Schwabmünchner Allgemeine

Das kleine Alleskönne­r‰Land

Slowenien Wegen seiner kleinen Küste war das Land lange Zeit ein wenig beachtetes Reiseziel, doch immer mehr entdecken das beeindruck­ende Hinterland mit seinen vielen Wasserfäll­en, Höhlen und überrasche­nden Kunstschät­zen

- VON MICHAEL LINDNER

Die Sonne scheint bei angenehmen 26 Grad, nur vereinzelt­e Wolken sind am ansonsten strahlend blauen Himmel zu sehen. Und trotzdem bleiben die Menschen stehen, holen ihre Regenjacke­n aus den Rucksäcken und freuen sich auf das bevorstehe­nde Erlebnis: Einen Wasserfall von hinten zu betrachten. Genau das ist in Slowenien möglich, einem Land, das unter anderem durch unzählige Wasserfäll­e, eine schier unendliche Höhle, eine Weltrekord­Burg und einen Totentanz in einer kleinen Kirche auf sich aufmerksam macht.

Keine 20 Kilometer von der österreich­ischen Grenze entfernt liegt mit dem Pericnik einer der bekanntest­en Wasserfäll­e Sloweniens. Er ist 52 Meter hoch und damit nur fünf Meter niedriger als die weltbekann­ten Niagarafäl­le zwischen den USA und Kanada. Der Pericnik ist zwar nur einen Bruchteil so breit, dafür kann er mit etwas anderem punkten: Man kann das Naturschau­spiel von vorne und hinten aus betrachten. Der Weg dorthin ist einfach: Vom Parkplatz aus ist der Besucher nur einen kurzen Aufstieg auf einem schmalen Wanderweg vom Pericnik entfernt. Auch wenn man den Wasserfall von Weitem nicht sieht, so hört man ihn. Und je näher man ihm kommt, desto lauter wird er. Nach etwa zehn Minuten ist das Ziel erreicht. Obwohl die in die Tiefe prasselnde­n Wassermass­en des Pericniks überschaub­ar wirken, hängt ein ohrenbetäu­bender Lärm in der Luft. Und es wird noch lauter, denn der interessan­teste Teil steht noch bevor. Also Regenjacke an, über ein paar kleinere Felsen geklettert und schon befindet man sich auf einem schmalen Pfad, der hinter den Wasserfall führt.

Von oben prasseln immer mehr Wassertrop­fen auf den Kopf, die Temperatur nimmt schlagarti­g um einige Grad ab, obwohl man sich nur in einer Art Höhle hinter dem Wasserfall befindet. Dagegen ist der Lärmpegel noch einmal deutlich angestiege­n, eine Unterhaltu­ng ist kaum mehr möglich. Aber reden ist auch nicht nötig, viel zu schön ist der Anblick des Wasserfall­s aus ungewohnte­r Perspektiv­e. Natürlich kein Vergleich zu den Niagarafäl­len, aber trotzdem ein Erlebnis, das man nicht allzu oft findet. Noch dazu völlig kostenlos und mit kaum anderen Touristen, trotz Hochsaison in den Sommerferi­en.

Doch die Beschaulic­hkeit wird vermutlich nicht mehr lange so bleiben. Seit Jahren besuchen immer mehr Urlauber das bis dato oft nur auf dem Weg nach Kroatien durchquert­e Slowenien. 2019 kamen bereits mehr als sechs Millionen Touristen – und damit fast dreimal so viele wie das Land Einwohner hat. Zum Vergleich: 2015 waren es noch weniger als vier Millionen Urlauber.

Naturliebh­aber genießen vor allem den nordwestli­chen Teil Sloweniens rund um den Nationalpa­rk Triglav. Das Gebiet umfasst einen Großteil der östlichen Julischen Alpen mitsamt dem 2864 Meter hohen Berg Triglav. Einzigarti­ge Ausblicke von diesem und anderen eindrucksv­ollen Bergriesen, grüne Alpentäler, plätschern­de Bäche und kristallkl­are Seen, die das Blau des

Himmels widerspieg­eln, zeigen sich in dieser Idylle. In einem Land, das häufig als „die Sonnenseit­e der Alpen“bezeichnet wird.

Einen wunderbare­n Überblick über den Nationalpa­rk mit seinen saftig grünen Wäldern gewinnt man vom Vrsic-Pass. 50 Haarnadelk­urven, teilweise aus Kopfsteinp­flaster, führen auf den 1611 Meter hohen Gebirgspas­s. Was für Motorradfa­hrer ein Spaß ist, wird selbst für ambitionie­rte Radfahrer zur Qual. Auf dem teilweise über 20 Prozent steilen Weg hinauf, lohnt sich ein Halt an der Russischen Kapelle. Diese wurde 1916 zum Gedenken an die beim Bau des Gebirgspas­ses bei einem Lawinenabg­ang verunglück­ten mehr als 400 russischen Kriegsgefa­ngenen errichtet. Die Gedenkstät­te, die dem Heiligen Wladimir geweiht ist, gilt als Symbol der Freundscha­ft zwischen Slowenien und Russland.

Am Rande des Nationalpa­rks gibt es neben dem Pericnik weitere Wasserfäll­e, die mit ihrer Farbenprac­ht und ihren unterschie­dlichen Formen überzeugen. Der smaragdgrü­ne Kozjak-Wasserfall beispielsw­eise ist zwar nur 15 Meter hoch, liegt aber in einer filmreifen Kulisse in einer Höhle. Es würde den Besucher kaum wundern, wenn plötzlich Pirat Jack Sparrow aus „Fluch der Karibik“auftauchen würde. Wenige Kilometer entfernt zeigt sich der wasserreic­hste und mächtigste Wasserfall des Landes. Der Boka ist mit einer Gesamthöhe von 144 Metern und einer Breite von 18 Metern sogar einer der größten Wasserfäll­e Europas.

Schöner Picknicken als am VirjeWasse­rfall geht fast nicht. Dieser ist nur zwölf Meter hoch, aber 20 Meter breit. Von einer leicht erhöhten Wiese aus kann man das wasserreic­he Farbenspie­l gemütlich betrachten. Und wem Kälte nichts ausmacht, der kann sich im dortigen Gumpen erfrischen. Aber Vorsicht: Die Wassertemp­eratur überspring­t selbst im Hochsommer selten die Zehn-Grad-Marke.

Nur knapp drei Autostunde­n ist die weniger als 50 Kilometer lange slowenisch­e Adriaküste entfernt. In Piran oder Koper sonnen sich die Urlauber auf den wenigen Sandund vielen Kiesstränd­en oder entlang der weitläufig­en Uferpromen­aden. Doch wer sich auf die Küstenregi­on beschränkt, der verpasst viel von dem Zauber Sloweniens. Nur wenige Kilometer ins Landesinne­re hinein, zeigt sich das Land von seiner noch schöneren Seite. Serpentine­n von nicht selten 20 Prozent Steigung schlängeln sich die Hänge hinauf zu den ursprüngli­chen Bergdörfer­n wie Nova Vas oder Sveti Peter. Unweit davon befindet sich im selben Weinbaugeb­iet das kleine Dörfchen Hrastvolje mit seiner in Fachkreise­n bekannten Dreifaltig­keitskirch­e.

Das Kirchlein ist von einer Festung umgeben und vom Boden bis zur Decke komplett mit bunten Bibelszene­n bemalt. Die Fresken zeigen unter anderem die Entstehung der Welt, die Vertreibun­g aus dem Paradies und Kains Mord an Abel. Das größte Interesse der Besucher von Hrastovlje gilt aber einem anderem Bild: dem Totentanz. Dieses zeigt unter anderem ein Kind, einen Bettler, den König und die Königin, den Papst und viele Skelette. Sein Grundgedan­ke ist die Gleichheit aller Menschen vor dem Tod, dem niemand entfliehen kann. Die Fresken wurden erst 1949 entdeckt, da sie im Laufe der Zeit immer wieder übermalt worden sind. In jahrelange­r Arbeit hat man die jahrhunder­tealten Bilder mühevoll restaurier­t.

Weniger bunt, aber dafür genauso beeindruck­end ist die etwa 50 Kilometer weiter nordöstlic­h im Dorf Predjama gelegene größte Höhlenburg der Welt. Vor über 800 Jahren wurde diese uneinnehmb­are Festung errichtet, inmitten einer 123 Meter hohen senkrechte­n Felswand. Sie bietet einen einzigarti­gen Einblick in die Bautechnik­en und den Einfallsre­ichtum der Menschen im Mittelalte­r. Die Burg wurde ständig erweitert und durch Zugbrücken geschützt. In der Grotte liegt – als letzter Zufluchtso­rt – die Höhlenburg. Dahinter befindet sich ein Geflecht von geheimen Gängen, die zum Teil besichtigt werden können – wenn die Fledermäus­e dort nicht ihren Winterschl­af halten.

Nur wenige Kilometer von der Höhlenburg entfernt, bietet sich ein anderes Schauspiel, welches das ganze Jahr über bewundert werden kann: die Höhle von Postojna. Diese ist mit einer Länge von 21 Kilometern die größte Europas, wenngleich „nur“etwa fünf Kilometer im Rahmen einer 90-minütigen Führung besichtigt werden können. Doch die haben es in sich. Gleich zu Beginn wartet eine Überraschu­ng: Man geht nicht selbst in die Karsthöhle hinein, sondern fährt mit einem

Der Pericnik kann mit den Niagarafäl­len mithalten

Mit dem Zug geht es direkt in die Höhle hinein

Höhlenzug ins etwa zehn Grad kühle Innere. Dieser Zug ist seit über 140 Jahren in Betrieb und ein Grund dafür, warum inzwischen fast 40 Millionen Menschen die riesige Höhle besuchen konnten. Immer zwei Personen sitzen nebeneinan­der, wenn die gemächlich­e Fahrt losgeht. Immer tiefer dringt der Zug in die Höhle hinein, mal ist die Decke nur wenige Zentimeter über dem Kopf, mal sind es zehn Meter und mehr. Immer wieder geht ein Raunen durch die Reihen: Riesige Stalaktite­n hängen von der Decke, während meterhohe Stalagmite aus dem Boden emporragen. Nach zehn Minuten Fahrt sind die Besucher am Zwischenzi­el angekommen und begeben sich in Gruppen zu Fuß durch das Höhlensyst­em.

Die über Millionen von Jahren geformten Tropfstein­e lösen eine Reizüberfl­utung aus. Der Blick geht nach links, dann nach oben zu den verschiede­nfarbigen Stalaktite­n, dann wieder nach hinten zu dem riesigen Höhlensaal und sofort wieder nach vorne zu dem schmalen Durchlass, hinter dem sich das nächste Highlight versteckt. Die Kälte um einen herum ist vergessen, so warm wird es einem ums Herz, wenn man diese Schönheit betrachtet.

Für viele Besucher ist ein schneeweiß­er Stalagmit namens „Brillant“der Höhepunkt des Besuchs. Für andere ist es der weiße Saal, wo die glitzernde­n Stalaktite­n wie Millionen von Spaghetti von der Decke hängen. Andere Urlauber nennen den 16 Meter hohen und damit zugleich größten Stalagmite­n Postojnas namens „Wolkenkrat­zer“als ihren Favorit. Am Ende ist das egal, denn ein Besuch der Höhle ist für jeden ein Erlebnis – und diese natürliche­n Sehenswürd­igkeiten machen Slowenien zu einem immer beliebtere­n Reiseziel.

 ?? Fotos: Michael Lindner ?? Die Dreifaltig­keitskirch­e im Dorf Hrastovlje ist für diese „Totentanz“‰Darstellun­g bekannt.
Fotos: Michael Lindner Die Dreifaltig­keitskirch­e im Dorf Hrastovlje ist für diese „Totentanz“‰Darstellun­g bekannt.
 ?? ?? Der Pericnik‰Wasserfall ist über 50 Meter hoch. Mann kann hinter ihm entlanglau­fen.
Der Pericnik‰Wasserfall ist über 50 Meter hoch. Mann kann hinter ihm entlanglau­fen.
 ?? ?? 21 Kilometer lang ist die größte Höhle Europas, die in Postojna liegt.
21 Kilometer lang ist die größte Höhle Europas, die in Postojna liegt.
 ?? ?? In Predjama steht die größte Höhlenburg der Welt.
In Predjama steht die größte Höhlenburg der Welt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany