Traum und Wirklichkeit
Sachbuch Der Autor Ronald Reng begleitete über viele Jahre drei talentierte Fußballer, die Profi werden wollten. „Der große Traum“erzählt von selten erfüllten Hoffnungen, viel Ernüchterung und Semmeln von der Tankstelle
Augsburg Die Sport-Bild titelte letzthin plakativ: „Wie Köln 100 Millionen Euro verlor“. Die Story in der Kurzversion: In den Nachwuchsteams des FC spielte fast zehn Jahre lang ein Junge namens Florian Wirtz. Die ganz große Karriere trauten die Kölner ihm wohl nicht zu, ließen ihn für „nur“300000 Euro Ablöse nach Leverkusen ziehen. Bei Bayer startete Wirtz durch. In dem inzwischen 18-Jährigen sehen Experten einen kommenden Weltstar. Einen, dessen Wechsel 100 Millionen einbringen könnte.
Die Kölner haben versagt. Oder? Wie kann so was passieren? So ein Talent, das sieht doch jeder...
Nein, sieht nicht jeder. Warum Talente manchmal verkannt werden, warum nicht jeder herausragende Nachwuchsfußballer auch ein Superstar wird, das ist das Thema in „Der große Traum“, dem neuesten Werk von Ronald Reng
Wer über den Profifußball mehr erfahren will, als in Sport-Bild oder im kicker zu finden ist, der muss die Bücher von Reng lesen. Am Anfang stand der „Traumhüter“, die Geschichte eines mittelguten Torhüters, der es erstaunlicherweise zu Einsätzen in der Premier League bringt. Dann aber wieder in die deutsche Provinz zurückfällt. Es folgten erhellende Einblicke in den Job eines Spielerbeobachters („Mroskos Talente“), ein Streifzug durch das turbulente Leben des Spielers und Trainers Heinz Höher („Spieltage“) und vor allem beeindruckende Biografien über Robert Enke und Miroslav Klose.
Jetzt also „Der große Traum – Drei Jungs wollen in die Bundesliga“. Reng hat seine drei Hauptfiguren über fast zehn Jahre begleitet. Fotios Katidis, Niko Reislöhner und Marius Wolf heißen sie. Herausragende Jugend-Kicker waren sie. Weshalb sie in die Nachwuchsleistungszentren (NLZ) des 1. FC Nürnberg beziehungsweise von Greuther Fürth aufgenommen wurden und von der Bundesliga träumen durften. Im deutschen Fußball führt der Weg nach oben heutzutage fast ausschließlich über die NLZ. Viel ist zuletzt über sie berichtet worden. Oft kritisch: „Rassismus, Mobbing, Dumpinglöhne“, so lautet der Untertitel einer Dokumentation im TV-Format „Sport inside“.
Reng dagegen hat kein „Enthüllungsbuch“geschrieben. Seine Hauptdarsteller bleiben von den großen Skandalthemen weitgehend unberührt. Reng begleitet sie empathisch, mit viel Verständnis und leisem Humor, zeigt sie gefangen in der Banalität des Alltags. Junge Männer, die sich die Semmeln von der Tankstelle schmecken lassen, die in Wohngemeinschaften leben, in denen sich das schmutzige Geschirr in der Badewanne stapelt. Talente, deren Wohl und Wehe letztlich dem Gutdünken von Trainern und Funktionären unterworfen ist.
Reng blickt auf die Details. Man muss konzentriert am Ball bleiben, um im Beziehungskosmos zwischen Eltern, Geschwister, Freunde, Freundinnen, Betreuer, Manager, Funktionäre, Trainer, Teamkollegen nicht den Überblick zu verlieren. Manchem Leser wird das zu anstrengend sein. Wer aber in die Lektüre eintaucht, für den wird mit jeder Seite klarer: Der Spaß am Spiel bleibt im ambitionierten Nachwuchsfußball auf der Strecke. Der Leistungsdruck setzt früh ein, bestimmt alles. Die, die bis zum Ende bleiben, stehen mit 18, 19 Jahren, unter ungeheurem Stress. Sie sollen, sie wollen den Schulabschluss und den Sprung in den Profifußball schaffen. Gleichzeitig.
„Der große Traum“ist kein Karriereleitfaden. Kein „So muss man es machen“. Das Buch zeigt einfach: Die Karrierewege sind verschlungen, es muss viel zusammen kommen, damit sich der Traum erfüllt. Andererseits genügt bereits ein kleiner Stolperstein, eine Verletzung, ein Trainer, der dem Spieler nicht gewogen ist, um Albträume zu erzeugen.
Von den drei Protagonisten in Rengs Buch hat nur Marius Wolf die Bundesliga erreicht. Einer von dreien. Eigentlich eine gute Quote. Viel, viel besser als die tatsächlichen Erfolgsziffer. Wolf steht heute bei Borussia Dortmund unter Vertrag. Aber auch er war schon fast abgeschrieben, auch seine Geschichte zeigt, wie sehr Fußballerkarrieren von glücklichen Fügungen abhängig sein können.
Und so darf sich dann niemand wundern, dass selbst ein angeblichen 100-Millionen-Talent wie Florian Wirtz beinahe mal übersehen wird. Fußball ist ein Glücksspiel.
„Der große Traum – Drei Jungs wollen in die Bundesliga“von Ro nald Reng. Erschienen bei Piper, 528 Sei ten. 22 Euro. ISBN 9783492070997