015 waren es noch weniger als vier Millionen Urlauber.
Naturliebhaber genießen vor allem den nordwestlichen Teil Sloweniens rund um den Nationalpark Triglav. Das Gebiet umfasst einen Großteil der östlichen Julischen Alpen mitsamt dem 2864 Meter hohen Berg Triglav. Einzigartige Ausblicke von diesem und anderen eindrucksvollen Bergriesen, grüne Alpentäler, plätschernde Bäche und kristallklare Seen, die das Blau des
Himmels widerspiegeln, zeigen sich in dieser Idylle. In einem Land, das häufig als „die Sonnenseite der Alpen“bezeichnet wird.
Einen wunderbaren Überblick über den Nationalpark mit seinen saftig grünen Wäldern gewinnt man vom Vrsic-Pass. 50 Haarnadelkurven, teilweise aus Kopfsteinpflaster, führen auf den 1611 Meter hohen Gebirgspass. Was für Motorradfahrer ein Spaß ist, wird selbst für ambitionierte Radfahrer zur Qual. Auf dem teilweise über 20 Prozent steilen Weg hinauf, lohnt sich ein Halt an der Russischen Kapelle. Diese wurde 1916 zum Gedenken an die beim Bau des Gebirgspasses bei einem Lawinenabgang verunglückten mehr als 400 russischen Kriegsgefangenen errichtet. Die Gedenkstätte, die dem Heiligen Wladimir geweiht ist, gilt als Symbol der Freundschaft zwischen Slowenien und Russland.
Am Rande des Nationalparks gibt es neben dem Pericnik weitere Wasserfälle, die mit ihrer Farbenpracht und ihren unterschiedlichen Formen überzeugen. Der smaragdgrüne Kozjak-Wasserfall beispielsweise ist zwar nur 15 Meter hoch, liegt aber in einer filmreifen Kulisse in einer Höhle. Es würde den Besucher kaum wundern, wenn plötzlich Pirat Jack Sparrow aus „Fluch der Karibik“auftauchen würde. Wenige Kilometer entfernt zeigt sich der wasserreichste und mächtigste Wasserfall des Landes. Der Boka ist mit einer Gesamthöhe von 144 Metern und einer Breite von 18 Metern sogar einer der größten Wasserfälle Europas.
Schöner Picknicken als am VirjeWasserfall geht fast nicht. Dieser ist nur zwölf Meter hoch, aber 20 Meter breit. Von einer leicht erhöhten Wiese aus kann man das wasserreiche Farbenspiel gemütlich betrachten. Und wem Kälte nichts ausmacht, der kann sich im dortigen Gumpen erfrischen. Aber Vorsicht: Die Wassertemperatur überspringt selbst im Hochsommer selten die Zehn-Grad-Marke.
Nur knapp drei Autostunden ist die weniger als 50 Kilometer lange slowenische Adriaküste entfernt. In Piran oder Koper sonnen sich die Urlauber auf den wenigen Sandund vielen Kiesstränden oder entlang der weitläufigen Uferpromenaden. Doch wer sich auf die Küstenregion beschränkt, der verpasst viel von dem Zauber Sloweniens. Nur wenige Kilometer ins Landesinnere hinein, zeigt sich das Land von seiner noch schöneren Seite. Serpentinen von nicht selten 20 Prozent Steigung schlängeln sich die Hänge hinauf zu den ursprünglichen Bergdörfern wie Nova Vas oder Sveti Peter. Unweit davon befindet sich im selben Weinbaugebiet das kleine Dörfchen Hrastvolje mit seiner in Fachkreisen bekannten Dreifaltigkeitskirche.
Das Kirchlein ist von einer Festung umgeben und vom Boden bis zur Decke komplett mit bunten Bibelszenen bemalt. Die Fresken zeigen unter anderem die Entstehung der Welt, die Vertreibung aus dem Paradies und Kains Mord an Abel. Das größte Interesse der Besucher von Hrastovlje gilt aber einem anderem Bild: dem Totentanz. Dieses zeigt unter anderem ein Kind, einen Bettler, den König und die Königin, den Papst und viele Skelette. Sein Grundgedanke ist die Gleichheit aller Menschen vor dem Tod, dem niemand entfliehen kann. Die Fresken wurden erst 1949 entdeckt, da sie im Laufe der Zeit immer wieder übermalt worden sind. In jahrelanger Arbeit hat man die jahrhundertealten Bilder mühevoll restauriert.
Weniger bunt, aber dafür genauso beeindruckend ist die etwa 50 Kilometer weiter nordöstlich im Dorf Predjama gelegene größte Höhlenburg der Welt. Vor über 800 Jahren wurde diese uneinnehmbare Festung errichtet, inmitten einer 123 Meter hohen senkrechten Felswand. Sie bietet einen einzigartigen Einblick in die Bautechniken und den Einfallsreichtum der Menschen im Mittelalter. Die Burg wurde ständig erweitert und durch Zugbrücken geschützt. In der Grotte liegt – als letzter Zufluchtsort – die Höhlenburg. Dahinter befindet sich ein Geflecht von geheimen Gängen, die zum Teil besichtigt werden können – wenn die Fledermäuse dort nicht ihren Winterschlaf halten.
Nur wenige Kilometer von der Höhlenburg entfernt, bietet sich ein anderes Schauspiel, welches das ganze Jahr über bewundert werden kann: die Höhle von Postojna. Diese ist mit einer Länge von 21 Kilometern die größte Europas, wenngleich „nur“etwa fünf Kilometer im Rahmen einer 90-minütigen Führung besichtigt werden können. Doch die haben es in sich. Gleich zu Beginn wartet eine Überraschung: Man geht nicht selbst in die Karsthöhle hinein, sondern fährt mit einem
Der Pericnik kann mit den Niagarafällen mithalten
Mit dem Zug geht es direkt in die Höhle hinein
Höhlenzug ins etwa zehn Grad kühle Innere. Dieser Zug ist seit über 140 Jahren in Betrieb und ein Grund dafür, warum inzwischen fast 40 Millionen Menschen die riesige Höhle besuchen konnten. Immer zwei Personen sitzen nebeneinander, wenn die gemächliche Fahrt losgeht. Immer tiefer dringt der Zug in die Höhle hinein, mal ist die Decke nur wenige Zentimeter über dem Kopf, mal sind es zehn Meter und mehr. Immer wieder geht ein Raunen durch die Reihen: Riesige Stalaktiten hängen von der Decke, während meterhohe Stalagmite aus dem Boden emporragen. Nach zehn Minuten Fahrt sind die Besucher am Zwischenziel angekommen und begeben sich in Gruppen zu Fuß durch das Höhlensystem.
Die über Millionen von Jahren geformten Tropfsteine lösen eine Reizüberflutung aus. Der Blick geht nach links, dann nach oben zu den verschiedenfarbigen Stalaktiten, dann wieder nach hinten zu dem riesigen Höhlensaal und sofort wieder nach vorne zu dem schmalen Durchlass, hinter dem sich das nächste Highlight versteckt. Die Kälte um einen herum ist vergessen, so warm wird es einem ums Herz, wenn man diese Schönheit betrachtet.
Für viele Besucher ist ein schneeweißer Stalagmit namens „Brillant“der Höhepunkt des Besuchs. Für andere ist es der weiße Saal, wo die glitzernden Stalaktiten wie Millionen von Spaghetti von der Decke hängen. Andere Urlauber nennen den 16 Meter hohen und damit zugleich größten Stalagmiten Postojnas namens „Wolkenkratzer“als ihren Favorit. Am Ende ist das egal, denn ein Besuch der Höhle ist für jeden ein Erlebnis – und diese natürlichen Sehenswürdigkeiten machen Slowenien zu einem immer beliebteren Reiseziel.